15.08.2016 Verfahrensrecht

OGH: § 31 IO; fahrlässige Unkenntnis eines Sozialversicherungsträgers von der Zahlungsunfähigkeit eines Unternehmens – Medienberichte als „Insolvenzindikator“

Liegen Insolvenzindikatoren vor, darf sich der Anfechtungsgegner nicht mit der Behauptung des Schuldners über eine bloße Zahlungsstockung zufrieden geben, sondern muss diese überprüfen; als jedenfalls zumutbares Auskunftsmittel ist der Schuldner anzusehen, der zu seinen Behauptungen über eine bloße Zahlungsstockung, die offenen Kundenforderungen und die vorhandenen liquiden Mittel, die Liquiditätsplanung und insbesondere über den Stand der fälligen Schulden sowie auch zur Vorlage von Urkunden (insbesondere Liquiditätsbilanz, offene Postenlisten, allenfalls letzte Bilanz) aufgefordert werden kann; dass auch übereinstimmende Medienberichte über die massive wirtschaftliche Krise eines Unternehmens für sich allein einen Insolvenzindikator darstellen können, der insbesondere bei einem Großgläubiger wie einer Gebietskrankenkasse Erkundigungspflichten auslöst, wurde bereits judiziert


Schlagworte: Insolvenzverfahren, Anfechtung wegen Kenntnis der Zahlungsunfähigkeit, Sozialversicherungsträger, Großgläubiger, Erkundigungspflicht, Medienberichte
Gesetze:

 

§ 31 IO

 

GZ 3 Ob 92/16z, 13.07.2016

 

OGH: Gem § 31 Abs 1 Z 2 IO sind nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit vorgenommene Rechtshandlungen anfechtbar, durch die ein anderer Insolvenzgläubiger Sicherstellung oder Befriedigung erlangt, und alle vom Schuldner mit anderen Personen eingegangenen, für die Gläubiger unmittelbar nachteiligen Rechtsgeschäfte, wenn dem anderen Teil die Zahlungsunfähigkeit oder der Eröffnungsantrag bekannt war oder bekannt sein musste.

 

Dieser Anfechtungstatbestand dient dem Schutz des Grundsatzes der Gleichbehandlung der Gläubiger (par conditio creditorum): Der Anfechtungserfolg soll die Konkursmasse so stellen, als ob der Konkurs schon bei Eintritt der Zahlungsunfähigkeit (der relevanten Überschuldung) eröffnet worden wäre. Dementsprechend soll ein Gläubiger jene Zahlung (oder Sicherstellung), die er von seinem Schuldner nach Eintritt der Insolvenzvoraussetzungen, aber noch vor Einleitung des gesetzlichen Verfahrens, das die gleichmäßige Befriedigung aller Gläubiger sicherstellen soll, erlangt hat, wieder in den der Befriedigung aller Gläubiger dienenden Fonds (die Insolvenzmasse) der Schuldnerin zurückstellen.

 

Dass die Schuldnerin (jedenfalls) zum Zeitpunkt der Zahlung vom 17. Mai 2013 materiell insolvent war, ist unstrittig. Der in § 31 Abs 1 Z 2 IO normierte Tatbestand des Kennenmüssens ist dann erfüllt, wenn die Unkenntnis des Anfechtungsgegners auf einer Außerachtlassung der gehörigen Sorgfalt beruht; es genügt leichte Fahrlässigkeit des Anfechtungsgegners. Die Frage, ob dem Anfechtungsgegner fahrlässige Unkenntnis zur Last fällt, ist nach den ihm im Zeitpunkt der Vornahme der angefochtenen Rechtshandlung zu Gebote stehenden Auskunftsmitteln, dem Maß ihrer ihm vernunftgemäß zuzumutenden Heranziehung und der Ordnungsmäßigkeit ihrer Bewertung zu beantworten. Die Anzeichen einer wirtschaftlichen Krise müssen Anlass sein, mit zumutbaren Mitteln Erkundigungen einzuziehen.

 

An die Sorgfaltspflicht bestimmter Großgläubiger, zu denen grundsätzlich auch die Krankenversicherungsträger gehören, ist ein strenger Maßstab anzulegen, weil sie über entsprechende Ressourcen zur Bonitätsüberwachung ihrer Schuldner verfügen. Sie sind nach der Rsp ua zu Nachforschungen verpflichtet, wenn getroffene Ratenvereinbarungen nicht mehr eingehalten werden.

