OGH: Zum Vollausschüttungsgebot in § 104 Abs 4 AktG
Ohne satzungsmäßige Grundlage für einen gänzlichen oder teilweisen Ausschluss des Bilanzgewinns von der Verteilung ist auch ein Gewinnvortrag auf neue Rechnung unzulässig
§ 104 AktG, §§ 6 f ABGB
GZ 6 Ob 169/16w, 24.10.2016
OGH: Gem § 104 Abs 4 erster Satz AktG ist die Hauptversammlung an den vom Vorstand mit Billigung des Aufsichtsrates „festgestellten Jahresabschluss“ gebunden. Dies bedeutet aber bloß, dass die Hauptversammlung nur über die Verwendung jenes Bilanzgewinns beschließen kann, der im Jahresabschluss aufscheint. Die Hauptversammlung kann also nicht die Höhe des zu verwendenden Betrags beeinflussen.
Was den Beschluss über die Verwendung betrifft, so hat die Hauptversammlung nicht an sich, sondern nur auf satzungsmäßiger Grundlage das Recht, die Gewinnausschüttung an die Aktionäre ganz oder teilweise zu unterbinden; diese Grundlage kann uU in der bloßen Ermächtigung der Hauptversammlung zur freien Verfügung über den Bilanzgewinn bestehen. Ohne satzungsmäßige Grundlage für einen gänzlichen oder teilweisen Ausschluss des Bilanzgewinns von der Verteilung ist auch ein Gewinnvortrag auf neue Rechnung unzulässig. Daher wird auch in der Literatur empfohlen, in die Satzung eine eindeutige Ermächtigung iSd § 104 Abs 4 Satz 2 AktG aufzunehmen.
Die Formulierung der Satzung im vorliegenden Fall, wonach die Hauptversammlung über die „Verwendung“ des Bilanzgewinns entscheidet, wiederholt die nach dem Gesetz bestehende Kompetenzverteilung, stellt aber keine ausreichende Grundlage für den Vortrag des Bilanzgewinns dar. Daran vermag auch der Umstand nichts zu ändern, dass dies bisher anders gehandhabt wurde. Satzungen sind nämlich nach den Auslegungsgrundsätzen der §§ 6 und 7 ABGB objektiv auszulegen. Dabei ist wegen möglicher Interessen Dritter einer am Wortlaut orientierten Auslegung der Vorrang einzuräumen. Gewinnverwendungsvorschriften wie überhaupt alle korporativen Satzungsbestimmungen müssen deutlich formuliert sein. Selbst bei einer personalistisch strukturierten GmbH, an der nur die Gründungsgesellschafter beteiligt sind, gilt, dass die Auslegung der Satzung rein objektiv zu erfolgen hat, sodass nicht auf den subjektiven Parteiwillen abgestellt werden kann. Der Umstand, dass sich ca 95 % der Aktien im Besitz zweier Familien befinden, vermag am Gebot der objektiven Auslegung nichts zu ändern.