15.11.2016 Zivilrecht

OGH: Arzthaftung iZm Geburt eines behinderten Kindes

Die Maßnahmen der Mitarbeiter der Zweitbeklagten, aus denen der Erstbeklagte ein haftungsbegründendes Fehlverhalten ableiten will, sind adäquate Folge des Fehlverhaltens des Erstbeklagten, der nicht bereits auf Basis des ersten CTG ausreichende Schritte für die Einleitung einer sofortigen Entbindung der Erstklägerin gesetzt hat; da er somit als Verursacher des Gesamtschadens anzusehen ist, kommt auch eine Haftungsteilung nach § 1302 ABGB nicht in Betracht; inwieweit ihm allenfalls ein Regressanspruch gegenüber der Zweitbeklagten zusteht, ist in diesem Verfahren nicht zu beurteilen


Schlagworte: Schadenersatzrecht, Arzthaftung, Schwangerschaft, Geburt eines behinderten Kindes, Adäquanz, Beweislastumkehr
Gesetze:

 

§§ 1295 ff ABGB, § 1302 ABGB, § 1304 ABGB

 

GZ 9 Ob 6/16x, 29.09.2016

 

OGH: Den Beweis für die Verursachung des Schadens hat grundsätzlich der Geschädigte zu tragen, und zwar auch in den Fällen des § 1298 ABGB. Im Arzthaftungsbereich ist die Feststellung des natürlichen Kausalzusammenhangs zwischen Eintritt des Schadens und fehlerhafter Heilbehandlung jedoch äußerst schwierig, da die Kausalität bestimmter Umstände für den Eintritt gesundheitsschädigender Folgen naturwissenschaftlich nicht immer mit Sicherheit beweisbar ist. Aufgrund der Schwierigkeiten, einen exakten Beweis zu erbringen, stellt die judizielle Praxis bei möglicherweise mit Behandlungsfehlern zusammenhängenden Gesundheitsschäden von Patienten geringere Anforderungen an den Kausalitätsbeweis, zumal ein festgestellter schuldhafter Behandlungsfehler auf einen nachteiligen Kausalverlauf geradezu hinweist. Insbesondere dann, wenn das schädigende Verhalten in Unterlassungen besteht, genügt ein sehr hoher Grad von Wahrscheinlichkeit des Zusammenhangs für die Haftung.

 

Ebenso entspricht es der Rsp, dass für den dem Kläger obliegenden Beweis der Kausalität zwischen Behandlungsfehler und Gesundheitsschaden der Nachweis genügt, dass die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts durch den Fehler der Ärzte nicht bloß unwesentlich erhöht wurde. Dem Beklagten obliegt dann der volle Beweis, dass die erwiesene Vertragsverletzung im konkreten Fall für die nachteiligen Folgen mit größter Wahrscheinlichkeit unwesentlich geblieben sei.

 

Alternative Kausalität ist gegeben, wenn Handlungen oder Unterlassungen mehrerer Personen, die je für sich als voller Haftungsgrund geeignet sind, als Schadensursache in Frage kommen, ohne dass feststellbar ist, wer von ihnen den Schaden tatsächlich verursacht hat. In Fällen der alternativen Kausalität wird die Haftung an die potentielle Verursachung der in Betracht kommenden Schädiger geknüpft, weswegen in der Rsp gefordert wird, dass die Täter in hohem Maß konkret gefährlich für den Schadenseintritt gehandelt haben. Deren Verhalten muss für den Schadenseintritt in höchstem Grad adäquat gewesen sein.

 

Bei einer Konkurrenz von haftungsbegründendem Verhalten und Zufall entspricht es der mittlerweile gefestigten Rsp, dass der Schädiger durch sein rechtswidriges und schuldhaftes Tun, der Geschädigte hingegen durch den Zufall belastet wird. In Analogie zu § 1304 ABGB wird dazu vertreten, dass in solchen Fällen eine Schadensteilung vorzunehmen ist. Ist eine der konkret gefährlichen, potenziellen Ursachen dem Geschädigten zurechenbar, kommt es im Zweifel zu einer gleichteiligen Schadenstragung.

 

Krankheitserscheinungen, die durch einen Unfall nur deshalb ausgelöst wurden, weil die Anlage zur Krankheit bei dem Verletzten bereits vorhanden war, sind iSd Adäquanz in vollem Umfang Unfallsfolge, sofern die krankhafte Anlage nicht auch ohne die Verletzung in absehbarer Zeit den gleichen gesundheitlichen Schaden herbeigeführt hätte. Das Risiko einer für den Schaden mitursächlichen Anlage des Geschädigten hat – mit der Grenze der Adäquanz – der schuldhaft und kausal handelnde Schädiger zu tragen. Aus diesem Grund bleibt der Schädiger grundsätzlich für den gesamten Schadenserfolg verantwortlich, wenn zwei Umstände nur zusammen, beispielsweise eine unmittelbar durch den Unfall herbeigeführte Verletzung zusammen mit einer besonderen Veranlagung des Verletzten, die Schwere des Verletzungserfolgs bedingen.

