OGH: Ärztlicher Behandlungsvertrag – Erfüllungsgehilfenhaftung des überweisenden Facharztes?
Findet sich eine Patientin in der Praxis eines Facharztes oder einer Fachärztin für Gynäkologie ein und wünscht sie – wie hier – (regelmäßige) Krebsvorsorgeuntersuchungen, kann dies vernünftigerweise vom aufgesuchten Arzt nur so verstanden werden, dass sie – neben einem anamnestischen Gespräch und der Erörterung allfälliger zusätzlicher Risikofaktoren – eine körperliche Untersuchung, die fachgerechte Vornahme eines Abstrichs, dessen fachkundige Begutachtung und die medizinische Beurteilung der gewonnenen Erkenntnisse im Hinblick auf das Risiko der Entstehung eines Zervixkarzinoms erwartet; darüber, ob der aufgesuchte Facharzt diese für das Erzielen des von der Patientin gewünschten Ergebnisses erforderlichen Einzelschritte selbst durchführt oder ob diese teilweise von einem weiteren Arzt (eines anderen Fachgebiets) vorgenommen werden und welche Rechtsbeziehungen zu diesem dritten Facharzt allenfalls begründet werden könnten, macht sich die durchschnittliche Patientin regelmäßig keine Gedanken; wird ihr nichts Gegenteiliges vermittelt, geht sie typischerweise davon aus, dass das erforderliche „Gesamtpaket“ an medizinischen Leistungen in die Leistungspflicht und Verantwortlichkeit des aufgesuchten Gynäkologen fällt, insbesondere wenn sie – wie hier – weder Informationen über die Person des mit der Beurteilung des Abstrichs befassten Pathologen noch dessen (schriftliches) Untersuchungsergebnis erhält oder erhalten soll
§§ 1295 ff ABGB, § 1313a ABGB
GZ 1 Ob 161/16g, 29.03.2017
OGH: Wie die Verfahrensbeteiligten ohnehin erkennen, setzt eine schadenersatzrechtliche Haftung der Beklagten eine Verletzung ihrer Pflichten aus dem mit der Klägerin abgeschlossenen Behandlungsvertrag voraus. Zum ärztlichen Behandlungsvertrag wird zutreffend immer wieder betont, dass dieser zumeist konkludent zustandekommt, was insbesondere auch auf den Vertragsinhalt zutrifft. Die Frage, wozu sich die Beklagte im Einzelnen gegenüber der Klägerin verpflichtet hat, ist somit nach den allgemeinen Regeln der zivilrechtlichen Rechtsgeschäftslehre zu lösen. Da der rechtsgeschäftliche Kontakt in aller Regel vom Patienten ausgeht, nimmt dieser durch seine Erklärungen und sein sonstiges Verhalten maßgeblichen Einfluss auf den Vertragsinhalt, der darüber hinaus noch danach bestimmt wird, was ein Patient nach allgemeinem Erfahrungswissen vom betreffenden Facharzt erwarten kann. Nach der anerkannten Vertrauenstheorie ist für die Auslegung von Willenserklärungen stets der Empfängerhorizont maßgeblich: Die Erklärung gilt so, wie sie ein redlicher Empfänger verstehen durfte; es kommt also auf den objektiven Erklärungswert und nicht auf den Willen des Erklärenden oder das tatsächliche Verständnis des Empfängers an.
Findet sich eine Patientin in der Praxis eines Facharztes oder einer Fachärztin für Gynäkologie ein und wünscht sie – wie hier – (regelmäßige) Krebsvorsorgeuntersuchungen, kann dies vernünftigerweise vom aufgesuchten Arzt nur so verstanden werden, dass sie – neben einem anamnestischen Gespräch und der Erörterung allfälliger zusätzlicher Risikofaktoren – eine körperliche Untersuchung, die fachgerechte Vornahme eines Abstrichs, dessen fachkundige Begutachtung und die medizinische Beurteilung der gewonnenen Erkenntnisse im Hinblick auf das Risiko der Entstehung eines Zervixkarzinoms erwartet. Darüber, ob der aufgesuchte Facharzt diese für das Erzielen des von der Patientin gewünschten Ergebnisses erforderlichen Einzelschritte selbst durchführt oder ob diese teilweise von einem weiteren Arzt (eines anderen Fachgebiets) vorgenommen werden und welche Rechtsbeziehungen zu diesem dritten Facharzt allenfalls begründet werden könnten, macht sich die durchschnittliche Patientin regelmäßig keine Gedanken. Wird ihr nichts Gegenteiliges vermittelt, geht sie typischerweise davon aus, dass das erforderliche „Gesamtpaket“ an medizinischen Leistungen in die Leistungspflicht und Verantwortlichkeit des aufgesuchten Gynäkologen fällt, insbesondere wenn sie – wie hier – weder Informationen über die Person des mit der Beurteilung des Abstrichs befassten Pathologen noch dessen (schriftliches) Untersuchungsergebnis erhält oder erhalten soll.
