22.09.2015 Zivilrecht

OGH: Kündigungsgrund der fehlenden regelmäßigen Verwendung nach § 30 Abs 2 Z 6 MRG und schutzwürdiges Interesse des Mieters

Der Mieter muss konkrete Behauptungen aufstellen, aus welchen Gründen - trotz der fehlenden regelmäßigen Benutzung - sein schutzwürdiges Interesse besteht; ein detailliertes Vorbringen zu allen möglichen Einzelpunkten wird jedoch nicht gefordert


Schlagworte: Mietrecht, Kündigung, Befriedigung des dringenden Wohnbedürfnisses, fehlende regelmäßige Verwendung, schutzwürdiges Interesse
Gesetze:

 

§ 30 MRG

 

GZ 5 Ob 77/15g, 19.06.2015

 

OGH: § 30 Abs 2 Z 6 MRG gewährt einen Kündigungsgrund, wenn die vermietete Wohnung nicht zur Befriedigung des dringenden Wohnbedürfnisses des Mieters oder der eintrittsberechtigten Personen regelmäßig verwendet wird, es sei denn, dass der Mieter zu Kur- oder Unterrichtszwecken oder aus beruflichen Gründen abwesend ist.

 

Eine regelmäßige Verwendung, deren Fehlen der Vermieter behaupten und beweisen muss, setzt nach stRsp voraus, dass die gekündigte Wohnung wenigstens während eines beträchtlichen Zeitraums im Jahr (bzw einige Tage in der Woche) als Mittelpunkt der Lebensführung benützt wird.

 

Bei der Beurteilung der Intensität einer Nutzung differenziert der OGH nach Familienstand oder Vertragszweck. So wird bei Junggesellen im Vergleich zu Familien an die Anforderungen eines Lebensschwerpunkts kein allzu strenger Maßstab angelegt. Bei Vermietung eines Objekts als Zweitwohnung nimmt der OGH erst dann eine nicht regelmäßige Verwendung der Wohnung an, wenn sie nicht einmal in diesem eingeschränkten Umfang der vereinbarten Nutzung verwendet wird. Die bloße Benützung eines zu Wohnzwecken gemieteten Objekts als „Absteigquartier“ reicht für eine regelmäßige Verwendung nicht aus.

 

Nach den Feststellungen der Vorinstanzen benützte die Beklagte die aufgekündigte Wohnung bis zum Sommer 2006 noch sporadisch, hielt sich aber spätestens ab dem Winter 2006 abgesehen von gelegentlichen Besuchen in einem ihr zur Hälfte gehörenden Haus in M***** auf, in dem sie eine 38 m2 große Wohnung bewohnt. Die Bezeichnung von Aufenthalten als „sporadisch“ oder „gelegentlich“ bringt nach dem allgemeinen Sprachverständnis entgegen der Auffassung der Beklagten in der Revisionsbeantwortung deutlich zum Ausdruck, dass ab dem Jahr 2006 eine Intensität der Benützung gegeben ist, die ganzjährig der Nutzung bloß als „Absteigquartier“ gleichkommt. Die Probleme bei der Beheizung spielen bei der Beurteilung dieser nicht ausreichenden Benützungsintensität keine Rolle. Eine Beheizung der Wohnung wurde durch das Verhalten der Vermieterin, die im Zuge der Umstellung auf Fernwärme eine Kohlenkiste zur Lagerung des Brennmaterials am Gang entfernen ließ, nicht ausgeschlossen. Erschwert wurde vielmehr die Lagerung des Brennmaterials, die Kachelöfen in der Wohnung wären nach wie vor beheizbar gewesen. Zudem benützt die Beklagte die aufgekündigte Wohnung zumindest seit dem Jahr 2006 auch während der warmen Jahreszeit nur mehr sporadisch oder gelegentlich. Die Verlagerung ihres Lebensschwerpunkts nach M***** war somit nicht durch eine vom Vermieter zu verantwortende fehlende Beheizbarkeit des aufgekündigten Objekts bedingt.

