11.07.2017 Zivilrecht

OGH: Zum Pflegeentgelt bei Betreuung durch Familienangehörige

Zeiten, in denen sich die Pflegeperson in denselben Räumlichkeiten, also beim Verletzten, befindet, aber nicht wegen des Verletzten, sondern aus anderen Gründen wie Hausarbeit oder Nachtruhe, sind als „reine Anwesenheit/Rufbereitschaft“ nicht abzugelten


Schlagworte: Schadenersatzrecht, Körperverletzung, Pflege durch Angehörige, Schadensverlagerung, gemeinsamer Haushalt, Anwesenheit, Rufbereitschaft, Kosten der Fremdpflege
Gesetze:

 

§§ 1295 ff ABGB, § 1325 ABGB

 

GZ 2 Ob 110/16i, 16.05.2017

 

OGH: Erbringt ein Dritter auf Grund familienrechtlicher Verpflichtungen Leistungen an oder für den Geschädigten, um dessen unfallbedingt vermehrte Bedürfnisse zu befriedigen, dann geschieht dies nicht zu dem Zweck, den Schädiger zu entlasten. Solche Leistungen werden nicht auf den Schaden angerechnet. Der Anspruch ist nicht objektiv-abstrakt zu berechnen, sondern es ist der tatsächliche Pflegebedarf konkret zu ermitteln und sodann der objektive Wert der von dritter Seite erbrachten Sach- oder Arbeitsleistung als Grundlage der Vergütung zu nehmen. Es wird darauf abgestellt, welche Kosten die Befriedigung der konkreten Bedürfnisse durch professionelle Kräfte erfordern würde. Die Pflegeleistungen sind nicht als fiktiver Schaden bzw als fiktive Aufwendungen zur Schadensbeseitigung zu qualifizieren, weil die Pflege tatsächlich durchgeführt wird. Fiktiv ist lediglich die Berechnungsmethode, weil der Berechnung Leistungen durch professionelle Kräfte zugrunde gelegt werden, die in dieser Form nicht erbracht werden. Zu den Zeiten tatsächlicher Pflegeleistungen kommt noch jene Zeit, in der zwar keine konkrete Pflege und Betreuung notwendig ist, aber dennoch eine Betreuungsperson anwesend sein muss, zB iS einer Rufbereitschaft bzw um unvorhersehbar auftretende Betreuungsnotwendigkeiten übernehmen zu können. Auch solche Zeiten müssten bei Fremdpflege grundsätzlich abgegolten werden.

 

Handelt es sich bei der Betreuungsperson aber um einen im selben Wohnverband lebenden Angehörigen, so sind Zeiten, während derer die Pflegeperson jedenfalls in derselben Wohnung (und daher auch beim Verletzten) anwesend wäre (insbesondere während der Nacht und während der Hausarbeit), nicht zu ersetzen, weil sie keinen konkreten Schaden darstellen. Damit sind jene Zeiträume gemeint, in denen sich die Pflegeperson in denselben Räumlichkeiten, also beim Verletzten, befindet, aber nicht wegen des Verletzten, sondern aus anderen Gründen, wie eben Hausarbeit oder Nachtruhe, wie jeder andere Benutzer einer Wohnung auch. Insoweit wird also die „reine Anwesenheit/Rufbereitschaft“ nicht abgegolten.

 

Zeiten, die die Person, die den Verletzten pflegt, allerdings sonst außer Haus verbringen würde und auf die sie nunmehr verzichtet, um beim Geschädigten anwesend zu sein, ohne aktuell tatsächliche Pflege- oder Betreuungsleistungen zu erbringen, in denen sie also auf sonst in Anspruch genommene Freizeit verzichtet, sind ebenfalls ersatzpflichtig, wenn in diesen Zeiten ansonsten eine dritte Pflegeperson anwesend sein müsste. Bei diesen Zeiten geht es nicht um einen im Freizeitverlust gelegenen Schaden der Pflegeperson, sondern darum, dass dem Geschädigten auch für diese Zeit der Ersatz der Kosten einer professionellen Pflegekraft gebührt.