07.03.2017 Verfahrensrecht

OGH: Art 5 Nr 3 EuGVVO iZm behaupteten Persönlichkeitsrechtsverletzungen durch verleumderische Inhalte im Internet, wobei die Klägerin zum Zeitpunkt der Veröffentlichung der Inhalte ihren Wohnsitz in den Niederlanden hatte

Internationale Zuständigkeit für Unterlassungs- und Schadenersatzansprüche verneint, weil sich die Schädigung damit zuerst in den Niederlanden auswirkte


Schlagworte: Europäisches Verfahrensrecht, Schadenersatzrecht, internationale Zuständigkeit, verleumderische Inhalte im Internet
Gesetze:

 

Art 5 EuGVVO

 

GZ 6 Ob 247/16s, 30.01.2017

 

OGH: Nach der Entscheidung des EuGH vom 25. 10. 2011, C-509/09, C-161/10 E-date Advertising und Martinez ist Art 5 Nr 3 EuGVVO so auszulegen, dass eine Person, die sich durch auf einer Website veröffentlichte Inhalte in ihren Persönlichkeitsrechten verletzt fühlt, die Wahl hat: Sie kann ihre Klage auf Ersatz des gesamten entstandenen Schadens entweder bei den Gerichten jenes Mitgliedsstaats, in dem der Urheber dieser Inhalte niedergelassen ist, oder bei den Gerichten des Mitgliedsstaats, in dem sich der Mittelpunkt ihrer Interessen befindet, geltend machen. Stattdessen kann diese Person ihre Klage auch vor den Gerichten jedes Mitgliedsstaats erheben, in dessen Hoheitsgebiet ein im Internet veröffentlichter Inhalt zugänglich ist oder war; diese Gerichte sind aber nur für die Entscheidung über den Schaden zuständig, der im Hoheitsgebiet des Mitgliedsstaats des angerufenen Gerichts verursacht worden ist.

 

Der OGH hat in Präzisierung dieser Rsp bereits klargestellt, dass jedenfalls dann, wenn ein Gesamtschaden geltend gemacht wird, als Erfolgsort aber nur jener Ort in Betracht kommt, an dem sich die Schädigung zuerst auswirkte; Folgewirkungen auf Person oder Vermögen des Geschädigten ließen dessen Wohnsitz auch dann nicht zum Erfolgsort werden, wenn sie gleichzeitig verwirklicht wurden (6 Ob 144/15t). In dem dieser Entscheidung zugrundeliegenden Verfahren hatte die (auch hier) Klägerin ohne nähere Aufschlüsselung Schadenersatz iHv zuletzt 520.000 EUR und die Unterlassung der Verbreitung von ruf- und kreditschädigenden Behauptungen (ua) im Internet durch andere (ausländische) Beklagte begehrt. Der erkennende Senat hielt die Verneinung der internationalen Zuständigkeit österreichischer Gerichte durch die Vorinstanzen für vertretbar. Die Klägerin habe konkrete Ausführungen unterlassen, zu welchem Zeitpunkt durch die Beklagten Verletzungen der Persönlichkeitsrechte der Klägerin erfolgten und wo die Klägerin zu diesem Zeitpunkt konkret den Mittelpunkt ihrer Interessen hatte.

 

Im vorliegenden Verfahren begehrt die Klägerin Verdienstentgang und Schmerzengeld und brachte zur Frage der vom Beklagten bestrittenen internationalen Zuständigkeit österreichischer Gerichte im Verfahren erster Instanz vor, sie habe ua aufgrund eines vom Beklagten Ende 2007 ins Internet gestellten Videos, in welchem sie als Betrügerin dargestellt wurde, ihre Zahnarztpraxis in den Niederlanden schließen müssen. Die Eröffnung einer Praxis in Belgien sei aufgrund der verleumderischen Behauptungen im Internet gescheitert, weil eine Bank ihre ursprüngliche Finanzierungszusage zurückgezogen habe. Ende 2008 sei die Klägerin nach einer Namensänderung trotz ihres mittlerweile sehr angeschlagenen Gesundheitszustands für ein bis zwei Monate in Irland als Zahnärztin tätig gewesen, sei jedoch aufgrund einer massiven Internetkampagne im März 2009 nach London gezogen. Eine neuerliche Ausübung ihres Berufs sei der Klägerin nicht (mehr) möglich gewesen; sie habe bedingt durch die Verleumdungen massiv an psychischen Problemen gelitten. Alle Versuche, wieder im Berufsleben Fuß zu fassen, seien erfolglos geblieben. Im September 2010 sei sie nach Salzburg gezogen und habe dort eine Erwerbsunfähigkeitspension beantragt, welche ihr im Oktober 2010 vorerst befristet und mit 7. 1. 2011 rechtskräftig unbefristet zuerkannt worden sei.

