VwGH: "Verfahrensleitender Beschluss" iSd Verwaltungsgerichtsbarkeits-Ausführungsgesetz 2013
Ein gem § 17 VwGVG iVm § 38 AVG ergangener Aussetzungsbeschluss unterliegt nicht dem Revisionsausschluss gem § 25a Abs 3 VwGG
§ 25a VwGG, § 17 VwGVG, § 38 AVG, Art 133 B-VG
GZ Ro 2014/05/0089, 24.03.2015
VwGH: Gem § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gem Art 130 Abs 1 B-VG (ua) die Bestimmungen des AVG mit der Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles anzuwenden.
Gem § 38 AVG ist, sofern die Gesetze nicht anderes bestimmen, die Behörde berechtigt, im Ermittlungsverfahren auftauchende Vorfragen, die als Hauptfragen von anderen Verwaltungsbehörden oder von den Gerichten zu entscheiden wären, nach der über die maßgebenden Verhältnisse gewonnenen eigenen Anschauung zu beurteilen und diese Beurteilung ihrem Bescheid zugrunde zu legen. Sie kann aber auch das Verfahren bis zur rechtskräftigen Entscheidung der Vorfrage aussetzen, wenn die Vorfrage schon den Gegenstand eines anhängigen Verfahrens bei der zuständigen Verwaltungsbehörde bzw beim zuständigen Gericht bildet oder ein solches Verfahren gleichzeitig anhängig gemacht wird.
Mit dem Verwaltungsgerichtsbarkeits-Ausführungsgesetz 2013 wurde im VfGG (§ 88a Abs 3), VwGG (§ 25a Abs 3) und VwGVG (§ 25 Abs 2 und 5, § 31 Abs 2 und 3, § 32 Abs 5, § 54 Abs 2) der Begriff des "verfahrensleitenden Beschlusses" normiert und angeordnet, dass ein abgesondertes Rechtsmittel (Beschwerde, Revision) gegen solche Beschlüsse nicht zulässig ist. Weder im Verwaltungsgerichtsbarkeits-Ausführungsgesetz 2013 noch in den diesbezüglichen Materialien findet sich eine Definition des Begriffes "verfahrensleitender Beschluss".
Nach der Absicht des Verfassungsgesetzgebers bei Einführung der zweistufigen Verwaltungsgerichtsbarkeit mit der Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012 soll sich das Revisionsmodell an der Revision nach den §§ 500 ff ZPO orientieren. Für die Auslegung des Begriffes "verfahrensleitender Beschluss" kann somit auf die in der Zivilprozesslehre und höchstgerichtlichen zivilgerichtlichen Rsp entwickelten Kriterien zurückgegriffen werden. So führt etwa Bydlinski in Fasching, Kommentar zu den Zivilprozessgesetzen2 Vor §§ 425 ff ZPO Rz 10, aus, dass die in § 425 Abs 2 ZPO genannten prozessleitenden Beschlüsse der notwendigen und zweckmäßigen Durchführung des Verfahrens dienen, also keinen Selbstzweck haben und auch kein vom Verfahren losgelöstes Eigenleben zu entfalten vermögen; dazu gehören insbesondere alle iZm der Beweisaufnahme getroffenen richterlichen Anordnungen, wie etwa Ladungen, Aufträge zum Erlag eines Kostenvorschusses oder zur Vorlage von Urkunden oder Aufträge zur Mitwirkung an einem Sachverständigenbeweis.
Ein Beschluss ist, sobald er sich nicht mehr darin erschöpft, "der zweckmäßigen und erfolgreichen Formung und Ausführung des Verfahrens" zu dienen, sondern darüber hinausreichende Rechtswirkungen zu entfalten vermag, nicht mehr rein prozessleitender Natur und bindet das Gericht.
Maßgebend für die Anfechtungsmöglichkeit prozessleitender Beschlüsse nach der ZPO war für den Gesetzgeber, ob mit einer Beschränkung der Anfechtungsmöglichkeit für eine Verfahrenspartei ein nach Rechtschutzerwägungen erkennbarer Nachteil verbunden wäre.
Das VwGVG enthält - sieht man von seiner Regelung in § 34 Abs 3 ab, die die Aussetzung eines Beschwerdeverfahrens wegen eines beim VwGH bereits anhängigen Revisionsverfahrens unter den in dieser Gesetzesbestimmung angeführten Voraussetzungen zulässt - keine ausdrückliche Bestimmung über die Zulässigkeit der Aussetzung des Verfahrens bis zur rechtskräftigen Entscheidung einer Vorfrage durch eine andere Verwaltungsbehörde oder ein (anderes) Gericht, sodass gem § 17 VwGVG insoweit die Bestimmungen des AVG (mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles) anzuwenden sind.
Nach dem AVG sind gem § 38 leg cit ergangene Aussetzungsbescheide abgesondert bekämpfbar.
Es ist nun unter Zugrundelegung der vorstehenden Erwägungen kein sachlicher Grund dafür erkennbar, eine gem § 17 VwGVG iVm § 38 AVG ergangene Aussetzungsentscheidung als (bloß) verfahrensleitende Entscheidung zu beurteilen, die - in Abkehr von der bisher zu § 38 AVG ergangenen hg Judikatur - nicht abgesondert bekämpfbar wäre. Gegen eine solche Beurteilung sprechen auch Rechtschutzüberlegungen, könnte sich doch ansonsten ein Antragsteller gegen eine Verfahrensaussetzung selbst dann nicht zur Wehr setzen, wenn damit ein jahrelanger Verfahrensstillstand verbunden und diese Entscheidung mit einem gröblichen Ermessensfehler (Ermessensüberschreitung oder Ermessensmissbrauch) belastet wäre.
Da somit ein gem § 17 VwGVG iVm § 38 AVG ergangener Aussetzungsbeschluss nicht dem Revisionsausschluss gem § 25a Abs 3 VwGG unterliegt, hätte das VwG im vorliegend angefochtenen Beschluss gem § 25a Abs 1 VwGG aussprechen müssen, ob dagegen die Revision gem Art 133 Abs 4 B-VG zulässig ist. Mangels eines solchen Ausspruches ist die vorliegende Revision als ordentliche Revision zu behandeln.
Die von der Revisionswerberin aufgeworfene Frage, ob das VwG zu Recht vom Vorliegen eines verfahrensleitenden Beschlusses und damit der Unzulässigkeit einer Revision gegen den angefochtenen Beschluss schon aus diesem Grund ausgegangen ist, stellt keine solche den verfahrensgegenständlichen Ausetzungsbeschluss in der Sache betreffende Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung dar. Es geht dabei vielmehr um eine eigene weitere Zulässigkeitsvoraussetzung für eine Revision gem § 34 Abs 1 VwGG, nämlich die Zuständigkeit des VwGH für eine Revision. Demzufolge war die Revision wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art 133 Abs 4 B-VG mit Beschluss, der an die Stelle des Zurückweisungsbeschlusses des VwG tritt, zurückzuweisen.