06.09.2015 Zivilrecht

OGH: Zur Frage, ob bzw inwieweit bei der Unterhaltsbemessung der Anspannungsgrundsatz auch auf das von einer Privatstiftung „originär“ erworbene Vermögen und die daraus erzielten Erlöse anwendbar ist

Der geldunterhaltspflichtige Ehegatte, der einen wesentlichen Teil seines Vermögens in eine Privatstiftung eingebracht hat, deren Erträge ihm widmungsgemäß nicht zufließen, ist auf die fiktiven Erträge jenes Vermögens, dessen er sich zugunsten der Stiftung begeben hat, anzuspannen; in die Unterhaltsbemessungsgrundlage sind insbesondere auch Erträge von Vermögen einzubeziehen, während der Stamm des Vermögens grundsätzlich nicht heranzuziehen ist und demgemäß etwa der beim Verkauf einer Liegenschaft erzielte Kaufpreis nicht als Einkommen zu behandeln ist, weil er nicht als „Erträgnis des Vermögens“, sondern als Gegenwert für die Sachsubstanz selbst und damit als „Vermögenssubstanz“ anzusehen ist; der Verkauf eines privaten Vermögensgegenstands bewirkt nämlich lediglich eine Umschichtung der Vermögenssubstanz


Schlagworte: Familienrecht, Unterhalt, Stiftung, Unternehmenserwerb, exorbitante Wertsteigerung der Unternehmensanteile, Beteiligungsveräußerung, Erträge
Gesetze:

 

§ 94 ABGB

 

GZ 3 Ob 96/15m, 15.07.2015

 

OGH: Der Anspannungsgrundsatz geht von der aus § 94 Abs 1 ABGB abgeleiteten Obliegenheit der Ehegatten aus, bei einem für den angemessenen Unterhalt nicht ausreichenden Einkommen eine ihren Fähigkeiten entsprechende und zumutbare Erwerbstätigkeit auszuüben, sofern nur diese nach der Wirtschaftslage ein deutlich höheres Einkommen verspricht. Er wird nur in Fällen angewendet, in denen der betreffende Ehegatte schuldhaft (vorsätzlich oder fahrlässig) die zumutbare Erzielung deutlich höherer Einkünfte verabsäumt. Die Fahrlässigkeit ist an der Sorgfalt eines ordentlichen familien- und pflichtbewussten Ehepartners zu messen. Die Anspannung des Unterhaltsschuldners dient somit als eine Art Missbrauchsvorbehalt, wenn schuldhaft die zumutbare Erzielung deutlich höherer Einkünfte versäumt wird. Verfügt der Unterhaltspflichtige - wie hier der Beklagte - über ein Einkommen, so setzt seine Anspannung voraus, dass die tatsächlich bezogenen Einkünfte in auffälliger Weise hinter den nach den Umständen gerechtfertigten Erwartungen zurückbleiben.

 

Nach der E 2 Ob 295/00x ist der geldunterhaltspflichtige Ehegatte, der einen wesentlichen Teil seines Vermögens in eine Privatstiftung eingebracht hat, deren Erträge ihm widmungsgemäß nicht zufließen, auf die fiktiven Erträge jenes Vermögens, dessen er sich zugunsten der Stiftung begeben hat, anzuspannen. Der hier zu beurteilende Sachverhalt ist zwar dadurch gekennzeichnet, dass die vom Beklagten errichtete Privatstiftung selbst jene Unternehmensbeteiligung erworben hat, aus deren Veräußerung ihr ein Erlös von 4.300.000 EUR zugekommen ist. Ausgehend von den konkreten Umständen, wonach der Beklagte die Stiftung in Kenntnis seiner Unterhaltsverpflichtung gerade zum Zweck des Erwerbs dieser Unternehmensbeteiligung gegründet hat, kann aber auch hier kein Zweifel daran bestehen, dass er es schuldhaft unterließ, den letztlich erzielten Veräußerungsgewinn selbst zu lukrieren, indem er es der von ihm errichteten Privatstiftung, deren alleiniger Begünstigter er ist, ermöglichte, diese Geschäftsgelegenheit zu nutzen. Unterhaltsrechtlich ist der Beklagte deshalb so zu behandeln, als hätte er selbst die Unternehmensbeteiligung erworben.

 

Den Vorinstanzen ist dahin zuzustimmen, dass der Beklagte angesichts seines überdurchschnittlich hohen Einkommens aus unselbständiger Tätigkeit ohne Hinzutreten besonderer Umstände nicht - bei sonstiger Anspannung - gehalten war, die sich ihm bietende Geschäftsgelegenheit zu nutzen. Hätte er davon Abstand genommen, wäre er deshalb nicht auf die hypothetischen Erträge aus dieser Tätigkeit anzuspannen. Allerdings darf nicht außer Acht gelassen werden, dass der Beklagte diese Geschäftsgelegenheit ohnehin ergriffen hat, wenn auch nicht selbst, sondern über die von ihm eigens zu diesem Zweck errichtete Privatstiftung, deren Begünstigter er ist.

