21.07.2015 Steuerrecht

VwGH: Befangenheit iSd § 76 BAO

Wenn das Mitglied eines Tribunals, ohne sich auf eine Entscheidung festzulegen und auf neutrale Weise vor der Verhandlung mit einem Parteienvertreter Aspekte einer Rechtssache erörtert, die der Vorbereitung der Verhandlung dienen, so wird dies für sich allein genommen keine Befangenheit oder Ausgeschlossenheit iSd § 76 Abs 1 lit c BAO iVm Art 6 Abs 1 EMRK bedeuten


Schlagworte: Befangenheit, Ablehnung, Unparteilichkeit
Gesetze:

 

§ 76 BAO, Art 6 EMRK, § 278 BAO aF

 

GZ 2013/15/0291, 04.09.2014

 

VwGH: Organe der Abgabenbehörden haben sich gem § 76 Abs 1 BAO ua dann der Ausübung ihres Amtes wegen Befangenheit zu enthalten und ihre Vertretung zu veranlassen, wenn "sonstige wichtige Gründe vorliegen, die geeignet sind, ihre volle Unbefangenheit in Zweifel zu ziehen" (lit c).

 

Im Verfahren vor dem UFS als Abgabenbehörde zweiter Instanz stand den Parteien gem § 278 Abs 1 BAO idF vor dem FVwGG 2012 das mit dem Abgaben-Rechtsmittel-Reformgesetz, BGBl I Nr 97/2002, eingeführte "Recht zu, ein Mitglied des Berufungssenates mit der Begründung abzulehnen, dass einer der im § 76 Abs 1 aufgezählten Befangenheitsgründe vorliegt".

 

Für die Beurteilung, ob eine Befangenheit iSd § 76 Abs 1 lit c BAO vorliegt, ist maßgebend, ob ein am Verfahren Beteiligter bei vernünftiger Würdigung aller konkreten Umstände Anlass hat, an der Unvoreingenommenheit und objektiven Einstellung des Organwalters zu zweifeln (vgl das Erkenntnis vom 27. März 2012, 2009/10/0167, zur gleichlautenden Bestimmung des § 7 Abs 1 Z 4 (ab 2008 Z 3) AVG).

 

Im Anwendungsbereich des Art 6 EMRK ist die Befangenheit eines Mitglieds eines Tribunals in verfassungskonformer Weise dann anzunehmen, wenn einem Organwalter auch nur der äußere Anschein der Unparteilichkeit mangelt.

 

Abgabenverfahren fallen nicht in den Anwendungsbereich des Art 6 EMRK.

 

Dem nationalen Gesetzgeber ist es jedoch unbenommen, die Anwendbarkeit der Grundsätze des Art 6 EMRK auszudehnen. Mit dem AbgRmRefG, BGBl I Nr.97/2002, durch welches auch das Ablehnungsrecht des § 278 BAO eingeführt wurde, wollte der nationale Gesetzgeber die für civil rights maßgebenden Kriterien des Art 6 EMRK für das Berufungsverfahren in Abgabensachen übernehmen. Im Anwendungsbereich des Unionsrechts ergibt sich mittlerweile auch aus Art 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRC) das Recht auf ein faires Verfahren und ein unparteiisches Gericht. Inhaltlich entsprechen die Garantien des Art 47 GRC jenen des Art 6 EMRK.

 

Die Unparteilichkeit kann in subjektiver und in objektiver Hinsicht betrachtet werden. In der gegenständlich insbesondere relevanten subjektiven Hinsicht ist eine Befangenheit oder Ausgeschlossenheit eines Richters dann anzunehmen, wenn er vor der Verhandlung etwa durch Äußerungen zu erkennen gibt, dass er sich in der konkreten Sache bereits auf eine Entscheidung festgelegt hat.

 

Wenn das Mitglied eines Tribunals, ohne sich auf eine Entscheidung festzulegen und auf neutrale Weise vor der Verhandlung mit einem Parteienvertreter Aspekte einer Rechtssache erörtert, die der Vorbereitung der Verhandlung dienen, so wird dies für sich allein genommen keine Befangenheit oder Ausgeschlossenheit iSd § 76 Abs 1 lit c BAO iVm Art 6 Abs 1 EMRK bedeuten (zur insofern vergleichbaren Bestimmung des § 43 Abs 1 Z 3 StPO das Urteil des OGH vom 8. April 2010, 13 Os 153/09p).

 

Ob sich der Organwalter selbst für befangen erachtet oder seine Äußerungen als nicht völlig unsachlich gewertet werden können, ist hingegen nicht entscheidungsrelevant.