OGH: § 16 ECG, § 18 ECG, § 1330 ABGB iZm Online-Diskussionsforum
Auch bei Online-Diskussionsforen wird der Leser regelmäßig nicht davon ausgehen, dass – etwa gegen § 1330 ABGB verstoßende – Postings von Nutzern die Meinung des Betreibers wiedergeben; wird ein solcher Eindruck vom Betreiber nicht erweckt und hat er die Postings nicht durch eigenes Verhalten provoziert, kommt es lediglich darauf an, ob er seiner Verpflichtung zur Entfernung iSd § 16 Abs 1 Z 2 ECG fristgerecht nachgekommen ist; ein überwiegendes rechtliches Interesse an der Feststellung der Identität (§ 18 Abs 4 ECG) besteht dann, wenn die Rechtsverfolgung aufgrund einer groben Prüfung der vom Kläger geltend gemachten Verletzungen eine gewisse Aussicht auf Erfolg hat; jedenfalls ist von einem strengen Maßstab auszugehen
§ 1330 ABGB, § 16 ECG, § 18 ECG
GZ 6 Ob 188/16i, 30.01.2017
OGH: Es entspricht stRsp des OGH, dass der Betreiber eines Online-Archivs technischer Verbreiter der in archivierten Artikeln enthaltenen Tatsachenbehauptungen iSd § 1330 ABGB ist. Dies gilt auch für den Betreiber eines Online-Gästebuchs hinsichtlich der Einträge darin und für Online-Diskussionsforen hinsichtlich geposteter Beiträge. Dass die Beklagte ein derartiges Online-Diskussionsforum betreibt, hat das Erstgericht festgestellt und ist auch im Revisionsverfahren nicht strittig.
Die Beklagte ermöglicht es Internet-Nutzern, von ihnen eingegebene Informationen in ihrem Online-Diskussionsforum auf ihrer Website zu speichern. Sie ist damit – wie auch das Erstgericht ausdrücklich feststellte – Host-Provider iSd § 16 ECG, wobei unerheblich ist, ob die Beklagte diesen Dienst unentgeltlich oder entgeltlich bereitstellt und ob sie (auch) Medieninhaberin ist.
Der OGH hat bereits in der Entscheidung 6 Ob 178/04a (unter Rückgriff auf 1 Ob 36/89 SZ 64/36) klargestellt, dass das Betreiben eines (dort) Online-Gästebuchs zu kommunikativen Zwecken unter dem Schutz der verfassungsrechtlich gewährleisteten Freiheit der Meinungsäußerung (Art 10 EMRK; Art 13 StGG) steht und die Existenz eines solchen kommunikationsbezogenen Dienstes bei Überspannung der Überwachungspflichten in Frage gestellt wäre. Andererseits seien die absoluten Rechte der Ehre und des wirtschaftlichen Rufes der Betroffenen zu berücksichtigen, deren Verletzung durch die Einrichtung eines Online-Gästebuchs erst ermöglicht wurde. Es liege für jeden Leser auf der Hand, dass es sich bei den Eintragungen, die ganz unterschiedliche Meinungen widerspiegeln können, nicht um die Wiedergabe der Meinung des Betreibers handelt, sodass es einer Distanzierung nicht bedürfe. Werde nicht der Eindruck erweckt, der Beitrag gebe die Meinung des Betreibers wieder, seien dem Betreiber im Regelfall Rechtsverletzungen durch Nutzer nicht zuzurechnen, wenn er diese durch sein eigenes Verhalten nicht provozierte. Eine allgemeine Verpflichtung zu einer Kontrolle des Vorgangs des Einstellens der Beiträge verstieße zwar gegen § 18 Abs 1 ECG und schränkte die Möglichkeiten des freien Meinungsaustausches über Gebühr ein. Aus § 16 Abs 1 Z 2 ECG ergebe sich aber die Verpflichtung des Betreibers, bei Bekanntwerden (offensichtlich) rechtswidriger Inhalte die entsprechenden Beiträge zu entfernen, andernfalls der Betreiber auch auf Unterlassung in Anspruch genommen werden könne.
Der erkennende Senat sieht keine Veranlassung, von dieser Rp bei Online-Diskussionsforen abzugehen. Auch hier wird der Leser regelmäßig nicht davon ausgehen, dass – etwa gegen § 1330 ABGB verstoßende – Postings von Nutzern die Meinung des Betreibers wiedergeben. Wird ein solcher Eindruck vom Betreiber nicht erweckt und hat er die Postings nicht durch eigenes Verhalten provoziert, kommt es lediglich darauf an, ob er seiner Verpflichtung zur Entfernung iSd § 16 Abs 1 Z 2 ECG fristgerecht nachgekommen ist.