Selbstverständlich trifft es zu, dass grundsätzlich jedem Patienten das Wissen zu unterstellen ist, dass die medizinische Wissenschaft und Praxis in verschiedene Fachgebiete aufgeteilt ist und dass jeder Facharzt für die Ausübung seines Fachgebiets eine besondere mehrjährige Ausbildung benötigt, und es auch allgemein bekannt ist, dass nicht jeder Arzt alle Fachgebiete praktiziert und daher auch nicht alle Behandlungen und Untersuchungen selbst durchführen darf (weil Fachärzte ihre fachärztliche Tätigkeit gem § 31 Abs 3 ÄrzteG auf ihr Sonderfach zu beschränken haben). Doch kann einerseits keineswegs das Wissen um die konkreten Abgrenzungen der einzelnen Teilfächer vorausgesetzt werden – für den vorliegenden Fall weist etwa der Nebenintervenient darauf hin, dass auch bei der gynäkologischen Fachausbildung eine Ausbildung in Zytologie durchlaufen wird –, weshalb auch die Klägerin nicht vermuten musste, dass die Beklagte pathologische Untersuchungen gar nicht vornehmen darf. Andererseits bedeutet die Beschränkung der Ausübung der ärztlichen Tätigkeit im Rahmen des eigenen Fachgebiets nicht, dass sich ein Arzt nicht zivilrechtlich wirksam auch zur Erbringung fachfremder Leistungen verpflichten könnte, sofern diese nur tatsächlich durch einen einschlägigen Facharzt geleistet werden, was sich etwa in der Rsp zu den Leistungspflichten eines sog Belegarztes niedergeschlagen hat. Zu Recht wird daher betont, dass § 1313a ABGB durchaus auch für das Zusammenwirken fachfremder Fachärzte herangezogen werden kann, wobei es aber auf die Frage des Inhalts des Behandlungsvertrags ankommt und aus dem Behandlungsvertrag zu erschließen ist, welche Leistungen der (unmittelbar beauftragte) Arzt schuldet.
Zu beachten ist schließlich auch, dass dem Patienten regelmäßig sowohl das eindeutige Wissen über die Abgrenzung einzelner Fachgebiete als auch die Kenntnis darüber fehlt, welche einzelnen Schritte, die in den Fachbereich des jeweiligen Facharztes fallen, erforderlich sind, um jenes Ziel zu erreichen, das er dem aufgesuchten Facharzt gegenüber – in ausreichender Klarheit – dargelegt hat. Aus diesem Grund hat er auch regelmäßig keine Veranlassung, diesbezüglich nachzufragen und um Aufklärung, etwa auch über die beabsichtigten weiteren Rechtsverhältnisse, zu fragen. Anders als in jenen Fällen, in denen der Patient selbst an einen Arzt eines anderen Faches (etwa einen Radiologen) überwiesen wird – die Revisionsgegnerin geht auch hier (zu Unrecht) von einer Überweisung „der Klägerin“ an den Nebenintervenienten aus – und mit diesem in persönlichen Kontakt tritt – wobei er sich die Person des Arztes uU sogar aussuchen kann –, ist es bei der bloßen Übersendung von Gewebeproben an einen Pathologen, die vom konsultierten Arzt intern und ohne Absprache und nähere Information gegenüber dem Patienten durchgeführt wird, keineswegs eindeutig, dass der aufgesuchte Arzt nur eine eingeschränkte Leistungspflicht übernehmen und darüber hinaus im Namen des Patienten einen weiteren Vertrag mit einem dritten Facharzt abschließen will, für dessen Wirksamkeit er darüber hinaus auch noch einer Bevollmächtigung durch den Patienten bedürfte; die Beklagte hat im Übrigen auch kein Tatsachenvorbringen erstattet, aus dem sich eine Beauftragung des Nebenintervenienten namens der Klägerin ergeben würde. Primär der Arzt, kaum aber der Patient, hat es in einer solchen Konstellation in der Hand, für ausreichende Klarheit über die von ihm beabsichtigte Begründung eines weiteren Rechtsverhältnisses zu sorgen, sofern er sich selbst überhaupt Gedanken darüber macht, ob er den dritten Arzt im eigenen Namen oder im Namen der Patientin beauftragen will. Der Arzt, der ja mangels Erörterung mit der Patientin allein darüber Bescheid weiß, welche Einzelmaßnahmen notwendig sind, um das von der Patientin gewünschte Ziel zu erreichen, könnte diese ohne weiteres ausdrücklich darauf hinweisen, dass für die Begutachtung der Abstriche ein Auftrag der Patientin an einen Pathologen erforderlich sei, für dessen Tätigkeit der Arzt nicht einzustehen habe. Damit würde er der Patientin ua auch die Möglichkeit eröffnen, auf die Auswahl des weiteren Arztes Einfluss zu nehmen und etwa einen Pathologen ihres Vertrauens zu nominieren. Unterlässt der Gynäkologe hingegen jede konkrete Information der Patientin, gibt er nicht einmal den Namen des in Aussicht genommenen Pathologen bekannt und trägt er nicht dafür Sorge, dass der Patientin das Ergebnis der Tätigkeit des Pathologen übermittelt wird, kann die Patientin ohne weiteres annehmen, dass diese (unbekannten) Umstände für sie keine Bedeutung haben und der behandelnde Arzt alle erforderlichen Leistungen im Rahmen seines eigenen Pflichtenkreises erbringen wird, mag es auch naheliegen, dass dabei (intern) ein Pathologe beigezogen wird.
