25.10.2016 Verkehrsrecht

VwGH: Verlängerung der Entziehungsdauer iSd § 24 Abs 3 6. Satz FSG, wenn einer "Anordnung" des Amtsarztes nicht Folge geleistet wird?

Vor dem Hintergrund, insbesondere der Entstehungsgeschichte der maßgebenden Regelungen, ist § 24 Abs 3 sechster Satz FSG dahin zu verstehen, dass eine "Beibringung" des aufgetragenen amtsärztlichen Gutachtens (§ 24 Abs 3 erster Satz FSG) und insoweit eine "Befolgung" der diesbezüglichen Anordnung (§ 24 Abs 3 sechster Satz) schon dann vorliegt, wenn sich der Betreffende der amtsärztlichen Untersuchung unterzogen und an ihr mitgewirkt hat (ua dadurch, dass er die Befunde, deren Beibringung ihm bereits rechtskräftig aufgetragen wurde, mitnimmt); wurde die Beibringung von Befunden nicht durch Bescheid aufgetragen, meint aber der Amtsarzt, solche Befunde zur Erstattung seines Gutachtens zu benötigen, hat die Behörde gegebenenfalls (teilt sie diese Auffassung) mit Bescheid einen Auftrag zur Beibringung dieser Befunde zu erlassen


Schlagworte: Führerscheinrecht, Entziehung, Beibringung eines amtsärztlichen Gutachtens, gesundheitliche Eignung, Anordnung des Amtsarztes
Gesetze:

 

§ 24 FSG, § 28 FSG

 

GZ Ra 2014/11/0087, 08.09.2016

 

VwGH: § 28 Abs 1 FSG knüpft die Ausfolgung des Führerscheins (nach einer vorangegangenen Entziehung) daran, dass die Entziehungsdauer abgelaufen ist und nicht länger als 18 Monate war (diesfalls wäre die Lenkberechtigung gem § 27 Abs 1 Z 1 FSG erloschen) und keine weitere Entziehung der Lenkberechtigung angeordnet wird (was im Revisionsfall nicht geschehen ist). Entscheidend für die Frage, ob der Führerschein dem Mitbeteiligten zu Recht auszufolgen war, ist also primär, ob die Entziehungsdauer bereits abgelaufen war (und die Grenze von 18 Monaten nicht überschritten hat).

 

Gem § 24 Abs 3 6. Satz FSG endet die Entziehungsdauer nicht vor Befolgung der Anordnung, wenn eine der nach Abs 3 erlassenen Anordnungen nicht befolgt oder die zur Erstellung des ärztlichen Gutachtens erforderlichen Befunde nicht beigebracht wurden. Gem § 24 Abs 3 10. Satz FSG ist die Anordnung der begleitenden Maßnahme oder des ärztlichen Gutachtens mit Bescheid der Behörde zu treffen, sei es direkt im Entziehungsbescheid, sei es mit einem gesonderten Bescheid zugleich mit dem Entziehungsbescheid.

 

Gem § 24 Abs 3 4. Satz FSG kann "im Rahmen des ärztlichen Gutachtens" die Beibringung der "erforderlichen fachärztlichen oder einer verkehrspsychologischen Stellungnahme" aufgetragen werden. Der Wortlaut dieser Bestimmung lässt zwar offen, wann und von wem der entsprechende Auftrag erteilt werden kann (ob von der Behörde anlässlich der Entziehung; oder vom Amtsarzt anlässlich der Untersuchung), aus dem Zusammenhang der Regelung, insbesondere dem 10. Satz des Abs 3, wird aber klar, dass auch eine solche Anordnung von der Behörde, und zwar bei der Entziehung, zu treffen ist (vgl dazu das zu einer Aufforderung nach § 24 Abs 4 FSG ergangene Erkenntnis vom 23. September 2014, Ra 2014/11/0023, wonach dann, wenn der Inhaber einer Lenkberechtigung aufgefordert wird, die zur Erstattung des amtsärztlichen Gutachtens erforderlichen Befunde zu erbringen, diese im Aufforderungsbescheid im Einzelnen anzuführen sind, weil ansonsten die Beantwortung der Frage nach der Erforderlichkeit solcher Befunde an den Amtsarzt delegiert und damit der gerichtlichen Überprüfung entzogen würde). Bestätigt wird dieses Auslegungsergebnis durch die Ausführungen in der Regierungsvorlage zur 5. FSG-Novelle durch BGBl I Nr 81/2002, wonach mit der Neuregelung durch § 24 Abs 3 FSG "umfassend" alle möglichen Anordnungen geregelt würden, die anlässlich der Entziehung "von der Behörde" angeordnet werden können.

