OGH: Kreuzender Fahrbahnteil nach Verlassen einer Radfahranlage – sinngemäße Anwendung des § 68 Abs 3a StVO (Näherung mit höchstens 10 km/h)?
Es ist daran festzuhalten, dass § 68 Abs 3a StVO (nunmehr idF BGBl I 2011/34) sinngemäße Anwendung findet, wenn sich ein Radfahrer auf einer Radfahranlage einer Kreuzung oder – wie hier – einem kreuzenden Fahrbahnteil nähert, die (den) er nach Verlassen einer Radfahranlage überqueren muss; insoweit ist die Regelung des § 68 Abs 3a StVO die speziellere Norm gegenüber der allgemeinen Bestimmung des § 20 Abs 1 StVO; bei der Verschuldensabwägung ist zu berücksichtigen, dass Fahrräder nicht mit einem Tachometer ausgerüstet sein müssen (vgl § 1 FahrradV), sodass für den Radfahrer die exakt eingehaltene Fahrgeschwindigkeit oft nur schwer abschätzbar ist; die Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit um 50 % (15 statt 10 km/h) fällt deshalb weit weniger schwer ins Gewicht, wie dies bei einem Pkw-Lenker der Fall wäre
§§ 1295 ff ABGB, § 68 StVO, § 20 StVO, § 1304 ABGB, § 1 FahrradV
GZ 2 Ob 87/17h, 16.05.2017
OGH: Es ist daran festzuhalten, dass § 68 Abs 3a StVO (nunmehr idF BGBl I 2011/34) sinngemäße Anwendung findet, wenn sich ein Radfahrer auf einer Radfahranlage einer Kreuzung oder – wie hier – einem kreuzenden Fahrbahnteil nähert, die (den) er nach Verlassen einer Radfahranlage überqueren muss. Insoweit ist die Regelung des § 68 Abs 3a StVO die speziellere Norm gegenüber der allgemeinen Bestimmung des § 20 Abs 1 StVO.
Auch die Klägerin hätte daher angesichts des ordnungsgemäß kundgemachten Gebotszeichens nach § 52 lit b Z 22a StVO („Ende des Geh- und Radwegs“) ihre Fahrgeschwindigkeit in Annäherung an das Tankstellengelände mit den zu erwartenden Querungen auf 10 km/h oder weniger vermindern müssen. Demnach ist ihr als Mitverschulden vorwerfbar, dass sie eine um 5 km/h (bzw um 50 %) überhöhte Geschwindigkeit eingehalten hat. Auf die von einer ex-post-Betrachtung ausgehende Berechnung des Berufungsgerichts (Überschreitung nur um 1,6 km/h) ist hingegen nicht abzustellen.
Das Fehlverhalten der Klägerin war für den Unfall auch (mit-)kausal: Wäre sie mit einer Geschwindigkeit von höchstens 10 km/h gefahren, hätte sie den Unfall verhindern können.
Bei der Verschuldensabwägung ist jedoch zu berücksichtigen, dass Fahrräder nicht mit einem Tachometer ausgerüstet sein müssen (vgl § 1 FahrradV), sodass für den Radfahrer die exakt eingehaltene Fahrgeschwindigkeit oft nur schwer abschätzbar ist. Die Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit um 50 % (15 statt 10 km/h) fällt deshalb weit weniger schwer ins Gewicht, wie dies bei einem Pkw-Lenker der Fall wäre. Gegenüber dem besonders schwerwiegenden Vorrangverstoß und der schulderschwerenden Alkoholisierung der Erstbeklagten tritt das Verschulden der Klägerin so weit in den Hintergrund, dass es auch nach Ansicht des Senats zur Gänze vernachlässigt werden kann. Darin liegt schon deshalb kein Widerspruch zur Entscheidung 2 Ob 256/04t, weil dort der OGH wegen des zugestandenen Mitverschuldens der Radfahrerin im Ausmaß von einem Drittel keine Verschuldensabwägung vornehmen musste und überdies auf Seiten des Autofahrers kein zusätzlicher Schulderschwerungsgrund vorhanden war.