OGH: Zur Frage, ob eine 12-Jährige mit altersgemäßem äußeren Erscheinungsbild noch als Kind iSd § 29a StVO anzusehen ist
Zur Frage, ob die Klägerin als Kind iSd § 29a StVO anzusehen ist oder nicht, ist hier deshalb nicht entscheidungsrelevant, weil Normadressat dieser Bestimmung nur die Lenker von Kraftfahrzeugen sind und nicht die Fußgänger, und sich daher aus der Verletzung dieser Bestimmung nur Auswirkungen auf die normerfassten Kfz-Lenker ableiten lassen, nicht aber auf Fußgänger, wie hier die Klägerin
§ 29a StVO, § 76 StVO, §§ 1295 ff ABGB, § 1 EKHG, § 5 EKHG, § 7 EKHG, § 1304 ABGB
GZ 2 Ob 213/15k, 25.05.2016
Der Beklagte bezieht sich auf die vom Berufungsgericht aufgeworfene Rechtsfrage der Qualifikation der Klägerin als Kind iSd § 29a StVO. Gem § 65 StVO sei Kindern über 12 Jahren die selbstständige Teilnahme am öffentlichen Verkehr als Radfahrer gestattet. Auch die Ausnahmebestimmung des § 3 StVO bedeute nicht, dass ein Kraftfahrer damit rechnen müsse, dass ein schulpflichtiges Kind, das am Fahrbahnrand stehen bleibe, plötzlich die Fahrbahn betrete. Auch Fußgänger seien iSd § 76 Abs 4 und 5 StVO verpflichtet, den Fahrzeugverkehr nicht zu behindern und erst dann auf die Fahrbahn zu treten, wenn dies ohne Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer möglich sei.
OGH: Das Erstgericht hat hier im Rahmen seiner Feststellungen zwar den Unfallhergang, insbesondere die genaue Bewegung der Klägerin nicht feststellen können, danach aber dennoch alternativ mit „entweder“ die - verkehrsunfallstechnisch aufbereitete - Unfallsvariante des Beklagten, und mit „oder“ jene der Klägerin in seine Feststellungen aufgenommen.
Unbestritten ist, dass die Klägerin vom vorbeifahrenden PKW des Beklagten erfasst und dabei verletzt wurde, weshalb von einer - vom Revisionswerber auch nicht mehr substanziell bestrittenen - EKHG-Haftung des Beklagten als Halter des Kfz - Unfall „beim Betrieb“ seines Kraftfahrzeugs - auszugehen ist (§§ 1, 5 EKHG).
Die vom Berufungsgericht und dem Revisionswerber aufgeworfene Frage, ob die Klägerin als Kind iSd § 29a StVO anzusehen ist oder nicht, ist hier deshalb nicht entscheidungsrelevant, weil Normadressat dieser Bestimmung nur die Lenker von Kraftfahrzeugen sind und nicht die Fußgänger, und sich daher aus der Verletzung dieser Bestimmung nur Auswirkungen auf die normerfassten Kfz-Lenker ableiten lassen (was im Rechtsmittel der Klägerin aber nicht geltend gemacht wurde), nicht aber auf Fußgänger, wie hier die Klägerin.
Nach § 29 a Abs 1 letzter Satz StVO bleibt aber die Bestimmung des § 76 StVO ausdrücklich unberührt.
Auf ein Allein- oder zumindest Mitverschulden der Klägerin wegen unzulässigen Betretens der Fahrbahn - somit § 76 StVO - hat sich der Beklagte aber schon in erster Instanz berufen. Auch in der Revision kommt er darauf zurück.
Diese Rechtsfrage - zu der es grundsätzlich ausreichend Rsp auch in Zusammenhang mit dem Kindern abzuverlangenden Verhalten gibt - kann aber derzeit nicht abschließend beurteilt werden, weil auch in der für die Klägerin günstigeren Unfallversion, ihren eigenen Angaben folgend, keine Feststellungen zu den Sichtverhältnissen und der Entfernung zwischen den Unfallbeteiligten aus Sicht der Klägerin, insbesondere als sie letztlich die Fahrbahn betrat, getroffen wurden. Es kann daher derzeit noch nicht beurteilt werden, ob und wenn ja in welchem Ausmaß die Klägerin - unter Berücksichtigung ihres Alters im Unfallzeitpunkt - ein Mitverschulden (§ 7 Abs 1 EKHG, § 1304 ABGB) trifft - wobei Unklarheiten und Zweifel zu Lasten des Halters gehen.