19.10.2015 Zivilrecht

OGH: Zur Frage, wie der Unterhaltsanspruch des Kindes bei gleichwertiger Betreuung durch beide Elternteile zu bemessen ist, wenn das Einkommen des einen Elternteils ein Vielfaches jenes des anderen beträgt und das Einkommen des leistungsfähigeren Elternteils jedenfalls zu einem über der Luxusgrenze liegenden Geldunterhaltsanspruch des Kindes über dem Unterhaltsstopp führen würde

Bei der Berechnung des Restgeldunterhaltsanspruchs gegen den leistungsfähigeren Elternteil ist die mögliche Teilhabe am Lebensstandard des Vaters, gemessen an dessen Einkommen, der möglichen Teilhabe an jenem der Mutter, gemessen an ihrem Einkommen, gegenüberzustellen; der Geldausgleich des Vaters für die Zeit, in der das Kind bei der Mutter ist und daher an seinem höheren Lebensstandard nicht teilnehmen kann, kommt jedenfalls nur bis zur Luxusgrenze - in Bezug auf das Einkommen des Vaters - in Betracht


Schlagworte: Familienrecht, Kindesunterhalt, Bemessung, gleichwertige Betreuung durch beide Elternteile, Luxusgrenze, Familienbeihilfe, Transferzahlungen, Taschengeld
Gesetze:

 

§ 231 ABGB

 

GZ 1 Ob 158/15i, 17.09.2015

 

OGH: Die Eltern praktizieren seit September 2014 ein Betreuungsmodell, wonach sich das Kind im gleichen zeitlichen Verhältnis bei beiden Elternteilen aufhält (abwechselnd jeweils eine volle Woche bei der Mutter und beim Vater und auch in den Ferien jeweils im gleichen zeitlichen Umfang bei beiden Elternteilen). Damit liegt eine gleichteilige Betreuungssituation der Eltern vor. Der Vater erzielt ein weit überdurchschnittliches Einkommen, das das der Mutter um ein Mehrfaches übersteigt. Außer für die 13-jährige Minderjährige treffen die Elternteile (nach dem Akteninhalt) keine weiteren Sorgepflichten. Bedarfsdeckende Naturalleistungen wie etwa für Bekleidung, Schulartikel, Tanzkurs, Sportausrüstung, Elektronik etc werden von den Eltern annähernd zu gleichen Teilen erbracht. Die Leistungen an sonstigem Naturalunterhalt, Pflege und Erziehung werden ebenfalls im gleichen Ausmaß vorgenommen. Damit erbringen beide Elternteile die Betreuungs- und Versorgungsleistungen gegenüber ihrer Tochter sowohl in zeitlicher Hinsicht als auch im Leistungsumfang in gleichwertiger Weise.

 

Bei der Bedarfsdeckung im Wege der Naturalleistungen durch beide Elternteile ist im Fall von Einkommensdifferenzen zu beachten, dass das Kind lediglich in der Zeit, in der es sich in Betreuung des besser verdienenden Elternteils befindet, an dessen aus dem höheren Einkommen resultierenden gehobenen Lebensstandard teilhaben kann. Hingegen ist ihm in der Zeit, in der es sich beim schlechter verdienenden Elternteil in Betreuung befindet, die Teilnahme am Lebensstandard des höher verdienenden (anders als bei zusammenlebenden Eltern) nicht möglich. In diesem Fall hat das Kind gegenüber dem besser verdienenden Elternteil (hier dem Vater) einen dessen Betreuungsleistungen ergänzenden angemessenen Geldunterhaltsanspruch, der es ermöglichen soll, dass das Kind während der Zeit der Betreuung im Haushalt des schlechter verdienenden Elternteils (hier der Mutter) am Lebensstandard des anderen weiterhin teilnehmen kann, was ein maßstabsgerechter Vater, der mit der Mutter zusammenlebt, gewährleisten würde.

 

Bei der Berechnung des Restgeldunterhaltsanspruchs gegen den leistungsfähigeren Elternteil ist die mögliche Teilhabe am Lebensstandard des Vaters, gemessen an dessen Einkommen, der möglichen Teilhabe an jenem der Mutter, gemessen an ihrem Einkommen, gegenüberzustellen. Der Geldausgleich des Vaters für die Zeit, in der das Kind bei der Mutter ist und daher an seinem höheren Lebensstandard nicht teilnehmen kann, kommt jedenfalls nur bis zur Luxusgrenze - in Bezug auf das Einkommen des Vaters - in Betracht.

