14.02.2017 Sozialrecht

VwGH: § 4 Abs 2 ASVG – zur Beurteilung des Vorliegens eines Dienstverhältnisses

Nähere Ausführungen zu persönlicher Abhängigkeit, Werkvertrag, Ablehnungsrecht, Vertretungsrecht und freier Dienstvertrag im Langtext


Schlagworte: Dienstverhältnis, persönliche Abhängigkeit, Werkvertrag, Ablehnungsrecht, Vertretungsrecht, freier Dienstvertrag
Gesetze:

 

§ 4 ASVG, §§ 1151 ff ABGB, § 539a ASVG

 

GZ Ra 2016/08/0095, 12.10.2016

 

VwGH: Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung iSd Art 133 Abs 4 B-VG läge nur dann vor, wenn das VwG die iSd § 4 Abs 2 ASVG im Einzelfall erforderliche Gesamtabwägung der maßgeblich für bzw gegen das Vorliegen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses sprechenden Umstände und Merkmale in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden unvertretbaren Weise vorgenommen hätte. Eine solche Unvertretbarkeit zeigt die Revision nicht auf.

 

Soweit die Revisionswerberin zur Zulässigkeit der Revision vorbringt, die von der Erstmitbeteiligten übernommene Verpflichtung zur Erteilung von Sprachkursen sei nach der Rsp als Werkvertrag zu qualifizieren, ist festzuhalten, dass ein Werkvertrag idR ein Zielschuldverhältnis begründet. Die Verpflichtung besteht darin, die genau umrissene Leistung - idR bis zu einem bestimmten Termin - zu erbringen. Mit der Erbringung der Leistung endet das Vertragsverhältnis. Das Interesse des Bestellers und die Vertragsverpflichtung des Werkunternehmers sind lediglich auf das Endprodukt als solches gerichtet.

 

Der VwGH hat sich bereits wiederholt damit auseinandergesetzt, ob eine Vereinbarung zur Abhaltung von Kursen (Vorträgen, Seminaren) als Werkvertrag anzusehen ist, und hat ausgeführt, dass eine vertragsmäßige Konkretisierung des Werkes schon daran scheitert, dass es sich bei der Erteilung von Unterricht nicht um ein Endprodukt im genannten Sinn handelt. Außerdem ist kein Maßstab ersichtlich, nach welchem für den Werkvertrag typische Gewährleistungsansprüche bei Nichtherstellung oder mangelhafter Herstellung des Werkes beurteilt werden sollten. Ein der für den Werkvertrag essenziellen Gewährleistungsverpflichtung entsprechender Erfolg der Tätigkeit ist nicht messbar, weshalb von einem individualisierbaren "Werk" nicht die Rede sein kann. Es liegt vielmehr eine Vereinbarung über Dienstleistungen vor.

 

Auch der Hinweis darauf, dass die Erstmitbeteiligte sich habe vertreten lassen können und es ihr offen gestanden sei, angebotene Kurse abzulehnen, führt die Revision nicht zum Erfolg.

 

Grundvoraussetzung für die Annahme persönlicher Abhängigkeit iSd § 4 Abs 2 ASVG (und damit für ein versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis) ist die persönliche Arbeitspflicht. Fehlt sie, dann liegt ein versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis iSd § 4 Abs 1 Z 1 ASVG schon deshalb nicht vor.

 

Die persönliche Arbeitspflicht fehlt einerseits dann, wenn dem zur Leistung Verpflichteten ein "generelles Vertretungsrecht" zukommt, wenn er also jederzeit nach Gutdünken beliebige Teile seiner Verpflichtung auf Dritte überbinden kann. Damit wird va die Situation eines selbständig Erwerbstätigen in den Blick genommen, der - anders als ein letztlich nur über seine eigene Arbeitskraft disponierender (abhängig) Beschäftigter - im Rahmen einer unternehmerischen Organisation (oft werkvertragliche) Leistungen zu erbringen hat und dabei Hilfspersonal zum Einsatz bringt oder sich eines Vertreters (Subunternehmers) bedient. Die "generelle Vertretungsbefugnis" spielt insbesondere bei der Abgrenzung zwischen selbständigen und unselbständigen Erwerbstätigkeiten eine Rolle. Von einer die persönliche Arbeitspflicht ausschließenden generellen Vertretungsbefugnis kann nur dann gesprochen werden, wenn der Erwerbstätige berechtigt ist, jederzeit und nach Gutdünken irgendeinen geeigneten Vertreter zur Erfüllung der von ihm übernommenen Arbeitspflicht heranzuziehen bzw ohne weitere Verständigung des Vertragspartners eine Hilfskraft beizuziehen. Keine generelle Vertretungsberechtigung stellt die bloße Befugnis eines Erwerbstätigen dar, sich im Fall der Verhinderung in bestimmten Einzelfällen, zB im Fall einer Krankheit oder eines Urlaubs oder bei bestimmten Arbeiten innerhalb der umfassenderen Arbeitspflicht vertreten zu lassen; ebenso wenig die bloß wechselseitige Vertretungsmöglichkeit mehrerer vom selben Vertragspartner beschäftigter Personen.

