OGH: Zur Frage der Zurechnung bei Ankauf und Zurverfügungstellung von Kundendaten im Rahmen der Geltendmachung eines Ausgleichsanspruchs nach § 24 Abs 1 HVertrG
Als Neukunde ist ein Kunde auch dann anzusehen, der schon bisher mit dem Unternehmer in Geschäftsbeziehungen stand, wenn er für einen anderen Geschäftszweig geworben wurde; ein Handelsvertreter führt dem Unternehmer auch dann neue Kunden zu, wenn er aufgrund einer ihm vom Geschäftsherrn ausgehändigten Liste die darin verzeichneten Unternehmen aufsucht und diese in der Folge erstmals zu Kunden des Unternehmens werden
§ 24 HVertrG
GZ 10 Ob 75/14y, 24.03.2015
Die Rekurswerberin macht geltend, der Kläger habe aufgrund der „Überführung“ des bestehenden Kundenstamms auf die Beklagte und des Eintritts der Beklagten in laufende Geschäftsbeziehungen der Insolvenzschuldnerin durch die Beklagte sowie mangels Erweiterung/Vertiefung dieser bereits bestehenden Geschäftsverbindungen keinen Ausgleichsanspruch gegen die Beklagte.
OGH: Zunächst ist festzuhalten, dass die Beklagte nach ihrem Vorbringen das Unternehmen der Insolvenzschuldnerin nicht erwarb. Sie selbst spricht von einem „Asset-Deal“. Es wurde auch weder festgestellt noch von der Beklagten behauptet, dass sie in Lieferverträge der Insolvenzschuldnerin eintrat. Sie brachte vor, lediglich Verpflichtungen aus Arbeitsverhältnissen übernommen zu haben und „laufende Geschäftsbeziehungen gekauft“ zu haben, die „überwiegend faktisch auf die neue Gesellschaft übergeführt“ worden seien. Die Auslegung des Berufungsgerichts, sie habe damit nicht vorgebracht, bestehende Dauerschuldverhältnisse ([langfristige] Liefer- oder Bezugsverträge) übernommen zu haben, ist nicht zu beanstanden.
Voraussetzung des Ausgleichsanspruchs des Handelsvertreters ist ua, dass der Handelsvertreter dem Unternehmer neue Kunden zugeführt oder bereits bestehende Geschäftsverbindungen wesentlich erweitert hat (§ 24 Abs 1 Z 1 HVertrG). Der OGH billigt die Rechtsauffassung des Berufungsgerichts, die sich insbesondere auf die Rsp des BGH und die beinahe einhellige Meinung in der Literatur zum vergleichbaren § 89b Abs 1 dHGB stützt:
Neu zugeführt iSd § 24 Abs 1 Z 1 HVertrG ist ein Kunde, mit dem der Unternehmer zu Beginn des Handelsvertreterverhältnisses noch nicht in Geschäftsverbindung stand, sondern erstmals unter Einschaltung des Handelsvertreters ein Geschäft mit dem Unternehmer abgeschlossen hat; das gilt auch für Kunden, die der Handelsvertreter aus einer früheren Vertretung in das neue Vertragsverhältnis einbringt. Der Begriff des Neukunden ist branchenbezogen. Als Neukunde ist deshalb ein Kunde auch dann anzusehen, der schon bisher mit dem Unternehmer in Geschäftsbeziehungen stand, wenn er für einen anderen Geschäftszweig geworben wurde. Ein Handelsvertreter führt dem Unternehmer auch dann neue Kunden zu, wenn er aufgrund einer ihm vom Geschäftsherrn ausgehändigten Liste die darin verzeichneten Unternehmen aufsucht und diese in der Folge erstmals zu Kunden des Unternehmens werden.
Die Beurteilung des Berufungsgerichts, dass alle früheren Kunden der Insolvenzschuldnerin, mit denen die Beklagte durch Vermittlung des Klägers erstmals Geschäfte abschloss, als vom Kläger zugeführte Neukunden anzusehen sind, weil sie vor der Übernahme der Vermögenswerte der Insolvenzschuldnerin per 1. 9. 2011 nicht in deren Geschäftsfeld tätig war, ist demnach zutreffend. Entgegen der Ansicht der Beklagten ändert daran nichts, dass sie den Kundenstamm der Insolvenzschuldnerin vom Insolvenzverwalter erwarb. Da sie im Geschäftsfeld der Insolvenzschuldnerin noch nicht tätig war, konnte sie im neuen Geschäftszweig noch keine Alt- oder Bestandskunden haben. Kaufen konnte sie vom Insolvenzverwalter nicht die Kunden selbst, sondern lediglich die Information über die Kundenbeziehungen der Insolvenzschuldnerin. Diese Information über die Stammkunden der Insolvenzschuldnerin begründete noch keine Geschäftsbeziehung der neu in diesem Geschäftszweig tätig werden wollenden Beklagten mit diesen Kunden, selbst wenn sie von diesen bei der Insolvenzschuldnerin gekaufte Waren ausgeliefert hätte. Denn auch in diesem Fall eröffnete der Beklagten der Erwerb des Kundenstamms lediglich die Chance, dass die Stammkunden der Insolvenzschuldnerin auch mit der Beklagten eine Geschäftsbeziehung eingehen werden, die erst durch den Abschluss entsprechender Verträge begründet wird. Kamen diese Verträge durch Vermittlung des Klägers zustande, so hat er die Kunden des insolventen Unternehmens als (neue) Stammkunden der Beklagten zugeführt.