OGH: Kriegsverschollenheit nach § 4 TEG – zur Frage, ob eine radikalislamistische Gruppierung eine bewaffnete Macht iSd § 4 TEG darstellt
Um als Angehöriger einer bewaffneten Macht iSd § 4 Abs 1 TEG zu gelten, wird ein besonderes Kontrollwesen gefordert; für ein Abgehen von diesem restriktiven Verständnis besteht kein Anlass
§ 4 TEG
GZ 7 Ob 24/15b, 16.03.2016
OGH: Wer als Angehöriger einer bewaffneten Macht an einem Krieg, einem kriegsähnlichen Unternehmen oder einem besonderen Einsatz teilgenommen hat, während dieser Zeit im Gefahrgebiet uU, die eine hohe Wahrscheinlichkeit seines Todes begründen, vermisst und seitdem verschollen ist, kann gem § 4 Abs 1 und 2 TEG für tot erklärt werden, wenn seit dem Zeitpunkt, in dem er vermisst worden ist, ein Jahr verstrichen ist. Gem § 4 Abs 3 TEG steht den Angehörigen einer bewaffneten Macht gleich, wer sich bei ihr aufgehalten hat. Zu klären ist hier zunächst der von der Kriegsverschollenheit erfasste Personenkreis.
Dazu hat der OGH in der Entscheidung 1 Ob 308/48 unter Verweis auf die Gesetzesmaterialien ausgesprochen, dass die besonderen Vorschriften über die Kriegsverschollenheit nur auf solche Personen angewendet werden können, die einem besonderen Kontrollsystem unterstehen, bei denen also die Voraussetzung des Vermisstseins einwandfrei festgestellt werden kann. Damit kann nur ein Kontrollsystem gemeint sein, das für die bewaffnete Macht besteht, der die Person angehört, nicht aber auch jenes des Kriegsgegners.
In den Gesetzesmaterialien zu § 4 TEG wird noch zusätzlich ausgeführt, dass § 4 Abs 3 TEG den Kreis der den Angehörigen der bewaffneten Macht gleichgestellten Personen übereinstimmend mit dem Begriff des Heeresgefolges bestimme. Es werde Aufgabe der Rsp sein, eine Abgrenzung dieses Begriffs zu finden, die dem vorerwähnten Grundgedanken Rechnung trage.
In der Lehre wird Folgendes vertreten:
Für Posch sind die in den Gesetzesmaterialien dargelegten Erwägungen zum besonderen Kontrollwesen historisch bedingt und nicht völlig überzeugend, weil auch ein optimal organisiertes militärisches Kontrollwesen im Einzelfall keine restlose Aufklärung über den Verbleib eines vermissten Kombattanten bieten könne. Dass bei der Regelung der Kriegsverschollenheit auf deren Verknüpfung mit dem militärischen Kontrollwesen besonderes Gewicht gelegt worden sei, habe gleichwohl seine Begründung darin, dass militärische Meldungen gewöhnlich die Voraussetzung von Ermittlungen durch die Gerichte bilden würden. Wer Angehöriger einer bewaffneten Macht sei, bestimme sich nach den einschlägigen nationalen Gesetzen. Die listenmäßige Erfassung der Angehörigen der bewaffneten Macht gehöre zum Wesen militärischer Evidenzhaltung, weshalb eine exakte Abgrenzung des von dem Begriff „Angehörige einer bewaffneten Macht“ betroffenen Personenkreis leicht möglich sei. Den Angehörigen einer bewaffneten Macht seien Personen gleichgestellt, die sich bei ihr aufgehalten haben. Darunter sei das „Heeresgefolge“ gemeint.
Nach Sabaditsch sei der Begriff der bewaffneten Macht rein tatsächlicher Natur und aufgrund der tatsächlichen Gestaltung der Verhältnisse zu entscheiden. Die Wehrverfassung des Staates gebe zwar wesentliche Anhaltspunkte, enthalte aber nur das Mindestmaß dessen, was zur bewaffneten Macht zu zählen sei. Auch andere Streitkräfte könnten die Eigenschaft einer bewaffneten Macht oder eines Teils davon haben, sofern sie nur für militärische Zwecke eingesetzt seien. Unter „bewaffnete Macht“ fielen die Streitkräfte aller selbständigen Staaten, die Truppen von nichtselbständigen Staaten und von Aufständischen, sofern sie nur über ausreichende Überwachungseinrichtungen verfügen, unter festem Oberbefehl stehen und wenigstens die wichtigsten Grundsätze des Kriegsrechts beachten würden. § 4 Abs 3 TEG sei aus der allgemeinen Erwägung einschränkend auszulegen, dass unter den Voraussetzungen der Kriegsverschollenheit nur der für tot erklärt werden dürfe, dessen Verbleib einer ständigen Überwachung unterlegen habe. Zu diesem Personenkreis würden alle Personen gehören, die in einem Amts- oder Dienstverhältnis zur bewaffneten Macht stehen, aber aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen nicht als Angehörige der bewaffneten Macht bezeichnet werden. Keinesfalls fielen darunter Personen, die sich rechtswidriger Weise oder gegen den Willen der Truppenführung unter die bewaffnete Macht gemischt hätten.
In der deutschen Lehre zur vergleichbaren Bestimmung des § 4 Verschollenheitsgesetz wird vertreten, dass die Rechtsordnung des jeweiligen Staates regle, wer Angehöriger einer bewaffneten Macht sei. § 4 Abs 3 leg cit - wortident mit § 4 Abs 3 TEG - dehne den erfassten Personenkreis auf das „Heeresgefolge“ aus. Die listenmäßige Erfassung grenze jeweils den Personenkreis ab, für die die Kriegsverschollenheitsbestimmung in Betracht komme. Widerstandskämpfer (in einem Bürgerkrieg) würden - mangels listenmäßiger Erfassung - nicht unter das Heeresgefolge fallen.
Um als Angehöriger einer bewaffneten Macht iSd § 4 Abs 1 TEG zu gelten, wird übereinstimmend ein besonderes Kontrollwesen gefordert; dies wird auch in den Gesetzesmaterialien als notwendig angesehen. Für ein Abgehen von diesem restriktiven Verständnis, das bereits der Entscheidung des OGH zu 1 Ob 308/48 zu Grunde lag, besteht kein Anlass. Nach § 3 TEG bedarf es im Allgemeinen des Ablaufs einer Frist von zehn Jahren seit dem Ende des Jahres, in dem der Verschollene nach den vorhandenen Nachrichten noch gelebt hat. § 4 TEG normiert für den Sonderfall der Kriegsverschollenheit eine Verkürzung der Verschollenheitsfrist auf ein Jahr. Schon diese massive Fristverkürzung legt es nahe, den Sonderfall restriktiv zu handhaben.
Im vorliegenden Fall ist davon auszugehen, dass der Verschollene in Syrien als Angehöriger einer radikalislamistischen Gruppierung an Kämpfen teilnahm. Einer solchen Gruppierung fehlt die staatliche Anerkennung und es ergibt sich weder aus dem Akteninhalt noch wird dies im Revisionsrekurs behauptet, dass diese über ein wie immer geartetes Kontrollwesen verfügen würde. Vielmehr ist nicht einmal klar, welcher konkreten Gruppierung der Verschollene bei seiner Teilnahme an den Kampfhandlungen angehörte. Damit wird nicht der Nachweis erbracht, dass der Verschollene zum Personenkreis des § 4 Abs 1 TEG gehört.