OGH: Rechtsschutzversicherung – zur Anzeige- und Aufklärungsobliegenheit nach Art 8.1.1. ARB 2003
Art 8.1.1. ARB 2003 beruht auf der Überlegung, dass der Versicherer kein Interesse daran haben kann, von jedem möglichen Schadenereignis oder Verstoß gegen vertragliche oder gesetzliche Rechtspflichten zu erfahren, ohne dass feststeht, dass dies zu einer kostenauslösenden Reaktion führen kannE erst wenn sich kostenauslösende Maßnahmen abzeichnen, dh wenn sich die rechtliche Auseinandersetzung so weit konkretisiert hat, dass der Versicherungsnehmer mit der Aufwendung von Rechtskosten rechnen muss und deshalb seinen Rechtsschutzversicherer in Anspruch nehmen will, entsteht für ihn die Obliegenheit, den Versicherer unverzüglich zu informieren und kostenauslösende Maßnahmen mit ihm abzustimmen; dessen Unterrichtung hat spätestens in einem Stadium zu erfolgen, das dem Versicherer noch die Prüfung seiner Eintrittspflicht und die Abstimmung von Maßnahmen erlaubt; insbesondere ist der Versicherer – abgesehen von eiligen Fällen – so zeitig zu unterrichten, dass er noch ausreichend Zeit hat, die Erfolgsaussichten der Prozessführung abzuklären
Art 8 ARB 2003, § 34 VersVG
GZ 7 Ob 140/16p, 31.08.2016
Zwischen den Parteien besteht ein Rechtsschutzversicherungsvertrag, dem die Allgemeinen Bedingungen für die Rechtsschutz-Versicherung (ARB 2003) zugrunde liegen. Die ARB 2003 lauten auszugsweise:
„Artikel 8
Welche Pflichten hat der Versicherungsnehmer zur Sicherung seines Deckungsanspruches zu beachten? (Obliegenheiten)
1. Verlangt der Versicherungsnehmer Versicherungsschutz, ist er verpflichtet,
1.1. den Versicherer unverzüglich, vollständig und wahrheitsgemäß über die jeweilige Sachlage aufzuklären und ihm alle erforderlichen Unterlagen auf Verlangen vorzulegen;
…“
OGH: Bei der Bestimmung des Art 8.1.1. ARB 2003 handelt es sich nach stRsp um eine auf die Bedürfnisse des Rechtsschutzversicherers zugeschnittene Ausformung der allgemeinen Auskunftsobliegenheit des § 34 Abs 1 VersVG, wobei der Versicherungsschutz begehrende Versicherungsnehmer diese Auskünfte von sich aus, spontan und ohne konkretes Verlangen des Versicherers zu geben hat. Durch die Aufklärung soll der Versicherer in die Lage versetzt werden, sachgemäße Entscheidungen über die Behandlung des Versicherungsfalls zu treffen. Es genügt, dass die begehrte Auskunft abstrakt zur Aufklärung der Schadenereignisse geeignet ist.
Die in § 33 Abs 1 VersVG normierte Obliegenheit zur unverzüglichen Anzeige eines Versicherungsfalls gilt für die Rechtsschutzversicherung nur eingeschränkt, weil der Versicherungsnehmer den Versicherer nicht nach jedem Versicherungsfall, sondern nur dann zu unterrichten hat, wenn er aufgrund eines Versicherungsfalls Versicherungsschutz „begehrt“.