Der Hinweis des Klägers in seiner Revisionsbeantwortung, „[das Haftungsprivileg des] § 16 Abs 1 ECG [sei] für verschuldensunabhängige zivilrechtliche Unterlassungsansprüche irrelevant“, entspricht zwar der hA. Tatsächlich wird aus § 19 Abs 1 ECG abgeleitet, dass dieses Haftungsprivileg lediglich eine allfällige Schadenersatzhaftung und die strafrechtliche Verantwortlichkeit ausschließt und nicht für verschuldensunabhängige zivilrechtliche Unterlassungsansprüche – etwa nach § 1330 ABGB – gilt. Unter den vom OGH in der Entscheidung 6 Ob 178/04a genannten Voraussetzungen fehlt es jedoch an der Rechtswidrigkeit.
Nach den Feststellungen der Vorinstanzen löschte die Beklagte am Tag der Zustellung der gegenständlichen Klage die inkriminierten Postings. Dass sie bereits zuvor in Kenntnis derselben gewesen wäre, macht der Kläger im Revisionsverfahren nicht geltend; tatsächlich bezieht sich die vom Erstgericht erwähnte Aufforderung des Klägers zur Löschung und Bekanntgabe von Forum-Nutzern am 17. 11. 2014 ganz offensichtlich nicht auf die noch revisionsgegenständlichen Einträge. Das Unterlassungsbegehren war somit zur Gänze abzuweisen.
Nach § 18 Abs 4 ECG haben die in § 16 ECG genannten Diensteanbieter den Namen und die Adresse eines Nutzers ihres Dienstes, mit dem sie Vereinbarungen über die Speicherung von Informationen abgeschlossen haben, auf Verlangen dritten Personen zu übermitteln, sofern diese ein überwiegendes rechtliches Interesse an der Feststellung der Identität eines Nutzers und eines bestimmten rechtswidrigen Sachverhalts sowie überdies glaubhaft machen, dass die Kenntnis dieser Informationen eine wesentliche Voraussetzung für die Rechtsverfolgung bildet. Ein überwiegendes rechtliches Interesse an der Feststellung der Identität besteht dabei dann, wenn die Rechtsverfolgung aufgrund einer groben Prüfung der vom Kläger geltend gemachten Verletzungen eine gewisse Aussicht auf Erfolg hat.
Den Grad der Wahrscheinlichkeit einer Verurteilung nach § 1330 ABGB, die eine Herausgabe der Daten des Verletzers rechtfertigt, hat der erkennende Senat damit umschrieben, dass eine Verurteilung „nicht gänzlich auszuschließen“ sein dürfe bzw dass eine solche „möglich“ erscheine. Entgegen der von der außerordentlichen Revision vertretenen Auffassung liegt darin aber kein Widerspruch. Schon nach der bloßen Wortbedeutung ist der Unterschied nicht erkennbar, umschreibt doch etwa der „Duden“ eine der (unterschiedlichen) Bedeutungen des Wortes „ausschließen“ mit „unmöglich machen“. Jedenfalls ist aber von einem strengen Maßstab auszugehen, können doch nur so – iSd weiter oben dargestellten Interessenabwägung – auch die Interessen des Verletzten ausreichend gewahrt werden. Die Argumentation der Beklagten in ihrer außerordentlichen Revision, es bestünden weder das Unterlassungsbegehren noch das Herausgabebegehren zu Recht, ist somit widersprüchlich und nicht nachvollziehbar, führte sie doch letztlich dazu, dass der Verletzte überhaupt nicht geschützt werden könnte.
Unter Anlegung eines solchen strengen Maßstabs begegnet aber die Beurteilung der Vorinstanzen, wonach aufgrund der Äußerungen der hinter den Pseudonymen „Brcko Brckovic aus Brno“ und „Canosso“ stehenden Personen eine Verurteilung nach § 1330 ABGB nicht auszuschließen ist, keinen Bedenken. Hinsichtlich des Herausgabebegehrens ist somit die Entscheidung des Berufungsgerichts zu bestätigen.
Der Frage, ob die Beklagte hinsichtlich dieser Offenlegungsverpflichtung gegenüber durch vermeintlich anonyme Nutzer gem § 1330 ABGB Verletzte (auch) eine Aufklärungspflicht gegenüber diesen Nutzern getroffen hätte, kommt hier keine Entscheidungsrelevanz zu.