 

Die Vermieterin hat nach den Feststellungen der Vorinstanzen nachgewiesen, dass die aufgekündigte Wohnung nicht mehr regelmäßig zu Wohnzwecken verwendet wird. Damit trifft die beklagte Mieterin die Behauptungs- und Beweislast für das dringende Wohnbedürfnis, das bei Vorliegen eines schutzwürdigen Interesses des Mieters an der Aufrechterhaltung des Mietvertrags zu bejahen ist. Die Rsp des OGH verlangt idR vom Mieter den Nachweis, dass die Wohnung mit Sicherheit in naher Zukunft wieder benötigt werden wird. Auf ungewisse, in der Zukunft liegende Möglichkeiten ist nicht Bedacht zu nehmen. So wurde die Möglichkeit einer vorzeitigen bedingten Entlassung bei Beurteilung der Zukunftsprognose nicht berücksichtigt, wenn der Mieter eine mehrjährige Freiheitsstrafe verbüßte.

 

Der Mieter muss konkrete Behauptungen aufstellen, aus welchen Gründen - trotz der fehlenden regelmäßigen Benutzung - sein schutzwürdiges Interesse besteht. Ein detailliertes Vorbringen zu allen möglichen Einzelpunkten wird jedoch nicht gefordert. Die Gründe für eine beabsichtigte Wiederkehr und der Zeitplan für deren Umsetzung müssen daher nicht in allen Einzelheiten darlegt werden. Um die Voraussetzungen für das Vorliegen eines schutzwürdigen Interesses auch nur annähernd prüfen zu können, ist jedoch idR die Angabe eines Zeitrahmens zu fordern, innerhalb dessen der Mieter in das aufgekündigte Objekt zurückkehren kann und will. Die Verwendung allgemeiner Floskeln wie „in absehbarer Zeit“ reicht dafür nicht aus. Sie ermöglicht nämlich keinerlei Einschätzung, ob die Rückkehr nur eine völlig ungewisse Möglichkeit darstellt. Lediglich in Fällen, in denen der besondere, familiär bedingte Einsatz eines Mieters zur ständigen Anwesenheit in der Wohnung einer pflegebedürftigen Person führte, wird die Unsicherheit über die weitere Dauer der pflegebedingten Nichtbenutzung nach der Rsp des OGH durch die besondere Schutzwürdigkeit des Mieters aufgehoben.

 

Die Beklagte berief sich auf eine altersbedingte Verschlechterung ihres Allgemeinzustands, der die Fahrt nach Wien zu Ärzten und Seelsorgern erschwere und das Ausweichen in die engen, feuchten, beschwerlichen und ebenfalls nur mit Kohle bzw Holz beheizbaren Räumlichkeiten der anderen Wohnung unmöglich mache. Sie bemühe sich seit einiger Zeit um die Verbesserung der Heizmöglichkeit in der aufgekündigten Wohnung. Sie könne sich nur mehr eingeschränkt um die Erhaltung des Hauses in M***** kümmern, die meisten erforderlichen Erhaltungsarbeiten seien demnächst abgeschlossen. Auch wenn sie zunächst bei Darlegung der Zukunftsprognose die Floskel „in absehbarer Zeit“ verwendet, konkretisiert sie zuletzt doch den Zeitrahmen, indem sie auf den Abschluss der Erhaltungsarbeiten „in diesem Jahr“ (gemeint: 2014) hinweist.

 

Damit liegt entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts ein ausreichendes Vorbringen zu einer möglichen Rückkehr in naher Zukunft vor. Festellungen zu diesem Beweisthema wurden jedoch noch nicht getroffen, was zur Aufhebung der Entscheidungen der Vorinstanzen führt. Ob sich die Behauptungen zur Rückkehr in das aufgekündigte Objekt angesichts des seit Verlegung des Lebensmittelschwerpunkts verstrichenen Zeitraums tatsächlich als plausibel erweisen, wird das Erstgericht nach Verwertung der (allenfalls zu ergänzenden) Beweisergebnisse in seiner Beweiswürdigung zu beurteilen haben.