24.01.2017 Zivilrecht

OGH: Einräumung eines Notwegs

Der Vorwurf gegen die Antragstellerin besteht im vorliegenden Fall nicht darin, dass sie gegen bestimmte Verpflichtungen aus der zum 30. 11. 2013 aufgekündigten Wegevereinbarung verstoßen hätte, wie etwa das unterlassene Sperren von Weidegattern; die auffallende Sorglosigkeit wird dadurch begründet, dass sie sich zu keinem Zeitpunkt – nämlich weder bei Erwerb der Liegenschaft und anschließender Vereinbarung eines beschränkten obligatorischen Fahrrrechts noch bei Ausbau der Hütte und Intensivierung des Betriebs – um eine (dingliche) Sicherung eines ausreichenden Fahrrechts gekümmert hatte


Schlagworte: Notwegerecht, auffallende Sorglosigkeit, Unterlassung der rechtzeitigen Verbücherung eines (angeblich durch Ersitzung erworbenen) Wegerechts
Gesetze:

 

§ 2 NWG

 

GZ 5 Ob 221/16k, 19.12.2016

 

OGH: Nach § 2 Abs 1 zweiter Fall NWG ist das Begehren um Einräumung eines Notwegs unzulässig, wenn der Mangel der Wegeverbindung auf eine auffallende Sorglosigkeit des Grundeigentümers zurückzuführen ist. Dieser Begriff entspricht der groben Fahrlässigkeit iSd § 1324 ABGB. Die Frage, ob der Mangel auf eine auffallende Sorglosigkeit zurückgeht, ist stets nach den Umständen des Einzelfalls zu beurteilen.

 

Nach den Feststellungen der Vorinstanzen kaufte die Antragstellerin 1963 eine Liegenschaft samt der 1932 errichteten Schutzhütte mit allen Rechten und Verbindlichkeiten. Die Verkäufer bestätigten im Kaufvertrag, dass Fahrrechte auf Zufahrtswegen und Straßen ersessen worden seien. Die Antragstellerin überprüfte das Bestehen von ersessenen Wegeservituten nicht und unternahm auch nichts in Richtung Verbücherung. Sie schloss mit dem Rechtsvorgänger der Antragsgegner 1966 einen Wegevertrag ab, der (nach dem Wortlaut nur) dem jeweiligen Bewirtschafter der in der Folge verpachteten Hütte ein jederzeit kündbares Recht einräumte, den Privatweg durch motorisierte und nicht motorisierte Fahrzeuge landesüblicher Spurweite zu befahren. Ab 1999 wurde die Schutzhütte jahrelang umfangreich ausgebaut und renoviert. Seit dem Umbau wird der (auch) über die Grundstücke der Antragsgegner (und durch den Hof ihres landwirtschaftlichen Betriebs) führende Weg aufgrund der vermehrt erforderlichen Service- und Wartungsarbeiten wesentlich häufiger von Dritten befahren. Es werden nicht nur Wanderer und Bergsteiger bewirtet, sondern immer wieder private Familienfeiern, Bankette, Seminare, Konferenzen und (vom Pächter veranstaltete) Partys auf der Hütte abgehalten. Etliche Gäste befuhren dabei den Weg und stellten ihre Fahrzeuge auf Wiesengrundstücken der Antragsgegner ab. Im November 2012 kündigten die Antragsgegner den Wegevertrag zum 30. 11. 2013 auf. Die Antragstellerin bekämpfte die Wirksamkeit dieser Aufkündigung. Das gerichtliche Verfahren ist noch nicht rechtskräftig beendet.

 

Der OGH hat zu 5 Ob 405/84 die Unterlassung der rechtzeitigen Verbücherung eines (angeblich durch Ersitzung erworbenen) Wegerechts für sich alleine nicht schon als eine zum Ausschluss des Rechts auf Einräumung eines Notwegs führende auffallende Sorglosigkeit beurteilt.

 

Das Verhalten der Antragstellerin beschränkte sich nicht auf den Erwerb der Liegenschaft und die Unterlassung der Verbücherung – laut Zusicherung der Verkäufer – ersessener Fahrrechte. Sie schloss mit dem früheren Liegenschaftseigentümer nach dem Kauf einen Wegevertrag, der sie auf ein jederzeit kündbares, nur dem jeweiligen Bewirtschafter der Hütte zustehendes, obligatorisches und damit auf Einzelrechtsnachfolger lediglich im Fall der ausdrücklichen Überbindung übergehendes Fahrrecht beschränkte. Ein Verzicht auf die Einräumung eines Notwegs durch eine vertragliche Regelung über die Einschränkung einer Wegeservitut (hier eines ersessenen Fahrrechts) wurde in der Jud des OGH als auffallende Sorglosigkeit angesehen.

 

Die Behauptungs- und Beweislast für das Fehlen eines groben Verschuldens trifft die Antragstellerin. Sie beruft sich nicht darauf, dass der Abschluss eines verbücherungsfähigen Vertrags über die Einräumung der Servitut des Fahrrechts trotz des festgestellten jahrelangen guten Einvernehmens mit den Grundeigentümern zu keinem Zeitpunkt eine realistische Möglichkeit gewesen sei oder die Voraussetzungen für die laut Kaufvertrag ersessene Servitut nicht vorgelegen seien.

 

Die Nachlässigkeit der Parteien soll durch die Bestimmungen des NWG nicht gefördert werden, lediglich der schuldlose und damit schutzwürdige Erwerber einer Liegenschaft soll geschützt werden. Der OGH hat im Fall des Ausbaus eines Schutzhauses zu einem ganzjährigen Beherbergungsbetrieb, verbunden mit einer Intensivierung der Nutzung und des Wegebedarfs, eine auffallende Sorglosigkeit bereits bejaht.

 

Insgesamt gesehen begründete die Rechtsauffassung der Vorinstanzen, welche eine auffallende Sorglosigkeit bejahten, keine zu korrigierende Fehlbeurteilung.

 

Dieses Ergebnis steht nicht in Widerspruch zu der sowohl im Zulassungsausspruch des Berufungsgerichts als auch im Revisionsrekurs der Antragsteller genannten Entscheidung 4 Ob 5/15m. Der OGH gab in dieser Entscheidung zunächst die Rsp wieder, wonach weder ein obligatorisches Wegerecht noch eine bloß prekaristisch gewährte Nutzung bei Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen die Einräumung eines dinglichen Notwegs hindere. Anschließend wird ausgeführt, dass ein Verhalten der Antragstellerin, das faktisch zum Widerruf einer prekaristischen Nutzung geführt habe, daher nicht als eine zum Mangel einer Wegverbindung führende auffallende Sorglosigkeit qualifiziert werden könne, weil eine den Notweg ausschließende Wegverbindung auch ohne den Widerruf nicht bestanden habe.

 

Zunächst besteht der Vorwurf gegen die Antragstellerin im vorliegenden Fall nicht darin, dass sie gegen bestimmte Verpflichtungen aus der zum 30. 11. 2013 aufgekündigten Wegevereinbarung verstoßen hätte, wie etwa das unterlassene Sperren von Weidegattern. Die auffallende Sorglosigkeit wird dadurch begründet, dass sie sich zu keinem Zeitpunkt – nämlich weder bei Erwerb der Liegenschaft und anschließender Vereinbarung eines beschränkten obligatorischen Fahrrrechts noch bei Ausbau der Hütte und Intensivierung des Betriebs – um eine (dingliche) Sicherung eines ausreichenden Fahrrechts gekümmert hatte.