 

Die Verlängerung der Entziehungsdauer iSd § 24 Abs 3 6. Satz FSG setzt damit jedenfalls einen Verstoß gegen eine entsprechende behördliche Anordnung voraus; diese Rechtsfolge tritt also nicht schon dadurch ein, dass einer "Anordnung" des Amtsarztes nicht Folge geleistet wird (vgl das Erkenntnis vom 17. Juni 2009, 2009/11/0052, wonach ein behördlicher Auftrag zur Vorlage einer verkehrspsychologischen Stellungnahme nach § 24 Abs 4 FSG nicht allein mit einem entsprechenden "Verlangen" des Amtsarztes begründet werden kann, vielmehr der Darlegung begründeter Bedenken an der kraftfahrspezifischen Leistungsfähigkeit oder der Bereitschaft zur Verkehrsanpassung durch die Behörde bedarf).

 

Offen bleibt dabei zunächst, welche Konsequenzen der - im vorliegenden Fall zu beurteilende - Umstand hat, dass dem Betroffenen rechtskräftig (wie hier dem Mitbeteiligten mit dem Entziehungsbescheid des UVS) entsprechend § 24 Abs 3 1. Satz FSG die "Beibringung eines amtsärztlichen Gutachtens" über die gesundheitliche Eignung aufgetragen wurde, diese Beibringung aber deshalb unterbleibt, weil sich der Betroffene - unter Beibringung des im Entziehungsbescheid gleichfalls geforderten "Haartests" - zwar der amtsärztlichen Untersuchung unterzieht, das Gutachten durch den Amtsarzt aber nicht erstattet wird, weil dieser zur abschließenden Beurteilung die Beibringung weiterer Befunde für erforderlich hält. Gestützt auf den Wortlaut der anzuwendenden Bestimmungen allein könnte (wie von der Revisionswerberin) die Auffassung vertreten werden, in einem solchen Fall ende die Entziehungsdauer nicht vor Befolgung der Anordnung auf Beibringung weiterer Befunde. Dagegen spricht aber schon, dass eine Anordnung auf Beibringung weiterer Befunde (abgesehen vom Haartest), die von der Behörde mit Bescheid (zusammen mit der Entziehung) zu erlassen (gewesen) wäre, vorliegend nicht erfolgt ist. Allerdings war dem Mitbeteiligten (mit dem seitens des UVS bestätigten Bescheid der belBeh anlässlich der Entziehung) auch die Beibringung eines amtsärztlichen Gutachtens aufgetragen worden, was bislang aus den dargestellten Gründen unterblieben ist, worauf sich die Revisionswerberin ebenfalls - zentral - stützt.

 

Vor dem Hintergrund des insoweit klaren Ziels der Regelung des § 24 FSG, Personen, die nicht verkehrszuverlässig oder nicht gesundheitlich geeignet zum Lenken eines Kraftfahrzeugs sind, vom Lenken eines Kraftfahrzeugs auszuschließen und allfällige Bedenken an der gesundheitlichen Eignung durch ein behördliches Verfahren klären zu lassen, mit Einbeziehung der aus den Materialien erkennbaren Regelungsabsicht des historischen Gesetzgebers und unter Beachtung des Regelungszusammenhangs zwischen § 24 FSG und § 28 FSG ist die Argumentation der Revisionswerberin aber nicht zielführend:

 

Vor dem Hintergrund, insbesondere der Entstehungsgeschichte der maßgebenden Regelungen, ist § 24 Abs 3 sechster Satz FSG dahin zu verstehen, dass eine "Beibringung" des aufgetragenen amtsärztlichen Gutachtens (§ 24 Abs 3 erster Satz FSG) und insoweit eine "Befolgung" der diesbezüglichen Anordnung (§ 24 Abs 3 sechster Satz) schon dann vorliegt, wenn sich der Betreffende der amtsärztlichen Untersuchung unterzogen und an ihr mitgewirkt hat (ua dadurch, dass er die Befunde, deren Beibringung ihm bereits rechtskräftig aufgetragen wurde, mitnimmt). Wurde die Beibringung von Befunden nicht durch Bescheid aufgetragen, meint aber der Amtsarzt, solche Befunde zur Erstattung seines Gutachtens zu benötigen, hat die Behörde gegebenenfalls (teilt sie diese Auffassung) mit Bescheid einen Auftrag zur Beibringung dieser Befunde zu erlassen.

