OGH: Anspruch nach § 97 ABGB iZm Aufteilungsverfahren nach §§ 81 ff EheG
Der geschiedene Ehegatte kann einem auf titellose Benützung gestützten Räumungsbegehren des anderen den Anspruch nach § 97 ABGB auch dann bis zur rechtskräftigen Beendigung eines Aufteilungsverfahrens entgegenhalten, wenn der Aufteilungsantrag nicht innerhalb eines Jahres nach der formell rechtskräftigen Ehescheidung gestellt wurde und im Außerstreitverfahren vorerst nur die Verfristung des Aufteilungsantrags strittig ist
§ 97 ABGB, §§ 81 ff EheG, § 95 EheG
GZ 5 Ob 178/15k, 21.12.2015
OGH: Ist ein Ehegatte über die Wohnung, die der Befriedung des dringenden Wohnbedürfnisses des anderen Ehegatten dient, verfügungsberechtigt, so hat dieser nach § 97 ABGB einen Anspruch darauf, dass der verfügungsberechtigte Ehegatte alles unterlässt und vorsorgt, damit der auf die Wohnung angewiesene Ehegatte diese nicht verliert.
Nicht umstritten ist, dass die geschiedene Ehegattin des Klägers an der in seinem Alleineigentum stehenden (früheren) Ehewohnung ein dringendes Wohnbedürfnis hat.
Der Anspruch des wohnungsbedürftigen Ehegatten auf Benützung der Wohnung nach § 97 ABGB besteht nach LuRsp im Aufteilungsanspruch nach den §§ 81 ff EheG fort. Der geschiedene Ehegatte kann einem auf titellose Benützung gestützten Räumungsbegehren des anderen den Anspruch nach § 97 ABGB so lange wirksam einwenden, als über den Aufteilungsanspruch noch nicht rechtskräftig abgesprochen ist.
Im vorliegenden Fall ist zu prüfen, ob diese Einwendung auch dann wirkt, wenn ein Aufteilungsverfahren eingeleitet wurde, indem vorerst nur die Einhaltung der einjährigen Präklusivfrist des § 95 EheG umstritten ist und im Rechtsmittelstadium noch zu prüfen ist. Der Rechtssatz zu RIS-Justiz RS0009566 und RS0009553 verknüpft nämlich den Fortbestand des Anspruchs iSd § 97 ABGB nach der Ehescheidung mit der rechtzeitigen Antragstellung im Verfahren über die Aufteilung des ehelichen Gebrauchsvermögens und der ehelichen Ersparnisse nach den §§ 81 ff EheG. In der vom Kläger zitierten Entscheidung 4 Ob 142/06 heißt es: „Die Bindung durch § 97 EheG besteht zwar nach der Scheidung der Ehe zunächst fort. Sie endet aber jedenfalls mit der Beendigung eines Aufteilungsverfahrens nach den §§ 81 ff EheG oder mit dem ungenutzten Ablauf der Frist des § 95 EheG“.
Unter Rechtskraft iSd § 95 EheG ist die formelle Rechtskraft iSd § 411 ZPO zu verstehen. Im Eheverfahren kann der Scheidungsausspruch in Rechtskraft erwachsen, ohne dass rechtskräftig über das Verschulden entschieden ist. Bei einer Scheidung aus Verschulden ist allerdings die Annahme irgendeines Verschuldens des Beklagten präjudiziell für den Verschuldenssausspruch. Im Fall von Klage und Widerklage trifft die Präjudizialität des Verschuldens eines der Streitteile begrifflich nur dann zu, wenn noch kein Verschulden eines der Streitteile wenigstens teilweise rechtskräftig festgestellt ist. Auf eine solche Konstellation hat sich die Beklagte im Räumungsprozess berufen. Ihrer Ansicht nach ist der Aufteilungsantrag fristgerecht gestellt worden. Ob dies zutrifft, ist für das Ergebnis in diesem Räumungsprozess aber nicht entscheidend.
Wie bereits das Berufungsgericht zutreffend erkannt hat, können Vergleichsgespräche der Streitteile im Stadium zwischen einer (allenfalls) rechtskräftigen Ehescheidung und der Einbringung des Aufteilungsantrags (21. 11. 2014) den Ablauf der Präklusivfrist des § 95 EheG hemmen, wenn der Aufteilungsantrag nach Abbruch der Vergleichsverhandlungen ohne unnötigen Aufschub eingebracht wurde.
Mit der hier vorliegenden Problematik hat sich der OGH in seiner bisherigen Rsp zu dem auf § 97 ABGB gestützten Einwand eines geschiedenen Ehegatten im Räumungsprozess nicht ausdrücklich befasst. Entweder es war das Aufteilungsverfahren vor Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz im Räumungsprozess ohnehin bereits rechtskräftig beendet (7 Ob 691/85 [Antrag als verfristet abgewiesen]) oder es gab keinen Anhaltspunkt für eine Ablaufhemmung einer - berechnet nach der unstrittigen formellen Rechtskraft des Scheidungsurteils - eindeutig verstrichenen Frist zur Einbringung eines Aufteilungsantrags. Zu 2 Ob 240/09x erörterte der OGH in erster Linie die Frage, ob auch ein im Ausland anhängig gemachtes Aufteilungsverfahren den Anspruch nach § 97 ABGB über die Rechtskraft der Ehescheidung hinaus verlängern könne.
Der Gesetzgeber hat das Verfahren nach den §§ 81 ff EheG in das außerstreitige Verfahren verwiesen (§ 93 AußStrG). Der Ablauf der materiell-rechtlichen Frist des § 95 EheG bewirkt das Erlöschen des Aufteilungsanspruchs und führt damit zwingend zur Abweisung des Aufteilungsantrags. Diesen materiell-rechtlichen Abweisungsgrund hat das Aufteilungsgericht im Rahmen eines eingeleiteten Aufteilungsverfahrens zu beurteilen. Nur ihm steht die Prüfung zu, ab wann die Frist zu laufen begann und ob ihr Ablauf durch Vergleichsgespräche gehemmt wurde.
Solange der Aufteilungsantrag nicht rechtskräftig als verfristet abgewiesen wurde, kann die Beklagte dem auf titellose Benützung gestützten Räumungsbegehren des Klägers somit ihren Anspruch nach § 97 ABGB wirksam entgegenhalten. Dieses Ergebnis veranlasst den Revisionswerber zu der Überlegung, dass es der wohnungsbedürftige geschiedene Ehegatte mangels rechtzeitiger Antragstellung ausschließlich in der Hand habe, durch seine Entscheidung auf Antragstellung einer nachehelichen Aufteilung iSd §§ 81 ff EheG de facto seinen titellosen Benutzungsanspruch bis auf unbestimmte Zeit zu Lasten des anderen Ehegatten zu „perpetuieren“. Der erkennende Senat teilt diese Befürchtung - gerade im vorliegenden Fall - nicht. Einziges Thema des Aufteilungsverfahrens war bisher die Versäumung der einjährigen Präklusivfrist. Die Klärung der Rechtsfrage einer Ablaufhemmung durch schriftlich dokumentierte Vergleichsverhandlungen ist im Aufteilungsverfahren in absehbarer Zeit zu erwarten. Fällt das Ergebnis zugunsten des Klägers aus, ist der Zeitraum der befürchteten „Blockade“ kürzer als jener, der idR bis zum rechtskräftigen Abschluss eines rechtzeitig eingeleiteten Aufteilungsverfahrens verstreicht.