VwGH: § 325 BVergG 2006 – Nichtigerklärung der gesamten Ausschreibung
Eine Streichung einzelner Bestimmungen (anstelle der Nichtigerklärung der gesamten Ausschreibung) kommt dann nicht in Betracht, wenn danach kein Ausschreibungsgegenstand verbliebe, die Ausschreibung dadurch einen gänzlich anderen Inhalt bekäme oder ein anderer Bieterkreis angesprochen würde; die Streichung einer Festlegung, die den Auftraggebern nach Ansicht des VwG einen willkürlichen Gestaltungsspielraum einräumt, muss für sich genommen noch nicht dazu führen, dass dadurch ein anderer Bieterkreis angesprochen würde
§ 325 BVergG 2006
GZ Ra 2014/04/0045, 16.12.2015
VwGH: Das BVwG hat mit Spruchpunkt A.I des angefochtenen Erkenntnisses die "Aufforderung zur Angebotsabgabe" vom 20. August 2014 für nichtig erklärt. Der rechtlichen Beurteilung hat das BVwG den Grundsatz vorangestellt, dass die Ausschreibungsunterlagen nach dem objektiven Erklärungswert auszulegen seien. Anlass für die Nichtigerklärung war eine - nach Auffassung des BVwG - intransparente Ausschreibungsanforderung (konkret zwei Festlegungen in Punkt B. 115 des Leistungsverzeichnisses). Es ist somit davon auszugehen, dass mit der Nichtigerklärung der Aufforderung zur Angebotsabgabe (auch) die eine Einheit mit dieser Aufforderung darstellenden Ausschreibungsunterlagen - und zwar mangels anderslautender Hinweise: zur Gänze - für nichtig erklärt wurden.
Dieses Verständnis vorausgesetzt, wäre aber zu prüfen gewesen, ob mit einer Streichung einzelner für Unternehmer diskriminierender Anforderungen nach § 325 Abs 2 BVergG 2006 das Auslangen hätte gefunden werden können. Nach der Rsp des VwGH kommt eine Streichung einzelner Bestimmungen (anstelle der Nichtigerklärung der gesamten Ausschreibung) dann nicht in Betracht, wenn danach kein Ausschreibungsgegenstand verbliebe, die Ausschreibung dadurch einen gänzlich anderen Inhalt bekäme oder ein anderer Bieterkreis angesprochen würde. In diesen Fällen wäre die gesamte Ausschreibung für nichtig zu erklären (siehe das Erkenntnis vom 6. März 2013, 2011/04/0115, 0130, 0139, mwN). Im zitierten Erkenntnis hat der VwGH die Streichung bloß einzelner Spezifikationen als unzulässig angesehen, weil durch diese Streichung zumindest die (dort) antragstellende Bf, die im zugrunde liegenden Vergabeverfahren (angesichts der von ihr gerügten Spezifikationen) kein Angebot gelegt hatte, und damit ein anderer Bieterkreis angesprochen würde.
Im vorliegenden Fall erachtete das BVwG die von ihm als rechtswidrig angesehenen Ausschreibungsanforderungen als intransparent und so wenig konkretisiert, dass den Auftraggebern eine nahezu willkürliche Entscheidungsmöglichkeit eingeräumt werde und eine Vergleichbarkeit der Angebote nicht gewährleistet sei. Ausgehend von dieser Begründung lässt sich aber nicht sagen, dass eine der Voraussetzungen, die eine Streichung bloß einzelner Festlegungen ausschließen, jedenfalls vorgelegen wäre, zumal die Streichung einer Festlegung, die den Auftraggebern nach Ansicht des VwG einen willkürlichen Gestaltungsspielraum einräumt, für sich genommen noch nicht dazu führen muss, dass dadurch ein anderer Bieterkreis angesprochen würde. Anders als in dem dem zitierten Erkenntnis 2011/04/0115, 0130, 0139 zugrunde liegenden Fall lässt sich der hier angefochtenen Entscheidung auch nicht entnehmen, dass die Angebotsfrist zum Entscheidungszeitpunkt bereits abgelaufen gewesen wäre und somit schon aus diesem Grund nur eine Nichtigerklärung der gesamten Ausschreibung eine Teilnahmemöglichkeit (hier:) der mitbeteiligten Partei gewährleistet hätte. Die Streichung der bezogenen Ausschreibungsanforderungen würde auch nicht dazu führen, dass danach kein Ausschreibungsgegenstand verbliebe oder die Ausschreibung dadurch einen gänzlich anderen Inhalt bekäme. Die Entscheidung des BVwG, die Aufforderung zur Angebotsabgabe und damit auch die unter einem zur Verfügung gestellten Ausschreibungsunterlagen zur Gänze für nichtig zu erklären, erweist sich daher - gemessen an den Ausführungen des BVwG zu (lediglich) Punkt B. 115 des Leistungsverzeichnisses - als rechtswidrig.