 

Der Erstbeklagte ist Gynäkologe und betreute die Zweitklägerin während ihrer Schwangerschaft mit der Erstklägerin. Aufgrund eines von ihm falsch beurteilten CTG, das eine sofortige Einleitung der Entbindung erforderlich gemacht hätte, sowie weiterer ihm zurechenbaren Verzögerungen kam es erst mit einer Verspätung von fünf Stunden zur Entbindung. Dabei wurde ein Nabelschnurknoten sowie eine Nabelschnurumschlingung festgestellt. Aufgrund der damit verbundenen Sauerstoffunterversorgung weist die Erstklägerin schwere Hirnschäden auf. Mit überwiegender Wahrscheinlichkeit lag ein Sauerstoffmangel bereits bei der Erstellung des ersten CTG vor. Wieweit zu diesem Zeitpunkt bereits eine Schädigung des kindlichen Gehirns vorlag, lässt sich nachträglich nicht sagen. Je länger eine Sauerstoffunterversorgung stattfindet, desto schwerer ist die Schädigung. Zum damaligen Zeitpunkt war der Gesamtschaden jedenfalls noch nicht eingetreten. Es ist allerdings nicht feststellbar, wie viel des Schadens damals bereits eingetreten war. Dadurch, dass die Entbindung nicht in der erforderlichen Entschlossenheit angestrebt wurde, ist mit überwiegender Wahrscheinlichkeit der Schaden größer geworden.

 

Der Erstklägerin ist nicht nur der Nachweis der Erhöhung des Risikos durch den Behandlungsfehler – die länger dauernde Sauerstoffunterversorgung – gelungen, sondern sogar der Nachweis, dass ein Teil des Schadens jedenfalls durch den Erstbeklagten verursacht wurde. Aufgrund der eindeutigen Zuordenbarkeit zumindest eines Teils des Schadens ist dem Erstbeklagten nicht nur eine potentielle Verursachung zur Last zu legen und liegt daher kein Fall der alternativen Kausalität vor. Es wäre daher an ihm gelegen nachzuweisen, dass nicht der gesamte Schaden auf den Behandlungsfehler zurückzuführen ist. Die diesbezügliche Negativfeststellung geht zu seinen Lasten.

 

Die sich im Rahmen der stRsp haltenden Entscheidungen der Vorinstanzen, die die grundsätzliche Haftung des Erstbeklagten für den gesamten Schaden aufgrund dieser Beweislastumkehr bejahten, sind daher nicht korrekturbedürftig. Auf die vom Berufungsgericht ebenfalls zitierte Rsp zum Anlageschaden, gegen deren Anwendbarkeit auf den vorliegenden Fall sich die Revision wendet, kommt es nicht an.

 

Soweit der Erstbeklagte eine Solidarhaftung mit dem Argument anstrebt, dass auch das zweitbeklagte Spital, in dem er letztlich die Entbindung vorgenommen hat, Sorgfaltsverstöße zu verantworten hat, ist darauf zu verweisen, dass ein allfälliger interner Ausgleich zwischen Solidarschuldnern nicht Gegenstand des Verfahrens des Geschädigten gegen die Solidarschuldner ist.

 

Der Schädiger hat nur für adäquat herbeigeführte Schäden einzustehen, was dann der Fall ist, wenn die Schadensursache ihrer allgemeinen Natur nach für die Herbeiführung eines derartigen Erfolgs nicht als völlig ungeeignet erscheinen muss und nicht nur infolge einer ganz außergewöhnlichen Verkettung von Umständen zu einer Bedingung des Schadens wurde. Wenn die weitere Ursache im Fehler eines Dritten liegt, scheidet die Haftung aus, wenn mit dem dadurch bedingten Geschehensablauf nach der Lebenserfahrung nicht zu rechnen war, er also außerhalb jeder Wahrscheinlichkeit lag.

 

Davon ist jedoch im konkreten Fall nicht auszugehen. So wird etwa eine allfällige Fehleinschätzung der die Nachoperation durchführenden Ärzte regelmäßig als adäquate Folge einer Aufklärungsverletzung angesehen. Auch die Revision zeigt nicht auf, warum eine solche Zurechnung nicht zu erfolgen hätte. Die Maßnahmen der Mitarbeiter der Zweitbeklagten, aus denen der Erstbeklagte ein haftungsbegründendes Fehlverhalten ableiten will, sind adäquate Folge des Fehlverhaltens des Erstbeklagten, der nicht bereits auf Basis des ersten CTG ausreichende Schritte für die Einleitung einer sofortigen Entbindung der Erstklägerin gesetzt hat. Da er somit als Verursacher des Gesamtschadens anzusehen ist, kommt auch eine Haftungsteilung nach § 1302 ABGB nicht in Betracht. Inwieweit ihm allenfalls ein Regressanspruch gegenüber der Zweitbeklagten zusteht, ist wie ausgeführt, in diesem Verfahren nicht zu beurteilen.