OGH: Zur Anspannung eines ehemals drogenabhängigen Unterhaltsschuldners
Leidet der Unterhaltsschuldner an den psychischen Folgen seiner früheren Sucht, so ist zu prüfen, inwieweit und bis wann eine konsequente psychiatrische und psychotherapeutische Behandlung zu einer Besserung führen kann
§ 231 ABGB, § 140 aF ABGB
GZ 9 Ob 72/15a, 21.12.2015
OGH: Die gesetzlich vorgesehene Anspannung greift nicht nur bei Arbeitsunwilligkeit, sondern immer dann, wenn dem Unterhaltspflichtigen die Erzielung eines höheren als des tatsächlichen Einkommens zugemutet werden kann. Eine Anspannung auf tatsächlich nicht erzieltes Einkommen darf aber nur erfolgen, wenn eine zumindest leicht fahrlässige Herbeiführung des Einkommensmangels durch Außerachtlassung pflichtgemäßer, zumutbarer Einkommensbemühungen vorliegt. Eine Anspannung auf ein Einkommen aus rechtswidriger Tätigkeit scheidet aus, tatsächlich vom Unterhaltspflichtigen auf gesetzwidrige Weise erzieltes Einkommen wird nach der Rsp aber unter bestimmten Voraussetzungen als Teil der Unterhaltsbemessungsgrundlage angesehen.
Den Unterhaltsschuldner trifft im Rahmen der gebotenen Anspannung auch die Obliegenheit, sich einer zumutbaren Behandlung einer der Ausübung von Erwerbstätigkeit entgegenstehenden Erkrankung zu unterziehen, wenn er die Notwendigkeit der Behandlung erkennt und die Fähigkeit besitzt, nach dieser Einsicht zu handeln. Die gilt auch für geistige Störungen und Erkrankungen.
Leidet der Unterhaltsschuldner an den psychischen Folgen seiner früheren Sucht, ist dadurch in seiner Arbeitsfähigkeit gehindert und befindet sich auch in wöchentlicher psychologischer Therapie, so hat das Gericht auch Feststellungen darüber zu treffen, inwieweit und bis wann eine konsequente psychiatrische und psychotherapeutische Behandlung die Situation des Unterhaltsschuldners stabilisieren und verbessern kann. Erst danach kann beurteilt werden, ob er alle zumutbaren Behandlungsschritte gesetzt hat.