11.10.2016 Zivilrecht

OGH: Zur Frage der Haftung eines Sachverständigen infolge Drittwirkung eines von ihm erstatteten Gutachtens nach § 37 Abs 4 WEG 2002 bei Hinweis auf eine unvollständige Befundaufnahme

§ 37 Abs 4 WEG 2002 ist eine Schutznorm zugunsten des Wohnungseigentumsbewerbers, wobei der erkennende Senat diesen Schutz auch jenem Erwerber zubilligte, der Liegenschaftsanteile vom Wohnungseigentumsorganisator nach Begründung von Wohnungseigentum erworben hatte; denkbar erscheint auch die Erstreckung dieses Schutzes auf einen Erwerber, der zwar nicht vom Wohnungseigentumsorganisator, sondern von jemandem kauft, der in einem familiären oder wirtschaftlichen Naheverhältnis zu diesem steht, weil der Verkäufer in einem solchen Fall als Gründungshelfer angesehen werden kann; das machten die Kläger in erster Instanz nicht geltend; im vorliegenden Fall haben die Kläger weder vom Wohnungseigentümer noch einem Gründungshelfer, sondern nach Verbücherung von einem Dritten erworben; jedenfalls bei dieser Konstellation ist aber die Auffassung des Berufungsgerichts durchaus vertretbar, der Sachverständige hafte nur für ein unrichtiges Gutachten, weshalb trotz seiner Betitelung zu berücksichtigen sei, dass dem lediglich aus zwei DIN A4-Seiten bestehenden Gutachten klar zu entnehmen ist, dass der Beklagte den Keller der Liegenschaft nicht in Augenschein genommen hatte


Schlagworte: Schadenersatzrecht, Wohnungseigentumsrecht, Sachverständigenhaftung, Gutachten, Bauzustand, Erhaltungsarbeiten, unvollständige Befundaufnahme, Drittwirkung, Gründungshelfer
Gesetze:

 

§§ 1299 f ABGB, § 37 WEG 2002, § 1311 ABGB, § 28 WEG 2002, § 3 MRG

 

GZ 6 Ob 141/16b, 30.08.2016

 

OGH: Die Ersatzpflicht des Sachverständigen nach §§ 1299 f ABGB ist grundsätzlich auf den aus dem Schuldverhältnis Berechtigten beschränkt, wohingegen eine Haftung gegenüber Dritten nur dann in Betracht kommt, wenn ein Vertrag mit Schutzwirkungen zu Gunsten Dritter vorliegt oder die objektiv-rechtlichen Schutzwirkungen auf den Dritten zu erstrecken sind. Gegenüber einem Dritten trifft den Sachverständigen eine objektiv-rechtliche Sorgfaltspflicht aber, wenn er damit rechnen muss, dass sein Gutachten die Grundlage für dessen Disposition bilden werde oder wenn der Vertragspartner des Sachverständigen erkennbar gerade die Interessen dieses Dritten mitverfolgte. Geschützt ist schließlich ein Dritter auch, wenn eine Aussage erkennbar drittgerichtet ist, also ein Vertrauenstatbestand vorliegt, der für den Dritten eine Entscheidungsgrundlage darstellen soll. Entscheidend ist somit der Zweck des Gutachtens. Aus dem Gutachtensauftrag ergibt sich, welche Interessen Dritter geschützt sind. Mögliche Käufer genügen.

 

In Bezug auf die Frage der schadensverursachenden Haftung ist der Gutachtensauftrag jener Maßstab, an dem die Tauglichkeit und Richtigkeit des Gutachtens zu messen ist. Nach den Feststellungen der Vorinstanzen wurde der Beklagte hier mit der Erstellung eines „Gutachtens nach § 37 WEG“ beauftragt. Der Beklagte selbst betitelt sein Gutachten mit „Gutachten zur Feststellung des Bauzustandes der allgemeinen Teile des Hauses gemäß § 37 Abs 4 WEG“.

