VwGH: Wirksamer Verzicht auf das Recht zur Erhebung eines Fristsetzungsantrages?
Ein Verzicht auf das Recht zur Erhebung einer Revision kann wirksam gegenüber dem VwGH abgegeben werden; ein Verzicht gegenüber dem VwG oder gegenüber einer mitbeteiligten Partei ist demgegenüber ungültig; Gleiches gilt für den Verzicht auf die Einbringung eines Fristsetzungsantrages; demgegenüber ist ein Verzicht der Partei auf die Entscheidung des VwG (für einen gewissen Zeitraum) mit der Konsequenz, dass für die Dauer dieses Verzichtes auch die Einbringung eines Fristsetzungsantrages mangels Ablaufes der Entscheidungsfrist unzulässig ist, wirksam
§ 38 VwGG, Art 133 B-VG, § 34 VwGVG
GZ Fr 2015/12/0023, 18.12.2015
VwGH: Der VwGH hat in seinem Beschluss vom 19. März 2001, 2001/17/0024, zu Fragen des Verzichtes auf die Erhebung einer Säumnisbeschwerde Folgendes ausgeführt:
"Ob auf die Beschwerdelegitimation, genauer: auf das prozessuale Recht zur Erhebung einer Beschwerde vor dem VwGH verzichtet werden kann, wird vom VwGG nicht ausdrücklich geregelt. Der VwGH hat in seinem Beschluss vom 18. Oktober 1988, Zlen 88/11/0213, 0214, ausgesprochen, dass auf das Recht zur Erhebung einer Maßnahmenbeschwerde vor dem VwGH (gegenüber der Behörde, welcher die Maßnahme zuzurechnen ist) nicht rechtswirksam verzichtet werden kann. In Ansehung des Verzichtes auf das Recht zur Erhebung einer Bescheidbeschwerde vertritt Oberndorfer, Die österreichische Verwaltungsgerichtsbarkeit, 91, die Auffassung, ein solcher könne wirksam gegenüber dem VwGH abgegeben werden. Ein gleichsam rechtsgeschäftlicher Verzicht gegenüber der Behörde, die den Bescheid erlassen hat, oder gegenüber einer mitbeteiligten Partei ist demgegenüber ungültig. Diese Erwägungen sind auch auf die prozessuale Zulässigkeit des Verzichtes auf die Erhebung einer Säumnisbeschwerde (für einen gewissen Zeitraum) zu übertragen.
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Demgegenüber wird ein Verzicht der Partei auf die Entscheidung der Behörde (für einen gewissen Zeitraum) mit der Konsequenz, dass für die Dauer dieses Verzichtes (neben anderen Konsequenzen eines solchen Verzichtes) auch die Erhebung einer Säumnisbeschwerde mangels Ablaufes der Frist des § 27 VwGG unzulässig ist, für wirksam erachtet. ..."
Diese Aussagen sind auch auf Fristsetzungsanträge zu übertragen.
Daraus folgt zunächst, dass die Erklärungen der Rechtsvertreterin des Antragstellers - und zwar unabhängig davon, ob sich der Sachverhalt iSd Darstellung des Antragstellers oder aber des LVwG Niederösterreich abgespielt hat - keinesfalls zu einem wirksamen Verzicht auf das prozessuale Recht zur Erhebung eines Fristsetzungsantrages geführt haben konnten.
Zu prüfen war allerdings die Frage, ob diese Erklärungen einen Verzicht des Antragstellers auf die Entscheidung des LVwG (für einen gewissen Zeitraum) mit der Konsequenz bewirkt haben, dass für die Dauer dieses Verzichtes auch die Erhebung eines Fristsetzungsantrages mangels Ablaufes der Frist des § 38 Abs 1 VwGG unzulässig war.
Bei der Prüfung der Frage, ob vorliegendenfalls ein solcher Verzicht der Stellung des Fristsetzungsantrages entgegen stand, ist zunächst der allgemeine Grundsatz zu beachten, dass Verzichtserklärungen einschränkend zu interpretieren sind. Dies gilt auch für die hier in Rede stehenden Erklärungen der Rechtsvertreterin des Antragstellers, zumal letzterer in Ermangelung eines Verzichts jedenfalls einen Rechtsanspruch auf eine Entscheidung des LVwG vor Ablauf von sechs Monaten nach Beschwerdevorlage gehabt hätte, und zwar unbeschadet des Erholungsurlaubes des Vorsitzenden.
Vor diesem Hintergrund kommt die Deutung der Erklärungen der Vertreterin des Antragstellers in Richtung eines unbefristeten Verzichtes auf eine Entscheidung keinesfalls in Betracht.
Auf Basis des Vorbringens des Antragstellers könnte ein solcher Verzicht allenfalls bis Anfang September 2015 angenommen werden. Ein solcher wäre der Einbringung des vorliegenden Fristsetzungsantrages somit keinesfalls entgegengestanden.
Zu keinem anderen Ergebnis gelangte man aber auch für den Fall des Zutreffens der Sachverhaltsbehauptungen des LVwG Niederösterreich. Demnach hätte die Vertreterin des Antragstellers gebeten, von fristauslösenden Zustellungen "vor Anfang Oktober" Abstand zu nehmen. Ein über diesen Zeitpunkt hinausgehender Verzicht auf eine Entscheidung kann keinesfalls angenommen werden. Ein solcher könnte auch nicht aus der Einräumung einer angemessenen Ausfertigungsfrist abgeleitet werden (vgl hiezu auch § 463 Abs 1 und § 415 ZPO). Demnach wäre ein allfälliger Verzicht bis "Anfang Oktober" erfolgt, was lediglich eine Ablaufhemmung und keinesfalls eine Fortlaufhemmung der Entscheidungsfrist bewirken konnte, zumal ja für die Dauer des Verzichtes keine Untätigkeit des Gerichtes im Verständnis eines "Ruhens des Verfahrens" vorgesehen war.
Vor dem Hintergrund des oben dargelegten Grundsatzes der restriktiven Auslegung eines Verzichts konnte der hier in Rede stehende aber nach Auffassung des VwGH nicht mehr den Tag des Einlangens des Fristsetzungsantrages beim LVwG Niederösterreich, nämlich den 7. Oktober 2015, erfassen. Anders als das LVwG Niederösterreich in seiner Eingabe vom 18. November 2015 meint, ist der für die Prüfung der Zulässigkeit eines Fristsetzungsantrages allein maßgebliche Zeitpunkt jener des Einlangens beim zuständigen VwG, nicht aber der Tag der Postaufgabe.
Vor diesem Hintergrund erwies sich der Fristsetzungsantrag somit als zulässig.
Das LVwG Niederösterreich hat das Erkenntnis vom 29. Juli 2015, LVwG-AV-164/001-2015, durch Zustellung am 23. Oktober 2015 erlassen und eine Ausfertigung desselben dem VwGH vorgelegt. Das Verfahren über den Fristsetzungsantrag war daher gem § 38 Abs 4 VwGG einzustellen.