 

Selbst wenn, wie von der Revisionswerberin vorgebracht, ein generelles Vertretungsrecht vereinbart worden wäre, kann dies - unter dem Gesichtspunkt der Beurteilung von Sachverhalten in wirtschaftlicher Betrachtungsweise (§ 539a ASVG) - die persönliche Arbeitspflicht nur dann ausschließen, wenn diese Befugnis entweder in der Durchführung des Beschäftigungsverhältnisses auch tatsächlich gelebt worden wäre oder wenn die Parteien bei Vertragsabschluss nach den Umständen des Einzelfalles zumindest ernsthaft damit hätten rechnen können, dass von der generellen Vertretungsbefugnis auch tatsächlich Gebrauch gemacht werden würde und die Einräumung dieser Vertretungsbefugnis nicht mit anderen vertraglichen Vereinbarungen im Widerspruch stünde.

 

Die Beurteilung des BVwG, ein generelles Vertretungsrecht sei weder gelebt worden, noch sei damit bei Vertragsabschluss zu rechnen gewesen, erweist sich fallbezogen als jedenfalls vertretbar, wurde die Erstmitbeteiligte doch unstrittig lediglich von den Geschäftsführerinnen der Revisionswerberin - und auch dies nur zweimal - vertreten.

 

Die persönliche Arbeitspflicht fehlt andererseits auch dann, wenn einem Beschäftigten ein "sanktionsloses Ablehnungsrecht" zukommt, wenn er also die Leistung bereits übernommener Dienste jederzeit nach Gutdünken ganz oder teilweise sanktionslos ablehnen kann. Der Empfänger der Dienstleistungen kann unter solchen Umständen nicht darauf bauen und entsprechend disponieren, dass dieser Beschäftigte an einem bestimmten Ort zu einer bestimmten Zeit für Dienstleistungen vereinbarungsgemäß zur Verfügung steht. Die bloße Befugnis eines Erwerbstätigen, ihm angebotene Beschäftigungsmöglichkeiten auszuschlagen, berührt die persönliche Arbeitspflicht in keiner Weise, mag diese Befugnis auch als "sanktionsloses Ablehnungsrecht" (in einem weiteren Sinn) bezeichnet werden. Zwischen der sanktionslosen Ablehnung der Erbringung einzelner Leistungen, etwa bei deren Abruf im Zuge einer Rahmenvereinbarung bei verpflichtender Tätigkeit im Fall der Zusage, und einem generellen sanktionslosen Ablehnungsrecht, das die persönliche Abhängigkeit ausschließt, ist ein deutlicher Unterschied zu machen.

 

Das BVwG ist im vorliegenden Fall auf Grundlage der von ihm getroffenen Feststellungen in Übereinstimmung mit der Rsp des VwGH davon ausgegangen, dass kein durchgehendes (vollversicherungspflichtiges) Beschäftigungsverhältnis vorlag, sondern ein Dienstverhältnis lediglich in den Zeiten, in denen sich die Erstmitbeteiligte nach Anfrage der Revisionswerberin zur Abhaltung von Kursen verpflichtet hatte, bestand. Daraus, dass die Erstmitbeteiligte einzelne Beschäftigungsmöglichkeiten (Kurse) ablehnen konnte, lässt sich für den Standpunkt der Revisionswerberin daher nichts gewinnen, war die Erstmitbeteiligte doch nach den Feststellungen verpflichtet, die von ihr übernommenen Sprachkurse abzuhalten.

 

Auch im Übrigen hat sich das BVwG eingehend mit den vom VwGH zu § 4 Abs 2 erster Satz ASVG entwickelten Beurteilungskriterien auseinander gesetzt. Das Ergebnis dieser Gesamtbetrachtung, wonach die Merkmale persönlicher und wirtschaftlicher Abhängigkeit überwogen haben und - insbesondere unter Beachtung der organisatorischen Einbindung der Erstmitbeteiligten in den Betrieb der Revisionswerberin - kein freier Dienstvertrag iSd § 4 Abs 4 ASVG vorlag, ist nicht zu beanstanden.