OGH: Zur Frage, ob ein gem § 30 JN für zuständig erklärtes Gericht noch seine sachliche Unzuständigkeit wahrnehmen darf
Erfolgte die notwendige Delegation zu einem Zeitpunkt, zu dem die sachliche Unzuständigkeit vom ursprünglich angerufenen Gericht noch wahrgenommen hätte werden können, ist auch das delegierte Gericht zu einer solchen Entscheidung berechtigt
§ 30 JN, §§ 19 JN
GZ 9 Ob 80/16d, 29.11.2016
OGH: Nach § 30 JN hat, wenn ein Gericht aus einem der im § 19 JN vorgesehenen Gründe an der Ausübung der Gerichtsbarkeit gehindert ist, das im Instanzenzuge übergeordnete Gericht ein anderes Gericht gleicher Gattung zur Verhandlung und Entscheidung der Rechtssache zu bestimmen.
Schneider weist darauf hin, dass ein Verfahren, das von abgelehnten Richtern geführt wird, nichtig sei. Diese Wertung müsse auch bei der Beurteilung einfließen, wie ein unzuständiges ausgeschlossenes Gericht vorzugehen habe. Eine Berufung auf die Prozessökonomie könne über die „Höherrangigkeit“ der Nichtigkeit nicht hinwegsehen. Dem Gericht, an das delegiert wurde, komme keine Kompetenz zur Zuständigkeitsprüfung des ersten Gerichts zu. Durch die Delegation werde vielmehr die Zuständigkeit rechtmäßig begründet. Damit greife § 29 JN, sodass die Zuständigkeit des Gerichts, an das delegiert wurde, bei nachträglicher Änderung der Umstände bestehen bleibe.
Schneider ist insoweit zuzustimmen, als § 25 JN zwar vorsieht, dass ein abgelehnter Richter bis zur rechtskräftigen Erledigung des Ablehnungsantrags alle Handlungen vorzunehmen hat, die keinen Aufschub gestatten. Wird der Ablehnung stattgegeben, so sind die vom Richter vorgenommen Prozesshandlungen aber nichtig und erforderlichenfalls aufzuheben. Weder ist die Wahrnehmung der Unzuständigkeit als eine Handlung anzusehen, die so dringend ist, dass die Entscheidung nicht abgewartet werden kann, noch kann mit prozessökonomischen Erwägungen gerechtfertigt werden, dass ein von der Entscheidung möglicherweise ausgeschlossenes Organ eine für den weiteren Fortgang des Verfahrens wesentliche und im Fall der tatsächlichen Ausgeschlossenheit oder Befangenheit sogar nichtige Entscheidung trifft.
Dies kann jedoch nicht dazu führen, dass die sachliche Unzuständigkeit bereits des ursprünglich angerufenen Gerichts überhaupt nicht wahrgenommen werden kann. Da weder das angerufene noch das zur Entscheidung über die Delegation berufene Gericht die Zuständigkeit prüfen kann und das Gesetz vorsieht, dass die Rechtssache nur an ein anderes Gericht gleicher Gattung übertragen werden kann, hätte dies sonst zur Folge, dass die sachliche Unzuständigkeit weder vom Gericht noch gegebenenfalls über Einwand des Beklagten wahrgenommen werden könnte. Das kann aber auch nicht mit dem Argument, dass der Gesetzgeber Zuständigkeitsstreitigkeiten vermeiden wollte, gerechtfertigt werden. Erfolgte daher die notwendige Delegation zu einem Zeitpunkt, zu dem die sachliche Unzuständigkeit vom ursprünglich angerufenen Gericht noch wahrgenommen hätte werden können, ist auch das delegierte Gericht zu einer solchen Entscheidung berechtigt.
Das BG Melk war daher als delegiertes Gericht berechtigt, seine sachliche Unzuständigkeit auszusprechen. Dass diese Entscheidung inhaltlich unrichtig ist, behauptet auch der Kläger nicht.
Soweit der Kläger bemängelt, dass das Rekursgericht über seinen mit dem Rekurs (in eventu) gestellten Überweisungsantrag nicht entschieden hat, übersieht er, dass über den Überweisungsantrag das Gericht, das seine Unzuständigkeit ausgesprochen hat, im konkreten Fall das BG Melk, nach rechtskräftiger Klärung der sachlichen Unzuständigkeit zu entscheiden hat (§ 230a ZPO). Dies gilt auch für den Fall, in dem der Überweisungsantrag (als Eventualbegehren) mit einem Rechtsmittel verbunden wird.