30.11.2015 Strafrecht

OGH: Gesetzwidriges Betreten eines Gerichtsgebäudes und Verhinderung des Verlassens durch das Kontrollorgans als Straftatbestand?

Auch die Republik Österreich genießt einen zivilrechtlichen Anspruch auf ungestörten Besitz und Ausübung des Hausrechts, sodass es sich beim gesetzwidrigen Betreten eines Gerichtsgebäudes um eine (hausrechtsverletzende) Besitzstörung handelt; eine Klärung der Identität des Störers im Wege der offensiven Selbsthilfe ist somit zulässig; hindert das Kontrollorgan den Störer daher mit Gewalt am Verlassen des Gerichtsgebäudes, verwirklicht es zwar grundsätzlich das Tatbild der Nötigung nach § 105 Abs 1 StGB (und allenfalls auch jenes der Freiheitsentziehung nach § 99 Abs 1 StGB); dieses Handeln ist aber aufgrund des Selbsthilferechts zur Durchsetzung ziviler Ansprüche gem §§ 19, 344 ABGB und auch gem § 105 Abs 2 StGB gerechtfertigt


Schlagworte: Gesetzwidriges Betreten eines Gerichtsgebäudes, Verhinderung des Verlassens durch das Kontrollorgans, Besitzstörung, Nötigung, Freiheitsentziehung, Rechtfertigungsgrund
Gesetze:

 

§ 105 StGB, § 99 StGB, § 19 ABGB § 344 ABGB

 

GZ 20 Os 7/15b, 25.08.2015

 

OGH: Dass das Kontrollorgan den Disziplinarbeschuldigten mit Gewalt daran hinderte, das Gebäude zu verlassen, verwirklichte zwar grundsätzlich das Tatbild der Nötigung nach § 105 Abs 1 StGB (allenfalls jenes der Freiheitsentziehung nach § 99 Abs 1 StGB - wobei Feststellungen zur Dauer der Anhaltung des Disziplinarbeschuldigten im Erkenntnis des Disziplinarrats fehlen). Dieses Handeln war aber jedenfalls gerechtfertigt: Als Grundlage dafür kommen sowohl das Selbsthilferecht zur Durchsetzung zivilrechtlicher Ansprüche gem §§ 19, 344 ABGB als auch der Rechtfertigungsgrund des § 105 Abs 2 StGB in Betracht. Nach höchstgerichtlicher Rsp ist einerseits das Anhalten eines „Schwarzfahrers“ unbekannter Identität, der der Verwaltungsübertretung nach Art IX Abs 1 Z 2 EGVG verdächtig ist, durch Kontrollorgane eines Massenbeförderungsunternehmens zur Durchsetzung eines zivilrechtlichen Anspruchs gegen den Schwarzfahrer gem §§ 19, 344 ABGB erlaubt und angemessen, auch wenn es die tatbestandliche Mindestdauer einer Freiheitsentziehung (§ 99 Abs 1 StGB) erreicht; Notwehr dagegen ist nicht zulässig.

 

Da auch die Republik Österreich einen zivilrechtlichen Anspruch auf ungestörten Besitz und Ausübung des Hausrechts genießt, handelt es sich bei dem gesetzwidrigen Betreten eines Gerichtsgebäudes um eine (hausrechtsverletzende) Besitzstörung. Eine Klärung der Identität des Störers im Wege der offensiven Selbsthilfe nach §§ 19, 344 ABGB ist somit zulässig. Darüber hinaus liegt angesichts des erwähnten privatrechtlichen Anspruchs und des öffentlichen Interesses an der Aufrechterhaltung eines sicheren, geordneten Gerichtsbetriebs auch der Rechtfertigungsgrund des § 105 Abs 2 StGB vor.

 

Da sich der die Konfliktsituation geradezu provozierende Disziplinarbeschuldigte somit gegen einen nicht rechtswidrigen Angriff wehrte, handelte er nicht in Notwehr (§ 3 StGB). Als Rechtsanwalt hätte er um das Nichtvorliegen einer Notwehrsituation auch Bescheid wissen müssen, weshalb ihm der im Erkenntnis angeführte Einsatz minderschwerer Gewalt vorwerfbar ist. Die fahrlässige Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes reicht aber für eine Strafbarkeit gemäß § 1 DSt aus.

 

An diesem Ergebnis ändert auch nichts, dass das GOG selbst die für die Sicherheit von Gerichtsgebäuden zuständigen Kontrollorgane zur Anwendung von Zwangsgewalt lediglich zu dem Zweck ermächtigt, Personen aus dem Gebäude zu weisen, die es abgelehnt haben, sich einer Sicherheitskontrolle zu entziehen oder die eine solche umgangen haben (§ 5 GOG), nicht aber zur Feststellung der Identität dieser Personen.

 

Dem Vorbringen der Berufung wegen des Ausspruchs über die Strafe kommt keine Berechtigung zu. Angesichts des erheblichen Unrechts- und Schuldgehalts des dem Disziplinarbeschuldigten vorwerfbaren Verhaltens sowohl bei Betreten als auch bei Verlassen eines Gerichtsgebäudes ist die vom Disziplinarrat festgesetzte Geldbuße keineswegs überhöht. Zutreffend hat der Disziplinarrat auf eine massive Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes und die Gefährdung des diesem eingeräumten Privilegs nach § 4 GOG durch das Verhalten des Disziplinarbeschuldigten abgestellt, das mehreren Gerichtspersonen zur Kenntnis gelangte und zum Einschreiten von Polizei, Staatsanwalt und Strafgericht führte. Selbst unter Außerachtlassen der „Uneinsichtigkeit“ des Disziplinarbeschuldigten als vom Disziplinarrat mitangeführter Erschwerungsgrund bestünde aus general- und spezialpräventiven Gründen kein Anlass, die Höhe der verhängten Geldbuße zu mindern.