16.11.2015 Zivilrecht

OGH: Zur Frage, ob der Risikoausschluss nach Art 8.2.2 und Art 8.2.3 AHVB 2004 auch dann greift, wenn der Vertragspartner des Versicherungsnehmers die Einhaltung der einschlägigen Sicherheitsvorschriften trotz entsprechender Warnung ablehnt

Der Hinweis „insbesondere im Hinblick auf die Wahl einer kosten- oder zeitsparenden Arbeitsweise“ hat - wie bereits das Wort insbesondere zeigt -, bloß demonstrativen Charakter; das Motiv des Zuwiderhandelns ist nicht relevant; lehnt der Versicherungsnehmer die dem Kundenwunsch entsprechende gesetzwidrige Ausführung nicht ab, sondern übernimmt er diese vereinbarungsgemäß, so ist ihm dies im Vertragsverhältnis zum Versicherer vorzuwerfen; die vage Annahme, der Kunde werde die Möglichkeit einer späteren Fertigstellung des Geländers noch veranlassen, exkulpiert den Kläger in dieser Situation ebenso wenig, steht ihm doch keine juristische Handhabe zur Verfügung, eine solche Fertigstellung zu erreichen


Schlagworte: Versicherungsrecht, Betriebshaftpflichtversicherung, Risikoausschluss, Sicherheitsvorschriften, gesetzwidrige Ausführung, nicht kindersicheres Stiegengeländer, grob fahrlässig
Gesetze:

 

Art 8.2. AHVB 2004

 

GZ 7 Ob 126/15b, 16.10.2015

 

Zwischen den Parteien besteht eine Betriebshaftpflichtversicherung, der die Allgemeinen Bedingungen für die Betriebshaftpflichtversicherung Eurotop 2004 idF 7/2012 (in Folge: AHVB) zu Grunde liegen. Sie lauten auszugsweise wie folgt:

 

„Art 8 - Ausschlüsse vom Versicherungsschutz:

 

[...]

 

2. Vorsatz:

 

Die Versicherung erstreckt sich nicht auf Schadenersatzverpflichtungen

 

2.1 der Personen, die den Schaden, für den sie von einem Dritten verantwortlich gemacht werden, vorsätzlich und rechtswidrig herbeigeführt haben;

 

Als vorsätzlich gilt auch eine Handlung oder Unterlassung, welche die betreffende Person nicht vermeidet, obwohl sie die wahrscheinlichen, schädlichen Folgen voraussehen musste, diese jedoch in Kauf genommen hat (z.B. im Hinblick auf die Wahl einer kosten- oder zeitsparenden Arbeitsweise);

 

2.2 die Kenntnis der Mangelhaftigkeit oder Schädlichkeit von hergestellten oder gelieferten Sachen oder von geleisteten Arbeiten bzw sonstigen Tätigkeiten;

 

2.3 infolge bewussten Zuwiderhandelns gegen Vorschriften. Der Versicherer ist von der Verpflichtung zur Leistung frei, wenn der Versicherungsfall grob fahrlässig herbeigeführt wurde und bewusst - insbesondere im Hinblick auf die Wahl einer kosten- oder zeitsparenden Arbeitsweise - den für den versicherten Betrieb oder Beruf geltenden Gesetzen, Verordnungen oder behördlichen Vorschriften zuwider gehandelt wurde […].“

 

OGH: Art 8.2.3 AHVB regelt einen Risikoausschluss. Um Leistungsfreiheit nach dieser Bestimmung annehmen zu können, muss kumulativ die Herbeiführung des Versicherungsfalls und das bewusste Zuwiderhandeln gegen für den versicherten Betrieb oder Beruf geltende Gesetze, Verordnungen und Vorschriften vorliegen. Der Versicherungsnehmer muss die Verbotsvorschrift zwar nicht in ihrem Wortlaut und in ihrem genauen Umfang kennen, er muss sich aber bei seiner Vorgangsweise bewusst sein, dass er damit gegen Vorschriften verstößt, muss also das Bewusstsein der Rechtswidrigkeit seiner Handlungen haben.

 

§ 17 Abs 1 Oö BauTG 1994 in der 2007 geltenden Fassung normierte, dass an allen Stellen einer baulichen Anlage, an der Absturzgefahr besteht und zu denen der Zutritt möglich ist, standsichere Geländer oder Brüstungen anzubringen und so auszuführen sind, dass auch Kinder ausreichend geschützt sind.

