OGH: § 302 StGB – Amtsmissbrauch eines Finanzamtsbeamten, der teils auf „Grunddaten“ bzw auf „Veranlagungsdaten“ (von Mitarbeitern) des Abgabeninformationssystems der Finanzverwaltung (AIS) zugriff?
In Fällen (ausschließlich) missbräuchlicher Beschaffung von Daten (ohne deren Weitergabe oder Verwertung) bildet in aller Regel das Recht jedermanns auf Geheimhaltung der ihn betreffenden personenbezogenen Daten (§ 1 Abs 1 DSG) den Bezugspunkt des vom Tatbestand des § 302 Abs 1 StGB geforderten Schädigungsvorsatzes; ein solcher Anspruch besteht gegenüber dem ermittelnden (§ 4 Z 8 und 9 DSG) Beamten ua dann nicht, wenn die Daten (durch Zugänglichkeit in einem öffentlichen Register) allgemein verfügbar sind
§ 302 StGB, § 1 DSG 2000, § 8 DSG 2000
GZ 17 Os 10/15x, 14.09.2015
OGH: Dem Schuldspruch liegt zusammengefasst folgender Urteilssachverhalt zugrunde:
R habe als Finanzbeamter Zugriff zum Abgabeninformationssystem der Bundesfinanzverwaltung (AIS), das er nur aus dienstlichem Anlass verwenden dürfe. Dennoch habe er im Tatzeitraum ohne einen solchen Anlass Daten verschiedener Mitarbeiter seines Finanzamts abgefragt, „um seine private Neugierde zu befriedigen“. Von den dabei verwendeten Abfragefunktionen erlaubten einige den Zugriff auf sog - im Urteil nicht näher definierte (vgl hingegen die Aufschlüsselung der Datenkategorien auf ON 2 S 95) - „Steuerdaten“, andere bloß eine solche von „Grunddaten“ (nach dem Urteil „unter anderem das Geburtsdatum und die Adresse einer Person“). Die von den Abfragen betroffenen Personen hätten zu diesen keine Zustimmung erteilt.
Zur subjektiven Tatseite konstatierten die Tatrichter, R habe es für gewiss gehalten, „dass er das AIS nicht ohne Vorliegen einer dienstlichen Veranlassung benutzen durfte“. Dennoch habe er die Abfragen „bewusst über das AIS“ durchgeführt, „obwohl er gewisse Grunddaten, wie zB das Geburtsdatum, auch über das weniger eingriffsintensive interne System (ESS), dessen Zugriff ihm erlaubt gewesen wäre, abfragen hätte können“; er „hielt es dabei jeweils ernstlich für möglich und fand sich damit ab, die von der Datenabfrage betroffenen Personen in ihren Geheimhaltungsinteressen zu verletzen“.
Damit enthält das angefochtene Urteil jedoch keine ausreichenden Feststellungen zum vom Tatbestand geforderten Schädigungsvorsatz. Dessen Bezugspunkt ist nämlich bei (ausschließlich) missbräuchlicher Abfrage von Daten (ohne deren Weitergabe oder Verwertung) der Anspruch jedermanns auf Geheimhaltung der ihn betreffenden personenbezogenen Daten (§ 1 Abs 1 DSG). Ein solcher Anspruch besteht gegenüber dem die Daten ermittelnden (§ 4 Z 8 und 9 DSG) Beamten dann nicht, wenn die Daten (durch Zugänglichkeit in einem öffentlichen Register) allgemein verfügbar oder dem Beamten bereits vor der Abfrage bekannt sind und diese nicht auf Gewinnung weiterer (ihm unbekannter) Daten gerichtet ist.
Eine missbräuchliche Abfrage, die (gewollt) in den Schutzbereich des Grundrechts eingreift, ist grundsätzlich tatbestandsmäßig, kann aber - etwa aus einem der in § 8 Abs 1 DSG genannten Gründe - gerechtfertigt sein. Dies ist der Fall, wenn die Abfrage mit (mutmaßlicher) Zustimmung des Betroffenen (vgl §§ 1 Abs 2 erster Satz und 8 Abs 1 Z 2 DSG) oder auf Basis einer ausdrücklichen gesetzlichen Ermächtigung oder Verpflichtung zur Verwendung der Daten (vgl § 8 Abs 1 Z 1 DSG) erfolgt.
Letzteres ist hier in Bezug auf bestimmte der in den Entscheidungsgründen erwähnten „Grunddaten“, insbesondere das Geburtsdatum, der Fall. Diese hätte der Bf nämlich „auch über das weniger eingriffsintensive interne System (ESS), dessen Zugriff ihm erlaubt gewesen wäre, abfragen“ können. Gem § 9 Abs 1 BDG hat nämlich jede Dienstbehörde über alle ihr angehörenden Beamtinnen und Beamten (samt Vertragsbediensteten) ein aktuelles Personalverzeichnis zu führen, welches den der Dienstbehörde angehörenden Beamtinnen und Beamten möglichst in elektronischer Form (ohne weitere Voraussetzungen) zur Einsicht zur Verfügung zu stellen ist. Nach Abs 3 dieser Bestimmung sind im Personalverzeichnis etwa Name und Geburtsdatum sowie weitere personenbezogene Daten über den Karriereverlauf anzuführen. Die Abfrage dieser Daten war daher - ungeachtet missbräuchlicher Verwendung des AIS - zufolge Rechtfertigung nicht gerichtlich strafbar.
Dass der Bf bei den inkriminierten Abfragen über ohnehin (rechtmäßig) verfügbare Daten hinausgehende Informationen über seine Kollegen gewinnen wollte, hat das Erstgericht nicht festgestellt. Wurden ihm durch die missbräuchliche Inanspruchnahme des AIS tatsächlich mehr Daten zugänglich als gewollt, begründet dies keine Strafbarkeit nach § 302 Abs 1 StGB.
Solcherart enthält das Urteil hinsichtlich keiner einzigen Tat eine tragfähige Sachverhaltsgrundlage für einen Schuldspruch wegen Missbrauchs der Amtsgewalt, weshalb seine sofortige Aufhebung bei der nichtöffentlichen Beratung (§§ 285e, 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO) samt Rückverweisung der Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht unumgänglich war.
Im zweiten Rechtsgang werden - im Fall eines neuerlichen Schuldspruchs - deutliche und bestimmte Feststellungen dazu zu treffen sein, welche im AIS gespeicherten, vom Geheimhaltungsinteresse der Betroffenen umfassten Daten der Angeklagte abfragen wollte. Die Verwendung von Begriffen wie „Veranlagungsdaten“ oder „Steuerdaten“ ist ohne Konkretisierung nicht ausreichend. Weiters wird zu beachten sein, dass der Bf Daten zum (letzten) Hauptwohnsitz - da ihm zumindest ein weiteres Merkmal der betroffenen Personen (etwa das Geburtsdatum über das ESS) zugänglich war - gem § 16 Abs 1 MeldeG im öffentlichen Melderegister abfragen konnte. Ein auf Gewinnung dieser allgemein verfügbaren Daten gerichteter Vorsatz reicht nach dem Vorgesagten für die Tatbestandserfüllung nicht aus