OGH: Prokura in Ziviltechnikergesellschaften – zur Frage, ob § 28 Abs 1 ZTG die Bestellung einer Person, die über keine aufrechte Ziviltechnikerbefugnis verfügt, zum Einzelprokuristen zulässt
Ein Prokurist einer Ziviltechnikergesellschaft muss eine aufrechte Berufsbefugnis haben
§ 28 ZTG, §§ 48 ff UGB, § 3 FBG
GZ 6 Ob 41/16x, 30.03.2016
OGH: Es trifft zwar zu, dass die vom Rekursgericht genannten Normen der Berufsgesetze - abgesehen von § 25 Z 10 NO, der erst mit 1. 1. 2007 in Kraft trat - (§ 12 Abs 3 ApothekenG, § 29a Z 10 PatAnwG und § 21c Z 9a RAO), die die Erteilung der Prokura verbieten bzw für unzulässig erklären, im Zeitpunkt des Inkrafttretens der Novelle 2005 des ZTG (BGBl I Nr 137/2005; Inkrafttreten mit 19. 11. 2005) bereits galten. Daraus kann aber entgegen der Meinung der Rechtsmittelwerberin nicht der Umkehrschluss dahingehend gezogen werden, der Novellengesetzgeber des Jahres 2005 (BGBl I Nr 137/2005), der sich mit Fragen der Prokura in Ziviltechnikergesellschaften überhaupt nicht befasste, habe mangels ausdrücklicher Regelung der (Un-)Zulässigkeit der Prokuraerteilung im ZTG ohne Berufsbefugnis des Prokuristen des Willen gehabt, im ZTG die Prokuraerteilung völlig frei und unabhängig von einer Berufsbefugnis zu gestatten: Der Umkehrschluss ist allein dann begründet, wenn Zweck bzw Wertung des Gesetzes nur auf den ausdrücklich vom Gesetz erfassten Tatbestandsbereich zutreffen. Vom Gesetzgeber beabsichtigte Lücken rechtfertigen einen Umkehrschluss. Dafür, dass der Novellengesetzgeber des Jahres 2005 mit der Nichtregelung der Prokura im ZTG eine Gesetzeslücke in dem von der Rechtsmittelwerberin dargestellten Sinn beabsichtigt habe, fehlen jegliche Anhaltspunkte. Vielmehr ist aus dem Verbot der Prokura in den anderen, vom Rekursgericht genannten Standesgesetzen zumindest auf eine gewisse Skepsis des Gesetzgebers gegenüber der Prokura bei den freien Berufen zu schließen.
Die Revisionsrekurswerberin meint schließlich, das Argument der Unbeschränkbarkeit der Prokura im Außenverhältnis überzeuge nicht. Es sei nämlich auch bei einer Ziviltechnikergesellschaft, die aufgrund ihres Unternehmensgegenstands in unterschiedlichen Fachgebieten tätig sei, eine Beschränkung eines Einzelprokuristen mit aufrechter Befugnis im Außenverhältnis auf seinen jeweiligen fachspezifischen Bereich nicht möglich.
Diese Überlegung ist - für sich genommen - zwar zutreffend. Das mögliche Auseinanderfallen von rechtlichem „Können“ im Außenverhältnis (Vertretungsbefugnis) und demgegenüber weniger weitreichendem rechtlichem „Dürfen“ im Innenverhältnis (vgl § 4 Abs 1 ZTG: „Ziviltechniker sind ... auf dem gesamten, von ihrer Befugnis umfassten Fachgebiet zur Erbringung von ... Leistungen ... berechtigt.“; vgl auch § 28 Abs 1 Satz 2 ZTG: „In Geschäftsfällen, in denen fachverschiedene Befugnisse mehrerer Ziviltechniker erforderlich sind, hat der Gesellschaftsvertrag einschlägig befugte Geschäftsführer jedenfalls zu gemeinsamem Handeln zu verpflichten.“) besteht aber genauso bei geschäftsführenden, organschaftlich vertretungsbefugten Ziviltechnikern und ist somit keine Besonderheit der Prokura, sondern - bei nach außen hin unbeschränkbarer Vertretungsbefugnis (§ 20 Abs 2 Satz 1 GmbhG) - generell unvermeidbar. Das Argument der Rechtsmittelwerberin trägt daher die Ansicht, die Prokuraerteilung in einer Ziviltechnikergesellschaft sei ohne jegliche Berufsbefugnis des Prokuristen zulässig, nicht. Schließlich ist darauf zu verweisen, dass die in § 38 ZTG geschützten Berufsbezeichnungen (Ziviltechniker, Architekt, Ingenieurkonsulent, Zivilgeometer, Zivilingenieur) einen Hinweis auf die Art der Befugnis einer Ziviltechnikergesellschaft und somit auch von Prokuristen einer solchen Gesellschaft geben.