OGH: Zu den Sicherungspflichten eines Pistenhalters (iZm roter Piste, die in einen quer verlaufenden schmalen Schiweg mündet)
Gerade im gegenständlichen Unfallbereich muss eine scharfe und deutlich nach außen hängende Kurve mit sehr starker Richtungsänderung durchfahren werden; die relative Steilheit des Geländes vor der Einmündung in den Schiweg bringt überdies entsprechend hohe Fahrgeschwindigkeiten mit sich, sodass bei einem Fahrfehler (Verkanten) auch für den verantwortungsvollen Schifahrer ungeachtet der Wahrnehmbarkeit des Pistenrandes die - wie auch die Folgeunfälle zeigen - Gefahr des Absturzes über den ungesicherten Abhang mit drastischen Folgen besteht; unter den konkreten Umständen war die beklagte Partei daher als Pistenhalter zur Sicherung der Unfallstelle verpflichtet, ohne dass dadurch ihre Sorgfaltspflicht überspannt worden wäre
§§ 1295 ff ABGB, § 1304 ABGB
GZ 2 Ob 186/15i, 19.01.2016
Am 19. 2. 2011 ereignete sich auf der Piste 8 im Schigebiet K***** ein Schiunfall, bei dem DI P***** L*****, Ehemann der Erstklägerin sowie Vater des Zweitklägers und der Drittklägerin ums Leben kam. Er geriet über den rechten Pistenrand hinaus und prallte gegen eine Baumgruppe, wodurch er tödliche Kopfverletzungen erlitt. Er hatte einen Helm getragen und war im Besitz einer gültigen Liftkarte.
Die Piste 8 ist mittelschwer (rote Piste) und ca 60 m breit. Talseitig mündet die Piste 8 in einen quer verlaufenden schmalen Schiweg. Für einen aufmerksamen, die Piste 8 benützenden Schifahrer ist aus 180 m Entfernung erkennbar, dass eine Richtungsänderung nach links bevorsteht. Das volle Ausmaß dieser Richtungsänderung ist noch nicht vorhersehbar. Diese beträgt mehr als 90°, der eingeschlossene Winkel liegt bei ca 85°. Auf den letzten 180 m ist die Piste 8 zunächst 30 % (17°) steil, wobei sie im Kurvenbereich auf 20 % (11°) verflacht. In der gesamten Kurve besteht ein Quergefälle nach außen, das ca 11 % (6°) beträgt. Der Schiweg ist flach (Längsgefälle 2 %), anfangs 10 m breit und verengt sich dann auf 6 m. Nach ca 150 m besteht ein geringfügiges Gegengefälle. Östlich (rechts, talseitig) des Schiwegs befindet sich eine Steilböschung mit 83 % (40°) Gefälle, an deren Fuß mehrere Bäume stehen.
Der talseitige Rand des Schiwegs war zum Unfallszeitpunkt durch Stangen und ein dazwischen gespanntes Absperrband „abgesichert“. Die Piste war hart und griffig, jedoch nicht vereist. Das Pistenende war etwas wellig, die Sichtverhältnisse waren gut.
Der Verunglückte kannte das Schigebiet und auch die Pistenführung am Unfallsort. Er fuhr, gefolgt vom Zweitkläger, die Piste 8 in großen Carvingschwüngen ab. Seine Geschwindigkeit betrug ca 60 bis 65 km/h. Im Bereich der Linkskurve verkantete er. Er verlor das Gleichgewicht und schlug mit der Schulter auf, ehe er vom Sturzpunkt in der Mitte des Schiwegs über den talseitigen Pistenrand hinaus geriet. Warntafeln oder „Slow-Langsam-Banner“ waren im Unfallbereich nicht aufgestellt.
Ende Dezember 2014 ereignete sich an genau derselben Stelle ein weiterer tödlicher Unfall. Auch Anfang 2015, während eines Augenscheins durch den Sachverständigen, stürzte dort eine Schifahrerin über die Böschung. Es konnte nicht festgestellt werden, dass es vor dem gegenständlichen Unfall an dieser Stelle zu keinen weiteren Unfällen gekommen war.
OGH: Ein Pistenhalter hat nur atypische Gefahren zu sichern, also solche, die unter Bedachtnahme auf das Erscheinungsbild und den angekündigten Schwierigkeitsgrad der Piste auch für einen verantwortungsbewussten Schifahrer unerwartet oder schwer abwendbar sind. Das betrifft va Hindernisse, die ein Schifahrer nicht ohne weiteres erkennen oder trotz Erkennbarkeit nur schwer vermeiden kann. Die Verpflichtung zur Pistensicherung erstreckt sich nach stRsp des OGH auch auf den Pistenrand, weil mit dem Sturz eines Schifahrers über den Pistenrand hinaus jederzeit, also auch bei mäßiger Geschwindigkeit, gerechnet werden muss. Atypische Gefahrenquellen sind daher auch dann zu sichern, wenn sie sich knapp neben der Piste befinden. Es wurde in diesem Zusammenhang auch bereits mehrfach ausgesprochen, dass bei Schipisten, die bis auf wenige Meter an abbrechende Felsen, Steilflanken oder ähnliche Geländeformationen heranführen, eben wegen dieser jederzeitigen Sturzgefahr geeignete Schutzmaßnahmen zu treffen sind.