 

Für den Revisionsfall bedeutet dies Folgendes: Dem Mitbeteiligten war die Beibringung einer von der Amtsärztin im Rahmen der Untersuchung vom 10. Juli 2014 für erforderlich angesehenen verkehrspsychologischen und psychiatrischen Stellungnahme im zu Grunde liegenden Entziehungsbescheid des UVS nicht aufgetragen worden; den vom UVS geforderten "Haartest" hat er beigebracht. Auch wenn vom UVS - insoweit im Einklang mit dem Wortlaut des § 24 Abs 3 FSG - dem Mitbeteiligten die "Beibringung eines amtsärztlichen" Gutachtens aufgetragen worden war und nicht etwa (bloß), sich amtsärztlich untersuchen zu lassen (entsprechend § 24 Abs 4 FSG), durfte ihm nicht unter Berufung auf § 28 Abs 1 Z 1 FSG die Wiederausfolgung des Führerscheins verweigert werden:

 

Die Konsequenzen der Nichterstattung des Gutachtens durch den Amtsarzt auf den Mitbeteiligten zu verlagern, der denjenigen Befund erbracht hat, der allein nach dem maßgeblichen Bescheid des UVS für die Erstattung des amtsärztlichen Gutachtens erforderlich war, nämlich den sog "Haartest", würde genau zu dem "kalten Entzug" führen, dem durch den Gesetzgeber der 5. FSG-Novelle mittels der Neufassung der in Rede stehenden Bestimmungen Einhalt geboten werden sollte. Da also die "Einbehaltung des Führerscheins nach Ablauf der Entziehungsdauer aus Gründen mangelnder gesundheitlicher Eignung unzulässig ist, sofern dies nicht bescheidmäßig festgehalten wird" (RV, 31), wäre es Sache der belBeh gewesen, im Fall des Bestehens begründeter Bedenken an der gesundheitlichen Eignung des Mitbeteiligten diesen durch Bescheid zur Beibringung aufzufordern, um die zur Erstellung des amtsärztlichen Gutachtens erforderlichen Befunde zu erhalten, und, falls die Bedenken im Zuge dieses Verfahrens erhärtet werden oder der Mitbeteiligte einer rechtskräftigen bescheidmäßigen Aufforderung nicht nachkommt, die Entziehung (für die Dauer der gesundheitlichen Nichteignung bzw bis zur Befolgung der Anordnung) auszusprechen. Durch die von der belBeh eingeschlagene Vorgangsweise wurde hingegen der vom Gesetzgeber mit der 5. FSG-Novelle vorgezeichnete Weg umgangen, was vom VwG mit der in Revision gezogenen Entscheidung im Ergebnis zutreffend korrigiert wurde.

 

Die Richtigkeit des eben Dargelegten wird durch folgende Überlegung unterstrichen: Selbst wenn anlässlich der amtsärztlichen Untersuchung vom 10. Juli 2014 die Amtsärztin die Vorlage weiterer Befunde nicht für erforderlich gehalten und sogleich ein "negatives", also die gesundheitliche Eignung verneinendes Gutachten erstattet hätte, wäre ohne die darauf gestützte tatsächliche Anordnung einer Entziehung der Lenkberechtigung der Führerschein nach § 28 FSG dennoch auszufolgen (gewesen), weil nur eine "weitere Entziehung der Lenkberechtigung" iSd § 28 Abs 1 Z 2 FSG ein Hindernis für die Ausfolgung ist, nicht aber schon (bloße) Bedenken an der gesundheitlichen Eignung. Insoweit gleicht die vorliegende Konstellation dem Grundfall des § 24 Abs 4 FSG: Auch wenn Bedenken an der gesundheitlichen Eignung bestehen, darf dem Betroffenen die Lenkberechtigung erst entzogen (und damit ein Lenken von Kraftfahrzeugen durch ihn verhindert) werden, wenn sich die Bedenken im Zuge des Verfahrens erhärten (wenn also die gesundheitliche Nichteignung festgestellt wird) bzw wenn der Betroffene die Erhärtung bzw Zerstreuung der Bedenken selbst dadurch unmöglich macht, dass er einer entsprechenden rechtskräftigen Aufforderung nicht nachkommt (Formalentziehung); solange dies nicht der Fall ist, darf der Betroffene aber von seiner Lenkberechtigung Gebrauch machen.