OGH: Sachverständigenhaftung wegen der behaupteten Unrichtigkeit eines in einem Zivilverfahren erstatteten Gutachtens
Auch eine Haftung des Sachverständigen für ein in einem Zivilverfahren erstattetes Gutachten kann vor dessen rechtskräftiger Beendigung nicht geltend gemacht werden; zielt eine solche Klageführung doch im Ergebnis darauf ab, das noch nicht rechtskräftig abgeschlossene Anlassverfahren zu „überholen“
§§ 1295 ff ABGB, § 1299 ABGB
GZ 3 Ob 170/16w, 23.11.2016
OGH: Wird ein Sachverständiger wegen seines in einem gerichtlichen Verfahren erstatteten Gutachtens in Anspruch genommen und geht es um den Einfluss dieses Gutachtens auf die gerichtliche Entscheidung, steht das Ergebnis der gutachterlichen Tätigkeit des Sachverständigen erst mit Abschluss des Verfahrens endgültig fest. Davor fehlt es schon an der wesentlichen Voraussetzung für eine „vorbeugende Feststellungsklage“, nämlich dass sich das schädigende Ereignis, das einen konkreten Schaden hätte auslösen können, bereits ereignet hat.
Zutreffend ist, dass der Sachverständige nach allgemeinen Regeln des Schadenersatzrechts auch für alle den Parteien verursachten Schäden haftet, die durch ein wenn auch letztlich nicht der Entscheidung des Gerichts zugrunde gelegtes Gutachten entstehen, das sich im Laufe des Verfahrens als unrichtig und mangelhaft herausstellt und daher der Entscheidung nicht zugrunde gelegt werden kann. In diesem Fall haftet der gerichtliche Sachverständige den Prozessparteien für den dadurch verursachten Schaden.
Daraus leitet die Revision jedoch zu Unrecht ab, dass der Erstkläger die von ihm bereits getragenen Rechtsanwalts- und (Privat-)Gutachterkosten schon vor rechtskräftiger Beendigung des Anlassverfahrens als Schadenersatzforderung gegen den Sachverständigen geltend machen könne:
Nach stRsp des OGH kann in Strafsachen der Verurteilte, solange ein verurteilendes Strafurteil aufrecht ist, vom Sachverständigen, auf dessen Gutachten sich das Urteil stützt, nicht Schadenersatz wegen unrichtiger Begutachtung begehren.
Dieser Grundsatz gilt auch für den Fall, dass in dem anhängigen Strafverfahren noch keine Entscheidung ergangen ist, weil es die Ausgestaltung des strafrechtlichen Rechtsschutzsystems ausschließt, während des anhängigen Verfahrens eine Überprüfung der Ergebnisse des Strafverfahrens im Zivilverfahren herbeizuführen. Schon die Möglichkeit, derartige Klagen als Druckmittel zu missbrauchen, zwingt hier zu einer zurückhaltenden Beurteilung. Dabei geht es nicht nur um den Schutz der Person des Sachverständigen, sondern auch der Funktionsfähigkeit der Justiz insgesamt.
Aus eben diesen Erwägungen hat der OGH bereits mehrfach entschieden, dass das Interesse an einer ordnungsgemäßen Rechtspflege die Ausnahme der Tätigkeit eines vom Gericht bestellten Sachverständigen von Unterlassungs- und Widerrufsansprüchen iSd § 1330 Abs 2 ABGB gebietet.
Schließlich wird diese Rechtsprechungslinie auch auf den – mit der vorliegenden Konstellation vergleichbaren – Fall angewendet, bei welchem vordergründig andere als die unmittelbar aus einer Verurteilung resultierenden Schäden geltend gemacht werden, weil eine Bejahung der Möglichkeit, den Sachverständigen bereits vor rechtskräftiger Beendigung des Strafverfahrens mit einer auf die behauptete Unrichtigkeit des Gutachtens gestützten Schadenersatzklage zu belangen, im Ergebnis auch in diesem Kontext zu einer Überprüfung führen müsste, wie die zukünftig im Strafverfahren ergehende Entscheidung richtigerweise zu lauten hätte.
Für die Geltendmachung einer Haftung wegen der behaupteten Unrichtigkeit eines in einem Zivilverfahren erstatteten Gutachtens kann nichts anderes gelten: Auch in diesem Fall müsste im Haftungsprozess geprüft werden, wie die „richtige“ Entscheidung in dem noch anhängigen Zivilverfahren zu lauten hätte. Die Klageführung der Kläger zielt somit im Ergebnis darauf ab, das bei Schluss der Verhandlung erster Instanz noch nicht rechtskräftig abgeschlossene Anlassverfahren zu „überholen“.
Eine andere Beurteilung könnte nur dann gerechtfertigt sein, wenn die Haftung des Sachverständigen auf andere Gründe als die Unrichtigkeit seines Gutachtens gestützt wird, etwa darauf, dass er unnötige Kosten verursachte, weil er seine Befangenheit nicht offen legte. Dieser Fall liegt jedoch hier nicht vor.
Das Berufungsgericht ist somit in Einklang mit der dargelegten Rsp zutreffend davon ausgegangen, dass auch eine Haftung des Sachverständigen für ein in einem Zivilverfahren erstattetes Gutachten vor dessen rechtskräftiger Beendigung nicht geltend gemacht werden kann.
Schon aus diesem Grund ist auch das Leistungsbegehren des Erstklägers abzuweisen, ohne dass es einer Auseinandersetzung mit seiner – von der Beklagten bestrittenen – Berechtigung zur Geltendmachung eigener Schäden gegen den Sachverständigen bedurfte.