Im Übrigen zeigt gerade der vorliegende Fall die Notwendigkeit einer engen Kooperation zwischen den beiden Ärzten: Die Gynäkologin soll einen repräsentativen Abstrich vornehmen und bei Übersendung der Probe auf allenfalls zu berücksichtigende klinische Befunde hinweisen; der Pathologe hat hingegen über eine allenfalls unzureichende Qualität des Abstrichs zu informieren, um gegebenenfalls dessen Wiederholung zu ermöglichen. Von all dem erfährt die Patientin idR wenig oder gar nichts. Insbesondere wenn die Gynäkologin auf eine aus ihrer Sicht allenfalls bestehende Notwendigkeit der Begründung eines eigenen Vertragsverhältnisses zwischen der Patientin und dem Pathologen oder zumindest darauf, dass sie für dessen Fehler nicht einstehen will, nicht hingewiesen hat, wird die Patientin umso mehr annehmen, dass all diese Schritte Sache der behandelnden Ärztin sind, die allenfalls auch Hilfspersonen für Teilleistungen heranzieht. Nach dem strengen Konkludenzmaßstab des § 863 ABGB zielte die (schlüssige) Vertragsofferte der Klägerin allein auf einen Behandlungsvertrag mit der Beklagten ab und nicht zusätzlich auf einen Geschäftsbesorgungsvertrag.
Damit gelangt man für den vorliegenden Fall zum Ergebnis, dass sich die Beklagte – mangels jeglicher einschränkender Hinweise – zur Erbringung all jener ärztlicher Leistungen verpflichtet hat, die erforderlich sind, um der Klägerin letztlich eine der Sachlage entsprechende Einschätzung des Krebsriskos bekannt zu geben. Da sie – wie dargelegt – dabei auch für Fehler des von ihr als Erfüllungsgehilfen beigezogenen Nebenintervenienten einzustehen hat, können Erörterungen darüber, welcher Fehler in welchem Ausmaß der Beklagten und/oder dem Nebenintervenienten vorzuwerfen ist, unterbleiben; dies ist erst für die Regressfrage von Bedeutung. Es steht jedenfalls fest, dass eine insgesamt sorgfältige und fachgerechte Risikobestimmung, bei der schließlich auch erheblich früher das Vorliegen einer Krebsvorstufe erkannt worden wäre, unterblieben ist, weshalb die Beklagte für jene (ideellen) Nachteile der Klägerin einzustehen hat, die bei fachgerechtem Vorgehen nicht eingetreten wären.
Soweit in der Entscheidung zu 7 Ob 136/06k zu einer ähnlichen Konstellation (Dermatologe/Pathologe) eine abweichende Auffassung zur Vertragsauslegung und damit zur Zurechnung des dritten Facharztes vertreten wurde, vermag sich der erkennende Senat dem nicht anzuschließen. In einer Folgeentscheidung, mit der eine außerordentliche Revision zurückgewiesen wurde (7 Ob 141/10a), hat der 7. Senat auf die (nicht näher dargelegten) „festgestellten konkreten Umstände des vorliegenden Einzelfalls“ abgestellt und die Entscheidung des Berufungsgerichts unter Hinweis darauf als „zumindest vertretbar“ bezeichnet. Auch dadurch wurde somit zum Ausdruck gebracht, dass der Inhalt des jeweiligen Behandlungsvertrags – und damit der Umfang der den Arzt treffenden Vertragspflichten – stets nur unter Berücksichtigung der ganz konkreten Umstände des einzelnen Vertragsabschlusses beurteilt werden kann, sich aber einer generalisierenden Einordnung entzieht.
Angesichts der vom Erstgericht (unbekämpft) festgestellten nachteiligen Gesundheitsfolgen, unter denen die lang anhaltende oder gar dauerhafte psychische Beeinträchtigung der Klägerin besonders ins Gewicht fällt, erscheint ein Schmerzengeld iHv 35.000 EUR angemessen. Das Feststellungsbegehren ist berechtigt, weil der Krankheitsverlauf noch nicht abgeschlossen ist und nicht festgestellt werden konnte, inwieweit es in Hinkunft zu einer Änderung des auf Dauer bestehenden Schmerzausmaßes kommen kann. Damit ist jedenfalls das Feststellungsinteresse zu bejahen.