12.06.2017 Wirtschaftsrecht

OGH: Zur Frage, ob die Beendigung eines Vertragsverhältnisses durch ein marktbeherrschendes Unternehmen, bei welchem es sich nicht um einen Versorger mit lebensnotwendigen Gütern handelt, ohne Vorliegen sachlicher Gründe auch dann unzulässig ist, wenn die ausdrückliche Vereinbarung der Möglichkeit zur ordentlichen Kündigung solche Gründe nicht vorsieht

Gerade die tatsächliche Fähigkeit, auf den Inhalt der Vereinbarung Einfluss zu nehmen, ist für den Vertragspartner des marktbeherrschenden Unternehmens idR stark eingeschränkt; wie den potenziellen Vertragspartnern von Monopolisten nicht nur die Möglichkeit fehlt, auf alternative Anbieter auszuweichen, fehlt ihnen im Allgemeinen auch die Möglichkeit, einzelne Vertragsbestimmungen unter Berücksichtigung ihrer Interessenslage auszuhandeln; läge daher in einem verweigerten Vertragsabschluss oder einer Kündigung ein Missbrauch der marktbeherrschenden Stellung, dann könnte daran, dass es trotzdem für die Kündigung einer sachlichen Rechtfertigung bedarf, ein formal im Vertrag als vereinbart festgehaltenes Kündigungsrecht unter Einhaltung bloß von Frist und Termin – ohne jedwede Bindung an sachliche Gründe – nichts ändern


Schlagworte: Marktbeherrschendes Unternehmen, Beendigung des Vertragsverhältnisses ohne Vorliegen sachlicher Gründe, ausdrückliche Vereinbarung der Möglichkeit zur ordentlichen Kündigung
Gesetze:

 

§ 879 ABGB, § 5 KartG

 

GZ 1 Ob 39/17t, 26.04.2017

 

OGH: Die Pflicht zum Vertragsabschluss wird – außerhalb des Kartellrechts – nach stRsp ua dort bejaht, wo ein Unternehmer seine Monopolstellung durch Verweigerung des Vertragsabschlusses sittenwidrig ausnützt, was auch für marktbeherrschende Unternehmen gilt. Faktische Übermacht darf nämlich ganz allgemein nicht in unsachlicher Weise ausgenützt werden. Dies gilt auch bei nicht lebensnotwendigen Gütern. Auch ein Monopolist oder ein marktbeherrschendes Unternehmen kann aber nicht gezwungen werden, jeden von einem Dritten gewünschten Vertrag abzuschließen, sondern darf aus sachlich gerechtfertigten Gründen einen Vertragsabschluss ablehnen.

 

Nach der höchstgerichtlichen Rsp zu 7 Ob 287/05i, 4 Ob 119/09t und 4 Ob 205/12v zu der zum Beginn des Vertrags spiegelbildlichen Situation, nämlich seiner Beendigung, kann sich aus der marktbeherrschenden Stellung einer Vertragspartei die Notwendigkeit des Vorliegens sachlicher Gründe für eine Kündigung ergeben. Auch wurde bereits erläutert, dass es geradezu sinnwidrig wäre, eine unbegründete Beendigungsmöglichkeit einzuräumen, gleichzeitig aber eine Verpflichtung anzunehmen, über Verlangen sofort wieder einen neuen Vertrag abzuschließen. In solchen Fällen muss also für die Auflösung des Vertrags ein sachlicher Grund vorliegen. Das Bestehen solcher Kündigungsbeschränkungen für monopolartige Unternehmen hat der OGH nicht nur bei Verträgen über lebensnotwendige Güter bejaht.

 

Der Beklagte verweist zur Zulässigkeit seines Rechtsmittels auf die Begründung des Berufungsgerichts, welches die ausdrückliche Vereinbarung der Möglichkeit zur ordentlichen Kündigung (ohne das Vorliegen von sachlichen Gründen) hervorhob. Es ist aber schon aus den zuvor genannten Entscheidungen und den dem Kontrahierungszwang zugrundeliegenden Erwägungen, dass dieser überall dort besteht, wo die faktische Übermacht eines Beteiligten bei bloßer formaler Parität diesem die Möglichkeit der Fremdbestimmung über andere gibt, zweifelsfrei abzuleiten, dass einer ausdrücklichen Vereinbarung im Vertrag, dessen Gestaltung in einer solchen („Fremdbestimmtheits“-)Lage ja typischerweise nur einem Vertragsteil, nämlich dem Bestimmenden zukommt, ohne besondere Umstände des Einzelfalls nicht jener Bedeutungsgehalt zukommen kann, der den übereinstimmenden Erklärungen der Parteien ansonsten aufgrund des Grundsatzes der Privatautonomie eingeräumt wird. Gerade die tatsächliche Fähigkeit, auf den Inhalt der Vereinbarung Einfluss zu nehmen, ist für den Vertragspartner des marktbeherrschenden Unternehmens idR stark eingeschränkt. Wie den potenziellen Vertragspartnern von Monopolisten nicht nur die Möglichkeit fehlt, auf alternative Anbieter auszuweichen, fehlt ihnen im Allgemeinen auch die Möglichkeit, einzelne Vertragsbestimmungen unter Berücksichtigung ihrer Interessenslage auszuhandeln. Läge daher in einem verweigerten Vertragsabschluss oder einer Kündigung ein Missbrauch der marktbeherrschenden Stellung, dann könnte daran, dass es trotzdem für die Kündigung einer sachlichen Rechtfertigung bedarf, ein formal im Vertrag als vereinbart festgehaltenes Kündigungsrecht unter Einhaltung bloß von Frist und Termin – ohne jedwede Bindung an sachliche Gründe – nichts ändern.

 

Die vom Rekurswerber zuletzt aufgeworfene Fragestellung, ob „die Vereinbarung einer ordentlichen Kündigung unter Einhaltung einer dreimonatigen Kündigungsfrist“ dann zulässig ist, wenn sich – was bei einem länger andauernden Vertragsverhältnis der Fall sein kann – die Rahmenbedingungen derart geändert haben, dass es zu einer maßgeblichen Schlechterstellung des marktbeherrschenden Unternehmens im Vergleich zu den Bedingungen, die als (tatsächlich) angemessenen bei einem Neuabschluss zugrunde zu legen wären, gekommen ist, bedarf im vorliegenden Fall keiner Klärung. Dies setzt in Wahrheit Umstände voraus, deren Notwendigkeit als Voraussetzung für die Wirksamkeit der Kündigung vom Rekurswerber gerade bestritten wird, nämlich das Vorliegen einer solchen sachlichen Rechtfertigung bei Ausspruch der Kündigung. Dass eine Veränderung der (wirtschaftlichen) Rahmenbedingungen vorgelegen wäre, wurde im vorliegenden Fall auch gar nicht behauptet, vielmehr wurden in geschäftlichen Vorgehensweisen des Klägers liegende Gründe genannt.

 

Ob für eine Kündigung rechtfertigende sachliche Gründe vorliegen, hängt von den jeweiligen Umständen des Einzelfalls ab. Es wird daher wie bei Vertragsbeginn anhand einer sorgfältigen Abwägung der einander widerstreitenden Interessen für die Vertragsbeendigung durch Kündigung im Einzelfall zu prüfen sein, ob eine marktbeherrschende Stellung vorliegt und diese missbräuchlich ausgenutzt wurde oder ob für eine ordentliche Kündigung ein ausreichend wichtiger, dh ein objektiv nachvollziehbarer und von der Rechtsordnung nicht verpönter Grund vorlag.