OGH: Zur Haftung des Insolvenzverwalters für „Gemeinschaftsschäden“
Nach Aufhebung der Insolvenz ist der einzelne Gläubiger legitimiert, den auf ihn entfallenden anteiligen Schaden persönlich geltend zu machen, solange das Insolvenzgericht nicht mit konstitutivem Beschluss die Einleitung des Nachtragsverteilungsverfahrens gem § 138 Abs 2 IO angeordnet und einen (neuen) Verwalter zur Geltendmachung dieses Anspruchs zugunsten des Insolvenzvermögens bestellt hat
§§ 1295 ff ABGB, § 81 IO, § 121 IO, § 138 IO
GZ 1 Ob 235/16i, 24.05.2017
OGH: § 81 IO regelt die Pflichten und die Verantwortlichkeit des Insolvenzverwalters. Gem Abs 3 ist er allen Beteiligten - auch den Gläubigern - für Vermögensnachteile, die er ihnen durch pflichtwidrige Führung seines Amts verursacht, verantwortlich. Diese Haftung des Insolvenzverwalters ist nicht bloß subsidiär, sodass sie nur mangels Befriedigung aus der Masse in Anspruch genommen werden könnte, sondern begründet einen selbständigen Rechtsschutzanspruch und eine verschuldensabhängige Ersatzpflicht.
Bei Ansprüchen gegen den Insolvenzverwalter aus pflichtwidriger Führung seines Amts wird zwischen jenen unterschieden, die den Befriedigungsfonds aller Insolvenzgläubiger schmälern (Gemeinschaftsschäden) und jenen, die nur einen einzelnen Geschädigten betreffen (Einzel- oder Individualschäden). Gemeinschaftsschäden können während des Insolvenzverfahrens nur im Rechnungslegungsverfahren gem §§ 121 ff IO berücksichtigt oder durch einen neuen Insolvenzverwalter geltend gemacht werden. Nach Beendigung des Insolvenzverfahrens bzw nach rechtskräftiger Enthebung des Insolvenzverwalters können auch schon während des laufenden Verfahrens Ansprüche wegen behaupteter Pflichtwidrigkeiten im Rechtsweg geltend gemacht werden; ein Insolvenzverwalter, dessen Amt bereits beendet ist, unterliegt nämlich nicht mehr der Kognition des Insolvenzgerichts.
Führt ein pflichtwidriges Verhalten des Insolvenzverwalters dazu, dass sich der allen Gläubigern zur Verfügung stehende Befriedigungsfonds verringert, liegt ein Gemeinschaftsschaden vor und der Anspruch auf Ersatz fällt in die Masse, solange die Insolvenz nicht aufgehoben ist; insoweit liegt eine gemeinschaftliche Forderung vor (§ 890 Satz 2 ABGB).
Ist der Vollzug der Schlussverteilung nachgewiesen, sind keine Änderungen mehr möglich. Bewirkte das pflichtwidrige Verhalten des Insolvenzverwalters eine Verringerung des Befriedigungsfonds, realisiert sich der Gemeinschaftsschaden mit Vollzug der Schlussverteilung entsprechend der jeweiligen Quote anteilig im Vermögen des einzelnen Insolvenzgläubigers. Dieser ist damit nicht mehr bloß mittelbar geschädigt, sondern erleidet durch die Schmälerung seiner Befriedigungsquote einen unmittelbaren Vermögensnachteil.