14.03.2017 Zivilrecht

OGH: Glücksspielverträge und Spielsucht

Wenn die Vorinstanzen nach dem festgestellten Sachverhalt („... nicht möglich, seinen Willen, zu spielen oder nicht zu spielen, zu bestimmen“) in tatsächlicher Hinsicht nicht nur von einer herabgesetzten Steuerungsfähigkeit oder Impulskontrolle, sondern von einer völligen Aufhebung der Freiheit der Willensentschließung des Klägers ausgingen und deshalb in rechtlicher Hinsicht auf seine (partielle) Geschäftsunfähigkeit schlossen, so ist dies vertretbar und nicht weiter korrekturbedürftig


Schlagworte: Geschäftsfähigkeit, Glücksspielverträge, Spielsucht, Willens- und Entscheidungsfreiheit
Gesetze:

 

§ 865 ABGB

 

GZ 9 Ob 91/16x, 26.01.2017

 

OGH: Die Beurteilung, ob eine Person zu einem bestimmten Zeitpunkt die Tragweite bestimmter Willenserklärungen verstandesmäßig erfassen konnte oder ob ihr diese Fähigkeit durch eine die Handlungs- und Geschäftsfähigkeit ausschließende geistige Störung fehlte, ist eine typische Beurteilung des Einzelfalls.

 

Die Beklagte meint unter Verweis auf die Entscheidung 6 Ob 44/13h, für das Vorliegen von Geschäftsunfähigkeit sei eine vollkommene Unfähigkeit, die Tragweite eines bestimmten Geschäfts einzusehen, erforderlich, was auf den Kläger nicht zutreffe.

 

In jener Entscheidung wurde unter Verweis auf die stRsp ausgeführt, dass nur derjenige (voll) geschäftsfähig ist, der die Tragweite und Auswirkungen seines Handelns abschätzen und dieser Einsicht gemäß disponieren kann. Die Handlungsfähigkeit und Geschäftsfähigkeit ist schon dann ausgeschlossen, wenn die normale Freiheit der Willensentschließung durch eine auch nur vorübergehende geistige Störung aufgehoben ist, mag auch noch die Fähigkeit, das Rechtsgeschäft verstandesmäßig zu erfassen, vorhanden sein. Geschäftsunfähigkeit ist nicht nur bei völliger Unfähigkeit zur Willensbildung gegeben; es reicht vielmehr aus, wenn eine durch Geisteskrankheit oder Geistesschwäche behinderte Person zur Willensbildung unfähig ist oder die Tragweite des konkreten Geschäfts nicht richtig abschätzen kann. Für eine partielle Geschäftsunfähigkeit kommt es darauf an, ob der Betreffende in der Lage war, die Tragweite und die Auswirkungen eines bestimmten Rechtsgeschäfts abzuschätzen und dieser Einsicht gemäß zu disponieren.

 

In der Folge wird auch ausgeführt, dass Ungültigkeit eines verpflichtenden Rechtsgeschäfts erst dann gegeben sei, wenn eine durch Geisteskrankheit oder Geistesschwäche bedingte vollkommene Unfähigkeit, die Tragweite eines bestimmten Geschäfts einzusehen, vorliege und dass Geschäftsunfähigkeit nur bei völliger Aufhebung der Freiheit der Willensentschließung in Ansehung des konkreten Geschäfts, nicht aber bei einer nur teilweisen Beeinträchtigung oder Motivierung der Willensentschließung gegeben sei. Damit sollte aber nur verdeutlicht werden, dass die Freiheit zur Willensentschließung durch die geistige Störung „aufgehoben“ und nicht nur „tangiert“ gewesen sein muss, um Geschäftsunfähigkeit annehmen zu können.

 

Wenn die Vorinstanzen hier nach dem festgestellten Sachverhalt („... nicht möglich, seinen Willen, zu spielen oder nicht zu spielen, zu bestimmen“) in tatsächlicher Hinsicht nicht nur von einer herabgesetzten Steuerungsfähigkeit oder Impulskontrolle, sondern von einer völligen Aufhebung der Freiheit der Willensentschließung des Klägers ausgingen und deshalb in rechtlicher Hinsicht auf seine (partielle) Geschäftsunfähigkeit schlossen, so ist dies vertretbar und nicht weiter korrekturbedürftig.

 

Ein Mangel des Berufungsverfahrens liegt dann vor, wenn sich das Berufungsgericht mit der Beweisrüge nicht oder nur so mangelhaft befasst, dass keine nachvollziehbaren Überlegungen über die Beweiswürdigung angestellt und im Urteil festgehalten sind. Das trifft hier nicht zu. Das Berufungsgericht hat insbesondere ausgeführt, dass die Beklagte die Darlegungen des Sachverständigen übergehe, wonach – bei von ihm nicht zu beurteilender Beweisbarkeit von behaupteter Spielfrequenz und -intensität – sehr wohl ein Ausschluss der Willens- und Entscheidungsfreiheit abzuleiten sei und über lange Zeitstrecken nachweisbare Kreditkarten- und Bargeldbehebungen sehr konkrete und anschauliche Rückschlüsse auf die Spielhallenbesuche des Klägers zuließen.