Im vorliegenden Fall führte die Piste im Bereich der zu durchfahrenden Linkskurve an eine steile Böschung mit einem Gefälle von 83 % (40°) heran, an deren Fuß mehrere Bäume stehen. Allerdings war die Linkskurve für einen durchschnittlichen Schifahrer schon aus ausreichender Entfernung gut erkennbar, ebenso der bewaldete Abhang, der die talseitige Pistenbegrenzung des querenden Schiwegs bildet. Der Pistenrand war durch ein Absperrband mit farbigen Fähnchen gekennzeichnet. Dem Unfallopfer war das Gelände überdies bekannt.
In der Entscheidung 1 Ob 41/00m wurde unter ähnlichen Voraussetzungen die Verneinung einer Verletzung der Sicherungspflicht gebilligt, dabei jedoch betont, dass eine Randsicherung ausnahmsweise dann geboten sein könne, wenn auch für einen verantwortungsvollen Benützer der Piste die Gefahr einer erheblichen Verletzung infolge Abstürzens oder Abrutschens besonders hoch sei, zB in gefährlichen Kurven oder bei Steilabbrüchen. Böschungen mit einem Neigungswinkel von (dort) 72 %, bei denen die Schipiste kein zusätzliches Gefahrenmoment wie etwa eine scharfe, nach außen hängende Kurve aufweise, müssten daher idR nicht durch Fangnetze etc gesichert werden.
Nun muss aber gerade im gegenständlichen Unfallbereich eine scharfe und - laut Sachverständigen „deutlich“ - nach außen hängende Kurve mit sehr starker Richtungsänderung durchfahren werden. Die relative Steilheit des Geländes vor der Einmündung in den Schiweg bringt überdies entsprechend hohe Fahrgeschwindigkeiten mit sich, sodass bei einem Fahrfehler (Verkanten) auch für den verantwortungsvollen Schifahrer ungeachtet der Wahrnehmbarkeit des Pistenrandes die - wie auch die Folgeunfälle zeigen - Gefahr des Absturzes über den ungesicherten Abhang mit drastischen Folgen besteht.
Unter den konkreten Umständen war die beklagte Partei daher als Pistenhalter zur Sicherung der Unfallstelle verpflichtet, ohne dass dadurch ihre Sorgfaltspflicht überspannt worden wäre. Den ihr infolge des durch den Kauf einer Liftkarte begründeten Vertragsverhältnisses nach § 1298 ABGB obliegenden Beweis, dass ihr die Verletzung der Verkehrssicherungspflicht nicht als Verschulden vorwerfbar wäre, hat die beklagte Partei nicht erbracht. Soweit sie sich in erster Instanz noch auf die sie entlastende Beurteilung einer Pistenregulierungskommission berufen hat, wäre eine solche nicht entscheidend, unterliegt doch die beklagte Partei selbst dem Sorgfaltsmaßstab des § 1299 ABGB, nach dem sie die gebotenen Sicherungsmaßnahmen erkennen hätte müssen.
Der OGH erkennt in stRsp, dass selbst auf fahrtechnische Fehler zurückzuführende Stürze von Schiläufern noch nicht rechtlich vorwerfbar sind, dem Schifahrer jedoch ein dem Sturz vorausgegangenes vermeidbares Fehlverhalten zur Last fallen kann, das den Sturz herbeigeführt hat und deshalb als einleitende Fahrlässigkeit zu beurteilen ist. Als fahrtechnische Fehler kommen etwa das Verkanten, die Einhaltung einer für das Fahrkönnen zu hohen Geschwindigkeit oder unkontrolliertes Fahren in Betracht. Beweist der Schädiger einen Verstoß des Geschädigten aufgrund eines fahrtechnischen Fehlers - also einen typischen, Sorglosigkeit gegenüber eigenen Rechtsgütern indizierenden Geschehnisablauf -, ist damit prima facie auch der für die Annahme eines Mitverschuldens erforderliche Sorgfaltsverstoß bewiesen.
Das Erstgericht erblickte vor dem Hintergrund dieser Rsp in der Einhaltung einer der Gefahrensituation nicht angepassten überhöhten Geschwindigkeit von ca 60 bis 65 km/h, welche die Wahrscheinlichkeit des Verkantens erhöht und das Abrutschen über den Pistenrand hinaus bewirkt habe, ein gleichteiliges Mitverschulden des Verunglückten (das Berufungsgericht äußerte sich - ausgehend von seiner Rechtsansicht - dazu nicht). Dagegen wird in der Revision als einziges Argument ins Treffen geführt, dass laut einem Medienbericht vom 12. 3. 2015 „ein Schifahrer durchschnittlich 60 bis 80 km/h fährt“. Dieser verallgemeinernde Hinweis entbehrt jedoch jeglicher Aussagekraft für den konkreten Fall. Die Rechtsmittelausführungen der Kläger geben vielmehr keinen Anlass zu einer von der Auffassung des Erstgerichts abweichenden Beurteilung des Eigenverschuldens des Verunglückten und dessen Gewichtung durch den erkennenden Senat. Die Abwägung des beiderseitigen Fehlverhaltens rechtfertigt die vom Erstgericht angenommene Verschuldensteilung im Verhältnis von 1 : 1.