 

Unterhaltsbemessungsgrundlage für den (fiktiven) Unterhaltsanspruch der Minderjährigen gegenüber der Mutter bildet rechnerisch deren monatliches Einkommen von 1.625 EUR. Danach hätte die 13-Jährige gegenüber ihrer Mutter - unter Zugrundelegung eines Prozentsatzes von 20 - einen (fiktiven) monatlichen Unterhaltsanspruch von 325 EUR.

 

Im Hinblick auf die festgestellte Einkommenshöhe des Vaters von zumindest 6.310 EUR betrüge ein zur Gänze in Geld bemessener Unterhaltsanspruch der Minderjährigen gegenüber dem Vater das zweieinhalbfache des Regelbedarfs (930 EUR = 2,5 x 372 EUR pro Monat). Nach der Rsp kann als Richtwert für die sog Luxusgrenze bei Kindern über 10 Jahren das zweieinhalbfache des jeweiligen Durchschnittsbedarfssatzes herangezogen werden, wobei es sich dabei nicht um eine starre Grenze handelt. Zu berücksichtigen ist allerdings - wie vom Vater angestrebt - die von der Mutter bezogene Familienbeihilfe von 136,20 EUR (§ 8 Abs 2 Z 1 lit c FLAG). Der Geldunterhaltspflichtige hat nach der Rsp auch dann Anspruch darauf, durch entsprechende Berücksichtigung der Transferzahlungen steuerlich entlastet zu werden, wenn die Prozentkomponente aufgrund des Unterhaltsstopps bei überdurchschnittlichem Einkommen nicht voll ausgeschöpft wird. Beim betreuungsrechtlichen Unterhaltsmodell ist nach Ansicht des erkennenden Senats die Familienbeihilfe im Verhältnis der (fiktiv) zu ermittelnden Geldunterhaltsansprüche des Kindes gegenüber beiden Elternteilen aufzuteilen. Ausgehend vom Verhältnis der fiktiven Unterhaltsansprüche des Kindes gegenüber Vater und Mutter von 3:1 ist die Familienbeihilfe im Umfang von ¾ (102,15 EUR) von 930 EUR abzuziehen, sodass der fiktive Unterhaltsanspruch des Kindes gegenüber dem Vater rund 828 EUR beträgt.

 

Dieser Betrag ist nun - weil die Betreuung jeweils die Hälfte der Zeit im Haushalt der Mutter und des Vaters erfolgt - zu halbieren und dem halben Unterhaltsanspruch des Kindes gegen die Mutter gegenüberzustellen. Der so ermittelte Differenzbetrag ist Grundlage für die Bemessung des vom Vater zu leistenden Ausgleichsbetrags für die Zeit der Betreuung im Haushalt der Mutter und der damit für das Kind verbundenen verminderten Teilnahme an seinem Lebensstandard.

 

Das ergibt somit folgende Berechnung:

 

halber Unterhaltsbeitrag des Vaters 414 EUR

 

abzüglich halber Unterhaltsbeitrag

 

der Mutter von rund - 162 EUR

 

Differenz 252 EUR

 

 

Der so ermittelte Betrag ergibt den vom Vater zum Ausgleich dafür, dass das Kind in der Zeit der Betreuung der Mutter nicht an seinem höheren Lebensstandard teilhaben kann, zu leistenden „ergänzenden“ Unterhaltsbeitrag. Ein Unterhaltsbeitrag ist jedoch nicht exakt zu berechnen, sondern zu bemessen, weshalb der verbleibende Geldunterhaltsanspruch der Minderjährigen gegenüber dem Vater 260 EUR pro Monat beträgt. Dieser Restgeldunterhaltsanspruch des Kindes wäre der Höhe nach nicht anders, wenn man von dem vom Erstgericht festgestellten monatlichen Einkommen der Mutter von 1.583 EUR ausginge.

 

Entgegen der Ansicht des Vaters kann er sich nicht als weitere Naturalunterhaltsleistungen (anteilig) das Taschengeld von monatlich 50 EUR und die monatlichen Handykosten von 30 EUR auf diese Geldunterhaltsverpflichtung anrechnen lassen. Dass seine Tochter von ihm als besser verdienenden Elternteil mehr Taschengeld erhält, entspricht den gegebenen Lebensverhältnissen. Vor allem finden diese Leistungen im während der Betreuung seiner Tochter erbrachten Aufwand, dem immerhin ein auf seine Unterhaltsverpflichtung anzurechnender Wert von 414 EUR als Naturalunterhalt zukommt, Deckung. Jedenfalls was die mit der Betreuung zusammenhängenden Kosten betrifft, kann ein nach der Prozentsatz-Judikatur zustehender Unterhaltsanspruch nicht zweimal gekürzt werden, einmal wegen der teilweisen Betreuung und ein weiteres Mal durch die Anrechnung dieser Naturalleistungen.