 

Der Kläger geht selbst davon aus, bewusst § 17 Oö BauTG zuwider gehandelt zu haben. Er argumentiert aber, dass Art 8.2.3 AHVB durch die Wortfolge „insbesondere im Hinblick auf die Wahl einer kosten- oder zeitsparenden Arbeitsweise“ ein besonders gelagertes Fehlverhalten umschreibe. Nur ein solches Verhalten des Versicherungsnehmers, das aus unlauteren Motiven und um sich selbst zu begünstigen zu Lasten eines Dritten gesetzt werde, sei vom Ausschluss umfasst. Der Hinweis „insbesondere im Hinblick auf die Wahl einer kosten- oder zeitsparenden Arbeitsweise“ hat - wie bereits das Wort insbesondere zeigt -, bloß demonstrativen Charakter. Das Motiv des Zuwiderhandelns ist nicht relevant. Damit ist die erste Voraussetzung des Art 8.2.3 AHVB erfüllt.

 

Grobe Fahrlässigkeit wird allgemein im Versicherungsvertragsrecht dann als gegeben erachtet, wenn schon einfachste, naheliegende Überlegungen nicht angestellt und Maßnahmen nicht ergriffen werden, die jedermann einleuchten müssen; wenn jedenfalls völlige Gleichgültigkeit gegen das vorliegt, was offenbar unter den gegebenen Umständen hätte geschehen müssen. Grobe Fahrlässigkeit setzt also ein Verhalten voraus, von dem der Versicherungsnehmer wusste oder wissen musste, dass es geeignet ist, die Gefahr des Eintritts eines Versicherungsfalls herbeizuführen oder zu vergrößern.

 

Der Kläger - als ausführender Unternehmer - errichtete ein nicht kindersicheres Geländer in einem Wohnhaus. Er musste die besondere Gefährlichkeit des Stiegengeländers, dessen horizontalen Traversen einen Abstand von 17 cm aufwiesen, im Hinblick auf die Gefahr des Durchfallens eines Kindes kennen. Selbst wenn er damals davon ausging, dass die Bauherren kein Kind hätten, konnte er zum einen nicht annehmen, dass der Haushalt weiterhin kinderlos bleibt; zum anderen musste ihm auch klar sein, dass die beschriebene Gefährlichkeit des Stiegengeländers auch im Hinblick auf Kinder, die zu Besuch kommen, besteht.

 

Die Vorinstanzen haben unter diesen Umständen zu Recht das Vorliegen grober Fahrlässigkeit bejaht.

 

Dem hält der Kläger entgegen, dass in der höchstgerichtlichen Judikatur die Frage ungeklärt sei, wie die Haftungsausschlussklauseln des Art 8 AHVB zu deuten seien, „wenn der Versicherungsnehmer alle Vorkehrungen, die nach dem jeweiligen Stand der technischen Wissenschaften in dieser Hinsicht üblich sind, treffen wollte, um das Eintreten des von diesem befürchteten Schaden abzuwenden, von seinem Vorhaben aber durch Faktoren abgehalten wurde, die nicht in seinem Einflussbereich standen bzw diesem von Dritten die Einhaltung des konkreten übertretenen Schutzgesetzes unmöglich gemacht wurde“.

 

Hier entfernt sich der Kläger vom festgestellten Sachverhalt. Die dem Gesetz entsprechende Errichtung wurde ihm nicht unmöglich gemacht, vielmehr stellte er das dem Gesetz widersprechende - weil nicht kindersichere Stiegengeländer - im Einvernehmen mit den Bauherren her. Lehnt aber der Versicherungsnehmer die dem Kundenwunsch entsprechende gesetzwidrige Ausführung nicht ab, sondern übernimmt er diese vereinbarungsgemäß, so ist ihm dies im Vertragsverhältnis zum Versicherer vorzuwerfen. Die vage Annahme, der Kunde werde die Möglichkeit einer späteren Fertigstellung des Geländers noch veranlassen, exkulpiert den Kläger in dieser Situation ebenso wenig, steht ihm doch keine juristische Handhabe zur Verfügung, eine solche Fertigstellung zu erreichen.

 

Da bereits Leistungsfreiheit der Beklagten aufgrund Art 8.2.3 AHVB besteht, erübrigt sich ein Eingehen auf die weiteren geltend gemachten Ausschlussgründe.