 

Liegen Insolvenzindikatoren vor, darf sich der Anfechtungsgegner nicht mit der Behauptung des Schuldners über eine bloße Zahlungsstockung zufrieden geben, sondern muss diese überprüfen. Als jedenfalls zumutbares Auskunftsmittel ist der Schuldner anzusehen, der zu seinen Behauptungen über eine bloße Zahlungsstockung, die offenen Kundenforderungen und die vorhandenen liquiden Mittel, die Liquiditätsplanung und insbesondere über den Stand der fälligen Schulden sowie auch zur Vorlage von Urkunden (insbesondere Liquiditätsbilanz, offene Postenlisten, allenfalls letzte Bilanz) aufgefordert werden kann.

 

Dass auch übereinstimmende Medienberichte über die massive wirtschaftliche Krise eines Unternehmens für sich allein einen Insolvenzindikator darstellen können, der insbesondere bei einem Großgläubiger wie einer Gebietskrankenkasse Erkundigungspflichten auslöst, wurde bereits judiziert.

 

Die Ende Jänner/Anfang Februar 2013 veröffentlichten Medienberichte waren zweifellos geeignet, eine solche Erkundigungspflicht der Beklagten auszulösen; ergab sich daraus doch nicht bloß eine angespannte wirtschaftliche Lage der Schuldnerin, sondern eine ohne Einigung mit den Gläubigern unmittelbar drohende Insolvenz. Entgegen der Ansicht der Vorinstanzen wurde diese Nachforschungspflicht der Beklagten auch nicht durch die nachfolgende Medienberichterstattung beseitigt. Anfang März 2013 wurde zwar über die Einigung der Schuldnerin mit den Gläubigerbanken berichtet, allerdings ging aus den Pressemeldungen zweifelsfrei hervor, dass die Insolvenz der Schuldnerin nur vorerst – unter der Bedingung des (fraglichen) Erfolgs eines näher beschriebenen Sanierungskonzepts, das insbesondere den Verkauf von ausländischen Unternehmensbeteiligungen vorsah – abgewendet war.

 

An dieser Situation änderte sich auch in der Folge bis zur angefochtenen Zahlung vom 17. Mai 2013 nichts Entscheidendes, weil es in diesem Zeitraum – abgesehen von (mit den Informationen vom Jahresanfang korrespondierenden) Berichten über einen Verlust der Schuldnerin von fast 500 Millionen EUR im vorangegangenen Geschäftsjahr – nur Berichte gab, wonach sich der neue Geschäftsführer der Schuldnerin sehr optimistisch bezüglich des Sanierungserfolgs und der künftigen Entwicklung des Unternehmens äußerte, ohne dass die Richtigkeit dieser Einschätzung festgestanden wäre. Auf diese Pressemeldungen – und die darin wiedergegebenen Aussagen des Geschäftsführers der Schuldnerin – durfte sich die Beklagte aber angesichts des Vorliegens eines Insolvenzindikators (hier: der vorangegangenen Medienberichterstattung) ebenso wenig verlassen wie auf eine allfällige unmittelbar an sie gerichtete unbelegte Behauptung der Schuldnerin über ihre (günstige) wirtschaftliche Lage.

 

Die Beklagte hat nicht nur außer Streit gestellt, dass die Schuldnerin am 17. Mai 2013 materiell insolvent war, sondern auch, dass sie dies bei entsprechenden Nachforschungen – zu denen sie freilich verpflichtet gewesen wäre – erkennen hätte können. Das Vorliegen der weiteren Anfechtungsvoraussetzungen (Befriedigungstauglichkeit und Gläubigerbenachteiligung) hat die Beklagte zu Recht nicht bestritten. In Abänderung der Entscheidungen der Vorinstanzen ist das Klagebegehren in dem vom Teilurteil des Erstgerichts umfassten Umfang daher berechtigt. Dem Kläger stehen die begehrten gesetzlichen Zinsen ab dem Zeitpunkt des Einlangens der angefochtenen Zahlung bei der Beklagten zu, weil diese gem § 39 Abs 2 IO nach erfolgreicher Anfechtung als unredlicher Besitzer anzusehen ist, der nach § 335 ABGB haftet.