Art 8.1.1. ARB 2003 normiert für den Fall, dass der Versicherungsnehmer Versicherungsschutz verlangt, seine Verpflichtung, den Versicherungsfall dem Versicherer unverzüglich anzuzeigen und enthält damit auch eine Anzeigepflicht. Nach dieser Bestimmung steht es nicht im Belieben des Versicherungsnehmers, durch die Inanspruchnahme der Rechtsschutzversicherung die Informationsobliegenheit zeitlich hinauszuschieben, sie dadurch zeitlich außer Kraft zu setzen und dem Versicherer erst eine nachträgliche Prüfung zu ermöglichen. Der OGH erkannte in diesem Fall einen Verstoß gegen Art 8.1.1. ARB 1998, wenn das Begehren auf Rechtsschutzdeckung erst gut drei Jahre nach dem bereits eingeleiteten arbeitsgerichtlichen Verfahren erhoben wird und der Versicherungsnehmer Versicherungsschutz nachträglich für die von ihm bereits davor wahrgenommenen rechtlichen Interessen begehrt.
Art 8.1.1. ARB 2003 beruht auf der Überlegung, dass der Versicherer kein Interesse daran haben kann, von jedem möglichen Schadenereignis oder Verstoß gegen vertragliche oder gesetzliche Rechtspflichten zu erfahren, ohne dass feststeht, dass dies zu einer kostenauslösenden Reaktion führen kann. Erst wenn sich kostenauslösende Maßnahmen abzeichnen, dh wenn sich die rechtliche Auseinandersetzung so weit konkretisiert hat, dass der Versicherungsnehmer mit der Aufwendung von Rechtskosten rechnen muss und deshalb seinen Rechtsschutzversicherer in Anspruch nehmen will, entsteht für ihn die Obliegenheit, den Versicherer unverzüglich zu informieren und kostenauslösende Maßnahmen mit ihm abzustimmen. Dessen Unterrichtung hat spätestens in einem Stadium zu erfolgen, das dem Versicherer noch die Prüfung seiner Eintrittspflicht und die Abstimmung von Maßnahmen erlaubt. Insbesondere ist der Versicherer – abgesehen von eiligen Fällen – so zeitig zu unterrichten, dass er noch ausreichend Zeit hat, die Erfolgsaussichten der Prozessführung abzuklären.
Betreffend die Nichterfüllung dieser den Versicherungsnehmer treffenden Obliegenheiten ist ihm das Verhalten jener, die er zur Abwicklung des Versicherungsverhältnisses bevollmächtigt hat, zuzurechnen.
Entgegen der Ansicht der Vorinstanzen und der Beklagten ist dem Kläger keine Verletzung der (Anzeige- und) Auskunftsobliegenheit nach Art 8.1.1.1. ARB 2003 anzulasten, weil er sich bereits Ende Juli 2014 zur Klagsführung gegen den Sachverständigen entschlossen hatte, jedoch erst am 26. 8. 2014 Rechtsschutzdeckung für die einzubringende Klage begehrte. Es war der Beklagten möglich, am 28. 8. 2014 innerhalb der zweiwöchigen Frist des Art 9.1. ARB 2003 (§ 158n Abs 1 VersVG) die Deckung des Anspruchs mit näherer Begründung abzulehnen. Die Prüfung der Deckungsanfrage bestand bloß aus der Beurteilung der Gutachten und einer kurzen Mahnklage. Die Beklagte hatte offenkundig die benötigte Zeit, um ihre (nicht berechtigten) Argumente für die Ablehnung des Versicherungsschutzes zu formulieren. Jedenfalls war die Unterrichtung durch den Kläger so rechtzeitig, dass die Beklagte noch ausreichend Zeit hatte, um die Erfolgsaussichten der Prozessführung vor Klagseinbringung abzuklären.
Da somit kein Verstoß gegen die Anzeige- und Aufklärungsobliegenheit nach Art 8.1.1. ARB 2003 vorliegt, der Deckungsanspruch nach der zutreffenden Beurteilung des Berufungsgerichts, auf die gemäß § 510 Abs 3 ZPO verwiesen werden kann, auch nicht gemäß § 12 Abs 1 VersVG verjährt ist und auch die sonstigen Voraussetzungen für die Deckungspflicht der Beklagten gegeben sind, ist der Revision des Klägers Folge und – in Abänderung der Urteile der Vorinstanzen – dem Klagebegehren stattzugeben.