 

Im Hinblick darauf, dass ein pflichtgemäß handelnder Unterhaltsschuldner unter den gegebenen Umständen die Unternehmensbeteiligung selbst erworben hätte und in weiterer Folge die Unterhaltsberechtigten am erzielten Gewinn teilhaben hätte lassen, schadet es nicht, dass die Klägerin, wie der Beklagte hervorhebt, in erster Instanz kein Vorbringen zur Angemessenheit ihres Unterhaltsbegehrens erstattet hat.

 

In die Unterhaltsbemessungsgrundlage sind insbesondere auch Erträge von Vermögen einzubeziehen, während der Stamm des Vermögens grundsätzlich nicht heranzuziehen ist und demgemäß etwa der beim Verkauf einer Liegenschaft erzielte Kaufpreis nicht als Einkommen zu behandeln ist, weil er nicht als „Erträgnis des Vermögens“, sondern als Gegenwert für die Sachsubstanz selbst und damit als „Vermögenssubstanz“ anzusehen ist. Der Verkauf eines privaten Vermögensgegenstands bewirkt nämlich lediglich eine Umschichtung der Vermögenssubstanz.

 

Nichts anderes kann für den hier zu beurteilenden Kaufpreis im Rahmen der Beteiligungsveräußerung gelten, den der Beklagte lukriert hätte, wenn er nicht dafür gesorgt hätte, dass die Privatstiftung an seiner Stelle die Unternehmensbeteiligung erwirbt (und in weiterer Folge nach erfolgreicher Sanierung wieder veräußert). Da dieser Veräußerungserlös also nicht als (fiktives) Einkommen des Beklagten zu werten ist, kommt auch die von der Klägerin primär angestrebte Einbeziehung jener Summe, die dem Beklagten, hätte er die Unternehmensanteile persönlich erworben und in weiterer Folge veräußert, nach Abzug der Steuern zugekommen wäre (3.219.928 EUR bzw 9.938 EUR monatlich, umgelegt auf seine statistische restliche Lebenserwartung von rund 27 Jahren) in die Unterhaltsbemessungsgrundlage nicht in Betracht.

 

Allerdings kann der Unterhaltsschuldner, der sein Vermögen ertraglos angelegt hat, auf eine erfolgversprechendere Anlageform eines Verkaufserlöses angespannt werden. Unterhaltsrechtlich ist er deshalb so zu behandeln, als hätte er sein Kapital (hier also den - ohne „Zwischenschaltung“ der Stiftung zu erzielenden - Verkaufserlös von rund 3,2 Mio EUR) unter Abwägung von Ertrag und Risiko möglichst erfolgversprechend angelegt.

 

Welche Erträge der Beklagte (fiktiv) erzielen hätte können, wenn der Verkaufserlös ihm selbst - und damit nicht iHv 4.300.000 EUR, sondern „nur“ von netto 3.219.928 EUR - zugekommen wäre und er diesen nicht in ein anderes Unternehmen (oder den Erwerb von Zinshäusern etc) investiert, sondern am Kapitalmarkt angelegt hätte, kann ausgehend von den bisher getroffenen Feststellungen nicht beurteilt werden. Das Erstgericht wird diese Frage im fortgesetzten Verfahren durch Einholung eines ergänzenden Sachverständigengutachtens zu klären haben.

 

Die Argumentation des Beklagten, die von den Vorinstanzen bejahte Anspannung auf die hypothetischen Erträge aus dem in die Stiftung eingebrachten Kapital von 70.000 EUR sei unzulässig, weil dieser Betrag aus dem von ihm nach der Aufhebung der ehelichen Lebensgemeinschaft erwirtschafteten, bereits durch Unterhaltszahlungen an die Klägerin „bereinigten“ Einkommen stamme, geht ins Leere, weil er nicht einmal behauptet hat, bei Aufhebung der ehelichen Lebensgemeinschaft über keinerlei Geldvermögen verfügt zu haben. Schon deshalb kann nicht davon ausgegangen werden, er habe den Betrag von 70.000 EUR tatsächlich erst nach der Trennung der Streitteile im August 1999 angespart.

 

Das Erstgericht wird im weiteren Verfahren auch die bisher fehlenden Feststellungen zu den hypothetischen Erträgen aus dem Betrag von 70.000 EUR ab dem Jahr 2011 nachzuholen haben.