29.11.2016 Zivilrecht

OGH: Anordnung der Verabreichung von Stesolid bei Bedarf als unzulässige Freiheitsbeschränkung iSd § 3 HeimAufG?

Eine Freiheitsbeschränkung iSd HeimAufG kann nur an jemandem vorgenommen werden, der grundsätzlich (noch) über die Möglichkeit zur willkürlichen körperlichen (Fort-)Bewegung (mit Ortsveränderung) verfügt; eine – wie hier Stesolid – nur im Pflegeblatt vorgesehene, nach außen nicht vermittelte (bloße) Bedarfsmedikation für zerebrale Anfälle ist keine Freiheitsbeschränkung iSd § 3 HeimAufG, weil allein dadurch das Unterbinden einer Ortsveränderung nicht angedroht, sondern der Einsatz des Medikaments nur und gerade für eine Situation angeordnet wird, in der der Bewohner zu keiner – willkürlichen – körperlichen (Fort-)Bewegung in der Lage ist


Schlagworte: Heimaufenthalt, Freiheitsbeschränkung, Anordnung der Verabreichung von Stesolid bei Bedarf
Gesetze:

 

§ 3 HeimAufG, § 5 HeimAufG

 

GZ 7 Ob 137/16x, 13.10.2016

 

OGH: Nach § 3 HeimAufG liegt eine Freiheitsbeschränkung iS dieses Bundesgesetzes vor, wenn eine Ortsveränderung einer betreuten oder gepflegten Person (Bewohner) gegen oder ohne ihren Willen mit physischen Mitteln, insbesondere durch mechanische, elektronische oder medikamentöse Maßnahmen, oder durch deren Androhung unterbunden wird. Eine Freiheitsbeschränkung ist daher nur dann gegeben, wenn es einer Person unmöglich gemacht wird, ihren Aufenthalt nach ihrem freien Willen zu verändern.

 

Nach stRsp ist eine Freiheitsbeschränkung durch medikamentöse Mittel nur zu bejahen, wenn die Behandlung unmittelbar die Unterbindung des Bewegungsdrangs bezweckt, nicht jedoch bei unvermeidlichen bewegungsdämpfenden Nebenwirkungen, die sich bei der Verfolgung anderer therapeutischer Ziele ergeben können. Die abschließende Beurteilung, ob eine Freiheitsbeschränkung vorliegt, erfordert Feststellungen darüber, 1. welchen therapeutischen Zweck die Anwendung jedes einzelnen der zu überprüfenden Medikamente verfolgt, 2. ob die Medikamente (insbesondere in der dem Bewohner verabreichten Dosierung und Kombination) dieser Zweckbestimmung entsprechend eingesetzt wurden und werden und 3. welche konkrete Wirkung für den Bewohner mit dem Einsatz der Medikamente verbunden war und ist.

 

Stesolid ist ein Antiepileptikum und bei Bedarf angeordnet, also im Fall eines epileptischen Anfalls der Bewohnerin. Das Medikament kam allerdings in dem vom Erstgericht beobachteten Zeitraum nie zum Einsatz.

 

Eine – wie hier Stesolid – nur im Pflegeblatt vorgesehene, nach außen nicht vermittelte (bloße) Bedarfsmedikation für zerebrale Anfälle ist keine Freiheitsbeschränkung iSd § 3 HeimAufG, weil allein dadurch das Unterbinden einer Ortsveränderung nicht angedroht, sondern der Einsatz des Medikaments nur und gerade für eine Situation angeordnet wird, in der der Bewohner zu keiner – willkürlichen – körperlichen (Fort-)Bewegung in der Lage ist.