12.12.2016 Zivilrecht

OGH: Anordnung einer Bedarfsmedikation während eines Heimaufenthalts als Freiheitsbeschränkung iSd § 3 HeimAufG?

Die ärztliche Anordnung eines eine Freiheitsbeschränkung herbeiführenden Medikaments ohne dessen tatsächliche Verabreichung ist für sich allein noch keine Freiheitsbeschränkung; sofern aber mit der Anordnung eines Medikaments beim Heimbewohner ein bestimmtes freiheitsbeschränkendes Verhalten veranlasst wird oder dieser den Eindruck gewinnen muss, keine andere Möglichkeit zu haben, als ein bestimmtes gewünschtes Verhalten zu setzen, andernfalls das Medikament verabreicht wird, liegt eine Freiheitsbeschränkung vor


Schlagworte: Heimaufenthalt, Freiheitsbeschränkung, Anordnung, Bedarfsmedikation
Gesetze:

 

§ 3 HeimAufG, § 5 HeimAufG

 

GZ 7 Ob 205/16x, 09.11.2016

 

OGH: Eine nur im Pflegeblatt vorgesehene, nach außen nicht vermittelte (bloße) Bedarfsmedikation für zerebrale Anfälle (ein Antiepileptikum) ist keine Freiheitsbeschränkung iSd § 3 HeimAufG, weil allein dadurch das Unterbinden einer Ortsveränderung nicht angedroht, sondern der Einsatz des Medikaments nur und gerade für eine Situation angeordnet wird, in der der Bewohner zu keiner – willkürlichen – körperlichen (Fort-)Bewegung in der Lage ist.

 

Die bloße ärztliche Anordnung eines eine Freiheitsbeschränkung herbeiführenden Medikaments (vgl § 5 Abs 1 HeimAufG) unter bestimmten Voraussetzungen ohne dessen tatsächliche Verabreichung (Bedarfsmedikation) ist für sich allein noch keine Freiheitsbeschränkung iSd § 3 Abs 1 HeimAufG. Dies ergibt sich aus dem Wortlaut dieser Bestimmung, wird doch mit der bloßen Anordnung noch keine Ortsveränderung unterbunden und „wirkungslose“ Maßnahmen sind nicht als Freiheitsbeschränkungen zu werten. Zudem wird aus § 7 Abs 1 und 2 HeimAufG deutlich, dass dieses Gesetz generell an tatsächlich umgesetzte Freiheitsbeschränkungen anknüpft und nur eine bereits wirksame – nicht aber eine bloß beabsichtigte – Freiheitsbeschränkung aufgehoben werden kann. Sofern aber mit der Anordnung eines Medikaments beim Bewohner ein bestimmtes freiheitsbeschränkendes Verhalten veranlasst wird oder dieser den Eindruck gewinnen muss, keine andere Möglichkeit zu haben, als ein bestimmtes gewünschtes Verhalten zu setzen, andernfalls das Medikament verabreicht wird, liegt eine Androhung iSd § 3 Abs 1 HeimAufG und damit eine Freiheitsbeschränkung vor.

 

Im erstinstanzlichen Verfahren ergab sich nicht, dass die Bewohnerin, die an Demenz leidet, durch die angeordnete Bedarfsmedikation Seroquel zu einem bestimmten Verhalten – nämlich einer Reduktion ihrer „Agitiertheit“ – veranlasst wurde. Zwar wurde ihr zuletzt am 3. 2. 2016 das Medikament verabreicht, jedoch konnte das Rekursgericht gerade nicht feststellen, dass die Bewohnerin den Eindruck gewinnen musste, dass ihr Seroquel jederzeit ua zur Unterbindung ihres Unruhezustands verabreicht wird. Dass ihr gegenüber die in der Pflegedokumentation vorgesehene Bedarfsmedikation vermittelt wurde, wurde weder behauptet, noch steht dies fest. Ein ärztlich verordnetes sedierendes Bedarfsmedikament, das (im Revisionsrekursverfahren strittigen Zeitraum) tatsächlich nicht verabreicht wurde, führte zu keiner Freiheitsbeschränkung. Solange die Bedarfsmedikation nicht angewendet wird und der Bewohnerin durch die Anordnung nicht der Eindruck vermittelt wird, sie müsse ihre Bewegungsfreiheit von sich aus einschränken, um der angeordneten Medikation zu entgehen, liegt keine Unterbindung einer Ortsveränderung vor, sodass keine Freiheitsbeschränkung iSd § 3 Abs 1 HeimAufG besteht.

 

Damit ist die Rechtsansicht des Rekursgerichts zutreffend, dass durch die bloße Anordnung von Seroquel als Bedarfsmedikation der Überprüfungsantrag für den Zeitraum ab dem 5. 2. 2016 bis zur erstinstanzlichen Entscheidung mangels Freiheitsbeschränkung abzuweisen ist.