 

Die Auffassung der Vorinstanzen, aufgrund dieses Vorbringens der Klägerin habe sich die behauptete Schädigung deren Persönlichkeitsrechte durch die vom Beklagten auf einer Website veröffentlichten Inhalte zuerst in den Niederlanden, jedenfalls aber nicht in Österreich ausgewirkt, ist durchaus vertretbar. Die Klägerin stellt dies in ihrem Revisionsrekurs auch nicht in Frage.

 

Während die Klägerin im Revisionsrekursverfahren auf ihr Schmerzengeldbegehren nicht mehr zurückkommt, vertritt sie zum Verdienstentgangsbegehren vielmehr die Auffassung, sie habe diesbezüglich ein Leistungsbegehren für den Zeitraum November 2011 bis Juli 2014 und ein Feststellungsbegehren für den Zeitraum ab August 2014 gestellt, insgesamt somit für einen Zeitraum, in welchem sich der Mittelpunkt ihrer Interessen bereits in Salzburg befunden habe. Damit weicht sie aber von ihren erstinstanzlichen Behauptungen ab:

 

Die Klägerin hat zwar in ihrer Klage den monatlichen Verdienstentgang mit 6.563,29 EUR, „für 69 Monate (seit November 2011 inkl. Juli 2014) 452.867,01 EUR“, beziffert, dieses unschlüssige Begehren (der angegebene Zeitraum umfasst lediglich 33 Monate, weshalb sich das Klagebegehren auf lediglich 216.588,57 EUR belaufen würde) in ihrem Schriftsatz ON 23 aber insoweit schlüssig gestellt, als sie nunmehr „6.563,29 EUR für 69 Monate, sohin 452.867,01 EUR“ begehrte, somit – unter Mitberücksichtigung ihres Feststellungsbegehrens – bis einschließlich Juli 2014. Das Rekursgericht ging deshalb auch davon aus, dass mit dem ursprünglich genannten Datum „November 2011“ offenbar „November 2008“ gemeint gewesen sei, wozu sich die Klägerin in ihrem Revisionsrekurs nicht näher äußert.

 

Damit hat sich die behauptete Veröffentlichung aber nicht nur zuerst in den Niederlanden, jedenfalls aber nicht in Österreich ausgewirkt, vielmehr begehrt die Klägerin auch Verdienstentgang zunächst für einen Zeitraum, in welchem sie nach ihren eigenen Behauptungen den Mittelpunkt ihrer Interessen noch gar nicht in Österreich hatte (November 2008 bis einschließlich August 2010).

 

Da der Klägerin nach ihren Behauptungen bereits im Jahr 2009, als sie nach London ging, eine Ausübung ihres Berufs als Zahnärztin nicht (mehr) möglich war, weil sie aufgrund der jahrelang andauernden Verleumdungen im Internet massiv an psychischen Problemen litt, und im September 2010, als sie nach Salzburg zog, bereits erwerbsunfähig war, wurde der von ihr behauptete Schaden auch nicht im Hoheitsgebiet des Mitgliedsstaats des angerufenen Gerichts, also in Österreich, verursacht; dass das Video nach den Behauptungen der Klägerin (gemeint auch in Österreich) auch nach dem September 2010 und jedenfalls bis Mai 2014 im Internet abspielbar bzw nach wie vor abrufbar ist, war daher nicht kausal. Eine Anwendung der Entscheidung des EuGH auf den vorliegenden Sachverhalt kommt somit auch unter diesem Gesichtspunkt nicht in Betracht.