09.11.2015 Verfahrensrecht

OGH: Aussageverweigerungsrechte – Handlungen iSd § 322 ZPO

Der Begriff der „Handlungen“ iSd § 322 ZPO ist unter Bedachtnahme auf die Zwecke der Aussageverweigerungsrechte und ihrer Ausnahmen eng auszulegen


Schlagworte: Aussageverweigerungsrecht, Zeuge, vermögensrechtlicher Nachteil, Handlungen, Vertreter
Gesetze:

 

§ 322 ZPO, § 321 ZPO, § 340 ZPO

 

GZ 8 Ob 23/15p, 29.09.2015

 

OGH: Die Frage, wie der Rekurswerber „den Gemeinderatsbeschluss interpretiert habe und was er unter den Begriffen 'marktüblich' und 'optimieren' verstanden habe“ betrifft nicht unmittelbar eine „Tatsache“ iSd § 340 Abs 2 ZPO. Sie zielt aber offenkundig darauf ab, die Beweggründe des Zeugen zu erforschen, die ihn zu bestimmten verfahrensrelevanten Handlungen bewogen haben. Solche Fragen nach inneren Tatsachen, wie welchen Zweck der Zeuge mit einer Handlung verfolgt hat oder wie er eine wahrgenommene Äußerung verstanden hat, sind zulässig, soweit der Zeuge nicht lediglich Werturteile abgeben oder eigene Schlussfolgerungen ziehen soll.

 

Nach § 321 Abs 1 Z 2 ZPO kann der Zeuge die Aussage über Fragen verweigern, deren Beantwortung ihm oder einer der in Z 1 leg cit bezeichneten Personen einen unmittelbaren vermögensrechtlichen Nachteil zuziehen würde. Gem § 322 ZPO darf das Zeugnis über Handlungen, welche der Zeuge in Betreff des streitigen Rechtsverhältnisses als Rechtsvorgänger oder Vertreter einer der Parteien vorgenommen hat, wegen eines zu besorgenden vermögensrechtlichen Nachteils nicht verweigert werden.

 

Die Vorinstanzen sind zutreffend davon ausgegangen, dass der Zeuge als „Vertreter“ der Klägerin iSd § 322 ZPO aufgetreten ist. Nach hA kommt es bei diesem Begriff im weitesten Sinn auf das tatsächliche Auftreten des Zeugen für die Partei an. Selbst Scheinvertreter oder Geschäftsführer ohne Auftrag sind dadurch erfasst, umso mehr ein von der Partei mit Verhandlungen in ihrem Namen beauftragter Angestellter bzw Beamter.

 

Der Rekurswerber begründet seine Aussageverweigerung mit hohen Regressforderungen, die ihm von Seiten beider Prozessparteien in Aussicht gestellt worden seien. Die Beantwortung der strittigen Frage könne ihm unter Umständen den haftungsbegründenden Vorwurf einer unvertretbaren Fehlinterpretation des Gemeinderatsbeschlusses zuziehen.

 

Es kann hier dahingestellt bleiben, inwiefern in der Aussicht, dass die Verfolgung einer bestehenden Schadenersatzpflicht erleichtert werden könnte, ein Vermögensnachteil iSd § 321 Abs 1 Z 2 ZPO liegt. Es kommt hier auch nicht darauf an, ob sich die geforderte Unmittelbarkeit des Nachteils auf die Kausalität der Zeugenaussage, auf den Eintritt des Nachteils im Vermögen des Zeugen bzw der ihm nahestehenden Personen, oder auf beides bezieht.

 

Dem Rekursgericht ist grundsätzlich beizupflichten, dass der Begriff der „Handlungen“ iSd § 322 ZPO unter Bedachtnahme auf die Zwecke der Aussageverweigerungsrechte und ihrer Ausnahmen eng auszulegen ist. Allerdings sind die Beweggründe und Motive, die den Zeugen zu bestimmten Handlungen veranlasst haben und die für das richtige Verständnis der äußeren Umstände erforderlich scheinen, untrennbar mit diesen Handlungen verbunden, sodass die Beantwortung von darauf gerichteten und zulässigen Fragen unter den Voraussetzungen des § 322 ZPO nicht verweigert werden darf.