16.11.2015 Zivilrecht

OGH: Dauernde Invalidität – Art 7.6. AUVB 2008 und zur Frage, ob nach einem rechtskräftigen Zahlungsbefehl eine Neubemessung zulässig ist

Mit der Vierjahresfrist des Art 7.6. AUVB 2008 wird der Zeitraum begrenzt, in dem Zustandsänderungen noch in eine Neubemessung einfließen und damit die Versicherungsleistung beeinflussen können; es ist kein Grund ersichtlich, warum hier ein zeitlich davor gelegenes rechtskräftiges Leistungsurteil das Recht des Versicherten oder des Versicherers auf Neubemessung im Fall einer zwischenzeitlich eingetretenen Zustandsänderung abschneiden sollte


Schlagworte: Versicherungsrecht, Unfallversicherung, dauernde Invalidität, Vierjahresfrist, rechtskräftiger Zahlungsbefehl, Neubemessung
Gesetze:

 

Art 7.6. AUVB 2008

 

GZ 7 Ob 117/15d, 16.10.2015

 

Die AUVB 2008 lauten auszugsweise:

 

„...

 

Artikel 7

 

Dauernde Invalidität

 

1. Voraussetzungen für die Leistung:

 

Die versicherte Person ist durch den Unfall auf Dauer in ihrer körperlichen oder geistigen Leistungsfähigkeit beeinträchtigt.

 

Die Invalidität ist innerhalb eines Jahres nach dem Unfall eingetreten.

 

 

5. Ein Anspruch auf Leistung für Dauernde Invalidität ist innerhalb von 3 Jahren ab Unfalltag schriftlich geltend zu machen und unter Vorlage eines ärztlichen Befundberichtes zu begründen.

 

...

 

6. Steht der Grad der Dauernden Invalidität nicht eindeutig fest, sind sowohl die versicherte Person als auch der Versicherer berechtigt, den Invaliditätsgrad jährlich bis 4 Jahre ab dem Unfalltag ärztlich neu bemessen zu lassen.

 

…“

 

Die Revisionswerberin meint, dass dem Antrag des klagenden Versicherungsnehmers auf Neubemessung nach Art 7.6. AUVB 2008 bereits der Umstand entgegenstehe, dass die dauernde Invalidität bei der Erstbemessung eindeutig festgestanden sei.

 

OGH: Mit Art 7.6. AUVB 2008 wortgleiche oder vergleichbare Klauseln waren bereits Gegenstand zahlreicher oberstgerichtlicher Entscheidungen. Derartige Klauseln enthalten eine Ausschlussfrist: Wird die Antragstellung auf Neubemessung innerhalb von vier Jahren ab dem Unfalltag versäumt, bleibt es bei der bisherigen Bemessung des Invaliditätsgrades. Ein allenfalls von der Erstbemessung abweichender Invaliditätsgrad ist nur dann zu bemessen und zu berücksichtigen, wenn dies bis zu vier Jahre ab dem Unfalltag vom Versicherten oder vom Versicherer begehrt wird.

 

Der Zweck der Regelung liegt in der möglichst raschen Herstellung von Rechtssicherheit und Rechtsfrieden. Beide Parteien sollen innerhalb eines überblickbaren Zeitraums Klarheit über den Grad der Invalidität erlangen können, um letztlich Beweisschwierigkeiten zu vermeiden und eine alsbaldige Klärung der Ansprüche herbeizuführen. Die durch Setzung der Ausschlussfrist vorgenommene Risikobegrenzung soll also im Versicherungsrecht eine Ab- und Ausgrenzung schwer aufklärbarer und unübersehbarer (Spät-)Schäden herbeiführen. Maßgeblich ist der Invaliditätsgrad bis maximal zum Ablauf der (Vierjahres-)Frist.

 

Die Neubemessung der Invalidität innerhalb der vereinbarten Frist setzt voraus, dass die dauernde Invalidität bereits grundsätzlich feststand, ärztlich bemessen wurde und der Versicherer dazu eine entsprechende Erklärung abgegeben hat.

 

Vor dem Hintergrund des Regelungszwecks kann ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer Art 7.6. AUVB 2008 nur so verstehen, dass immer dann, wenn nach einer Erstbemessung (oder einer zwischenzeitigen Neubemessung) eine den Invaliditätsgrad betreffende Änderung des Gesundheitszustands eingetreten ist, eine (jährliche) ärztliche Neubemessung innerhalb der Vierjahresfrist in Betracht kommt. Die Feststellung einer entsprechenden Zustandsänderung führt nämlich zwingend dazu, dass bei der vorangegangenen Bemessung der Invaliditätsgrad nicht eindeutig (und demnach unveränderbar) festgestanden ist. Daher genügt es im hier vorliegenden Fall, dass der Kläger eine zwischenzeitlich eingetretene unfallkausale Verschlechterung der Funktionseinschränkungen behauptet.

 

Damit stellt sich aber die weitere Frage, ob nach einem rechtskräftigen Zahlungsbefehl eine Neubemessung zulässig ist.

 

Zur im gegebenen Zusammenhang vergleichbaren deutschen Rechtslage schließt nach der Rsp des BGH und der deutschen Lehre ein vom Versicherungsnehmer erstrittenes rechtskräftiges Leistungsurteil einen Antrag auf Neubemessung grundsätzlich nicht aus, außer die Parteien haben nachweislich eine abschließende Invaliditätsfeststellung gewollt oder auf eine Neufestsetzung verzichtet. Zu berücksichtigen sind dann aber nur Änderungen nach Erlassung des Urteils oder nach dem Zeitpunkt, an dem das - gerichtlich eingeholte - Gutachten erstattet wurde, das Grundlage dieses Urteils war.

 

Diese Grundsätze sind auch für die hier vorliegende Bedingungslage maßgeblich. Mit der Vierjahresfrist des Art 7.6. AUVB 2008 wird der Zeitraum begrenzt, in dem Zustandsänderungen noch in eine Neubemessung einfließen und damit die Versicherungsleistung beeinflussen können. Es ist kein Grund ersichtlich, warum hier ein zeitlich davor gelegenes rechtskräftiges Leistungsurteil das Recht des Versicherten oder des Versicherers auf Neubemessung im Fall einer zwischenzeitlich eingetretenen Zustandsänderung abschneiden sollte. Dass die Parteien eine abschließende Festsetzung gewollt oder auf eine Neufestsetzung verzichtet hätten, wurde ohnehin nicht behauptet. Damit steht im vorliegenden Fall der rechtskräftige Zahlungsbefehl der vom Kläger begehrten Neubemessung nicht entgegen. Allerdings ist nur eine danach eingetretene Zustandsverschlechterung relevant.