11.09.2015 Verfahrensrecht

OGH: Missachtung des Vorlagebeschlusses nach § 303 ZPO

Nach § 307 Abs 2 ZPO unterliegt eine ungerechtfertigte Vorlageverweigerung der freien Beweiswürdigung des Gerichts in Bezug auf die Frage, ob die Angaben des Beweisführers über den Urkundeninhalt als erwiesen anzunehmen ist


Schlagworte: Beweislast, Urkunde, Mitwirkungspflicht, Vorlagebeschluss, Vorlageverweigerung
Gesetze:

 

§ 303 ZPO, § 307 ZPO

 

GZ 8 ObA 9/15d, 28.04.2015

 

OGH: Die ZPO kennt gewisse prozessuale Mitwirkungspflichten der Parteien. Dazu gehört va auch die von der Beweislastsituation unabhängige Verpflichtung, dem Gericht in den Händen der jeweiligen Partei befindliche und für die Beweisführung des Verfahrensgegners erhebliche Urkunden vorzulegen (§§ 303 ff ZPO).

 

Nach § 303 Abs 1 ZPO kann das Gericht dem Gegner über Antrag die Vorlage einer bestimmten Urkunde auftragen, wenn die andere Partei behauptet, dass sich eine für ihre Beweisführung erhebliche Urkunde in dessen Händen befindet. Die Anwendbarkeit dieser Bestimmung setzt voraus, dass sich der Beweisführer auf den konkreten Inhalt und damit auch auf die Existenz einer bestimmten Urkunde beruft. Die in der in Rede stehenden Bestimmung statuierte Mitwirkungspflicht des Gegners zielt auf die Ermöglichung der Beweisführung ab. Sie greift daher erst dann ein, wenn der Beweisbelastete schlüssige Behauptungen aufgestellt hat, die durch den Inhalt der Urkunde bewiesen werden sollen. Das Editionsverfahren ist jedoch nicht dazu geschaffen, um dem Beweisführer einen Erkundungsbeweis zu ermöglichen.

 

Aus diesen Grundsätzen folgt, dass sich die formelle Vorlagepflicht nach § 303 Abs 1 ZPO nur auf eine bestimmte, nach der Behauptung des Beweisführers existente Urkunde bezieht, aus der er konkrete, für seine Beweisführung erhebliche und beweisbedürftige Tatsachen ableitet.

 

Nach § 307 Abs 2 ZPO unterliegt eine ungerechtfertigte Vorlageverweigerung der freien Beweiswürdigung des Gerichts in Bezug auf die Frage, ob die Angaben des Beweisführers über den Urkundeninhalt als erwiesen anzusehen sind.

 

Das Erstgericht hat, was die Beklagte auch gar nicht bestreitet, einen Vorlagebeschluss im Editionsverfahren gefällt und der Beklagten aufgetragen, die Provisionsvereinbarung (bzw die Rahmenverträge) mit dem Systemlieferanten L*****, aus der sich allfällige Bonuszahlungen zugunsten der Beklagten aus den (Netto-Einkauf-)Umsätzen des Klägers ergeben, vorzulegen.

 

Bei einem solchen Vorlagebeschluss handelt es sich um eine prozessleitende Verfügung, die gem § 319 Abs 2 ZPO nicht abgesondert angefochten werden kann. Die Überprüfung des Vorlagebeschlusses kann daher entweder zusammen mit der nächstfolgenden anfechtbaren Entscheidung (§ 515 ZPO) oder zusammen mit der prozessbeendenden Entscheidung verlangt werden. Dabei ist zu berücksichtigen, dass in der mündlichen Verhandlung gefasste Beschlüsse, die nicht gesondert anfechtbar sind, nach § 426 ZPO, § 79 Abs 4 GOG nur mündlich zu verkünden sind. Sie werden mit der Verkündung wirksam. Auch wenn § 79 Abs 4 GOG für solche (nicht amtswegig zuzustellende Beschlüsse) den Parteien ein Antragsrecht auf Ausfertigung einräumt, berührt dies die bereits eingetretene rechtliche Wirksamkeit nicht.

 

Für den Anlassfall ergibt sich, dass die Beklagte den Vorlagebeschluss nach § 303 ZPO nicht, auch nicht mit einer Mängelrüge im Rahmen ihrer Berufung gegen das Urteil erster Instanz, bekämpft hat. Der Vorlagebeschluss ist daher in Rechtskraft erwachsen. Daraus folgt, dass Überlegungen dazu, ob die Voraussetzungen für den Vorlageauftrag gegeben waren, und ob sich die Beklagte allenfalls auf Geschäftsgeheimnisse berufen könnte, nicht mehr anzustellen sind.

 

Die Beklagte ist dem (rechtskräftigen) Vorlageauftrag nicht nachgekommen. Das Erstgericht hat diesen Umstand in seinem Urteil nicht berücksichtigt, sondern ohne Bedachtnahme auf den Vorlagebeschluss eine Negativfeststellung zu den vom Kläger behaupteten Bonuszahlungen des Systemlieferanten L***** getroffen. Das Berufungsgericht beanstandete diese Negativfeststellung nicht und führte aus, dass der Kläger seiner Beweispflicht nicht nachgekommen sei, weshalb das Erstgericht den Ausgleichsanspruch zutreffend ohne Berücksichtigung der behaupteten Umsatzbeteiligung der Beklagten berechnet habe. Der Kläger verkenne, dass die Beklagte nicht einen gerichtlichen Auftrag, die Provisionsvereinbarung mit L***** vorzulegen, missachtet habe. Ein solcher Auftrag sei vom Erstgericht nicht erteilt, sondern in der Tagsatzung vom 25. 3. 2014 nur mit dem Vertreter der Beklagten erörtert worden.

 

Die prozessualen Aufklärungsobliegenheiten, wie auch ein Vorlageauftrag nach § 303 ZPO, dient der Sachverhaltsaufklärung. Die Verletzung dieser Pflicht wirkt sich daher auf die Sachverhaltsfeststellung aus. Dementsprechend hätte das Berufungsgericht in Behandlung der Tatsachenrüge, also im Rahmen seiner Beweiswürdigung, die Rechtsfolgen der Missachtung des Vorlagebeschlusses nach § 303 ZPO durch die Beklagte beurteilen müssen. Seine Ausführungen, wonach der Beklagten eine Vorlage der Provisionsvereinbarung mit der Firma L***** gar nicht aufgetragen worden sei, erweisen sich als aktenwidrig. Die Entscheidung des Berufungsgerichts kann daher keinen Bestand haben.