 

§ 37 Abs 4 WEG 2002 verpflichtet den Wohnungseigentumsorganisator, dem Wohnungseigentumsbewerber hinsichtlich eines Hauses, dessen Baubewilligung zum Zeitpunkt der Zusage älter als 20 Jahre ist, ein Sachverständigengutachten über den Bauzustand der allgemeinen Teile des Hauses, insbesondere über in absehbarer Zeit notwendig werdende Erhaltungsarbeiten zu übergeben. Das Gutachten ist in den Kaufvertrag einzubeziehen, wobei mit der Einbeziehung der beschriebene Bauzustand als bedungene Eigenschaft gilt. Erfolgt keine Einbeziehung, gilt ein Erhaltungszustand des Hauses als vereinbart, der in den nächsten zehn Jahren keine größeren Erhaltungsarbeiten erfordert. Zweck der Regelung ist es, die Übervorteilung des (einzelnen) Wohnungseigentumsbewerbers, der oft rechtlich unerfahren ist und die Problematik des Wohnungseigentums an einem Gebäude, das hohen Instandsetzungsaufwand erfordert, nicht abzuschätzen vermag, zu verhindern.

 

Das Gutachten hat gem § 37 Abs 4 WEG Auskunft über den Erhaltungszustand der allgemeinen Teile des Hauses (§ 2 Abs 4 WEG), insbesondere über die in absehbarer Zeit notwendig werdenden Erhaltungsarbeiten, zu geben. Es muss den im Gesetz definierten Anforderungen entsprechen und von einer dafür qualifizierten Person erstellt worden sein. Der Terminus „Erhaltungsarbeit“ ist iSd § 28 Abs 1 Z 1 WEG und damit im Einklang mit § 3 Abs 1 und 2 MRG auszulegen. Der Begriff der „absehbaren Zeit“ wird von Stimmen in der Literatur mit zehn Jahren konkretisiert. Damit ist der notwendige Inhalt eines Gutachtens nach § 37 Abs 4 WEG im Wesentlichen vorgegeben, den jedoch das Gutachten des Beklagten (im Revisionsverfahren unstrittig) nicht aufwies.

 

§ 37 Abs 4 WEG ist eine Schutznorm zugunsten des Wohnungseigentumsbewerbers, wobei der erkennende Senat diesen Schutz auch jenem Erwerber zubilligte, der Liegenschaftsanteile vom Wohnungseigentumsorganisator nach Begründung von Wohnungseigentum erworben hatte. Denkbar erscheint auch die Erstreckung dieses Schutzes auf einen Erwerber, der zwar nicht vom Wohnungseigentumsorganisator, sondern von jemandem kauft, der in einem familiären oder wirtschaftlichen Naheverhältnis zu diesem steht, weil der Verkäufer in einem solchen Fall als Gründungshelfer angesehen werden kann. Das machten die Kläger in erster Instanz nicht geltend. Im vorliegenden Fall haben die Kläger weder vom Wohnungseigentümer noch einem Gründungshelfer, sondern nach Verbücherung von einem Dritten erworben.

 

Jedenfalls bei dieser Konstellation ist aber die Auffassung des Berufungsgerichts durchaus vertretbar, der Sachverständige hafte nur für ein unrichtiges Gutachten, weshalb trotz seiner Betitelung zu berücksichtigen sei, dass dem lediglich aus zwei DIN A4-Seiten bestehenden Gutachten klar zu entnehmen ist, dass der Beklagte den Keller der Liegenschaft nicht in Augenschein genommen hatte; weiters habe er klar darauf hingewiesen, dass eine zielgerichtete Untersuchung der Tragfähigkeit der Fundamente, Mauern udgl nicht erfolgt war, und festgehalten, dass „aufgrund der augenscheinlichen Besichtigung“ keine Anzeichen einer Instabilität wie Risse im Mauerwerk, an den Decken und Stiegen im Stiegenhaus und an den Außenfassaden vorhanden sind (vgl 3 Ob 93/05f, wo der Sachverständige mehrfach darauf hingewiesen hatte, keine abschließende Stellungnahme abgegeben und sein Gutachten auf unverlässlichen bzw unvollständigen Grundlagen aufgebaut zu haben). Tatsächlich enthält das Gutachten keine Aussage über den (letztlich Sanierungsaufwand verursachenden) Zustand des Kellers und dort allenfalls zu erwartende Erhaltungsarbeiten, was eben ausdrücklich damit begründet wurde, dass der Keller nicht besichtigt worden war.

 

Auf die Frage, inwieweit die Verkäuferin mit einem solchen Gutachten ihre Verpflichtung nach § 37 Abs 4 WEG erfüllt hätte, muss hier nicht eingegangen werden.