OGH: Zum negativen Publizitätsprinzip im Zwangsversteigerungsverfahren
Bei einem Überbot muss der Überbieter im Zeitpunkt der Abgabe seines Überbots gutgläubig sein
§§ 1500 ABGB, § 156 EO, § 170a EO
GZ 1 Ob 261/15m, 21.06.2016
OGH: § 1500 ABGB regelt, unter welchen Voraussetzungen ein rechtsgeschäftlicher Erwerber einer Liegenschaft vom bücherlichen Vormann das (unbeschränkte) Eigentum erwerben kann, obwohl bereits ein Dritter - idR durch Ersitzung - ein außerbücherliches dingliches Recht (Dienstbarkeit, Eigentum) erworben hat. Voraussetzung ist va der Erwerb im Vertrauen auf die öffentlichen Bücher, also die Gutgläubigkeit im Hinblick auf das Recht des bücherlichen Vormanns. Der gutgläubige Erwerb macht dann die bereits vollendete Ersitzung des Dritten als Ausfluss des negativen Publizitätsprinzips wirkungslos. Geschützt ist das Vertrauen des Erwerbers auf das Hauptbuch, die Einsichtnahme in die Urkundensammlung ist nur dann zu verlangen ist, wenn im Hauptbuch darauf verwiesen wird. Weitere Nachforschungspflichten bestehen nur bei indiziertem Verdacht, dass die tatsächlichen Besitzverhältnisse nicht dem Buchstand entsprechen, va bei offenkundigen Dienstbarkeiten. Vom Liegenschaftserwerber wird idR eine Besichtigung verlangt. Die Redlichkeit muss sowohl bei Vertragsabschluss als auch noch bei Antragstellung auf Einverleibung vorliegen. Die nach der Antragstellung, aber vor der Verbücherung erlangte Kenntnis hindert den Eigentumserwerb nicht. Die zu § 1500 ABGB entwickelten Grundsätze sind auch auf den Erwerb durch Zwangsversteigerung zu übertragen.
Für Zwangsversteigerungen bestimmt § 170a Z 1 EO, dass in das Versteigerungsedikt auch die Aufforderung aufzunehmen ist, Rechte an der Liegenschaft, welche die Versteigerung unzulässig machen würden, spätestens im Versteigerungstermin vor Beginn der Versteigerung bei Gericht anzumelden, widrigenfalls sie zum Nachteil eines gutgläubigen Erstehers nicht mehr geltend gemacht werden können. Meldet hingegen ein Dritter iSd Aufforderung im Versteigerungsedikt Rechte, etwa ein kraft Ersitzung erworbenes Eigentumsrecht, an und macht er diesen Erwerb ausreichend plausibel, wird damit das Vertrauen der in der Versteigerungstagsatzung anwesenden Bietinteressenten erschüttert, die damit nicht mehr auf das Eigentum des Verpflichteten vertrauen können.
Gutgläubigkeit muss nur bis zur Abgabe des Meistbots vorliegen; dabei handelt es sich um die letzte Handlung (bzw Erklärung) des Erstehers, die seinem Eigentumserwerb vorausgeht. Auch beim Überbot ist für die Beurteilung der für den Eigentumserwerb vom nicht mehr Berechtigten erforderlichen Redlichkeit auf die letzte Handlung des Überbieters abzustellen, mit der er das Verfahren über sein Überbot in Gang setzt und die von ihm rechtmäßigerweise nicht mehr zurückgenommen werden kann. Der gute Glaube muss daher im Zeitpunkt der Abgabe des Überbots vorliegen.