05.06.2015 Zivilrecht

OGH: AHG – zur Frage, ob bei einer Verletzung des rechtlichen Gehörs als tragendem Grundprinzip der Rechtsordnung der Einwand des rechtmäßigen Alternativverhaltens grundsätzlich zu versagen ist

Auch wenn die Verletzung grundlegender Verfahrensvorschriften, die insbesondere das rechtliche Gehör betreffen, unter bestimmten Voraussetzungen ein anderes Ergebnis rechtfertigen kann, steht doch im Allgemeinen bei bloßen Vermögensschäden dem Schädiger auch im Amtshaftungsrecht der Einwand rechtmäßigen Alternativverhaltens offen


Schlagworte: Schadenersatzrecht, Amtshaftung, Verletzung des rechtlichen Gehörs, rechtmäßige Alternativverhalten
Gesetze:

 

§ 1 AHG, §§ 1295 ff ABGB, Art 6 EMRK

 

GZ 1 Ob 248/14y, 03.03.2015

 

OGH: Ein wesentlicher Grundsatz der gesetzlichen Verschuldenshaftungstatbestände - und damit auch des § 1 Abs 1 AHG - ist, dass (nur) für durch rechtswidriges Verhalten schuldhaft zugefügte Schäden zu haften ist. Dann soll der Geschädigte so gestellt werden, wie er stünde, wenn das rechtswidrige Verhalten unterblieben wäre. Diese notwendigerweise hypothetische Beurteilung besteht in einem Vergleich zwischen den Folgen des tatsächlich gesetzten rechtswidrigen Verhaltens (Handlung oder Unterlassung) und jenen rechtmäßigen Vorgehens. Wäre der eingetretene Schaden auch bei gebotenem bzw rechtmäßigem Verhalten eingetreten, steht dem Schädiger idR konsequenterweise der sog Einwand rechtmäßigen Alternativverhaltens zu, also der Hinweis darauf, dass dem Geschädigten nach dem erwähnten Haftungsregime Schadenersatz zu versagen ist, wenn bzw soweit der erlittene Nachteil jedenfalls eingetreten wäre, nämlich auch bei rechtmäßigem Vorgehen des (realen) Schädigers. Dies erscheint va aus dem Blickwinkel des (zentralen) Ausgleichsgedankens des Schadenersatzrechts konsequent. Die gelegentlich geäußerte Befürchtung, die Zulassung dieses Einwands könnte wegen der Notwendigkeit der Beurteilung hypothetischer Sachverhalte die Rechtsposition des Geschädigten aushöhlen, ist schon deshalb grundsätzlich unberechtigt, weil nach hLuRsp stets der Schädiger die Behauptungs- und Beweislast dafür trägt, dass auch das gebotene bzw rechtmäßige Verhalten zum selben Ergebnis geführt hätte. Angesichts der dargelegten Grundsätze bedarf der Ausschluss der Einwendung rechtmäßigen Alternativverhaltens daher einer besonderen Begründung und ist auf einen sehr engen Bereich zu beschränken.

 

Gerade auf dem Gebiet der Amtshaftung hat die Rsp immer wieder versucht, besondere Konstellationen zu umschreiben, in denen dem schuldhaft rechtswidrig handelnden Rechtsträger der Einwand rechtmäßigen Alternativverhaltens nicht zustehen soll. So wird etwa für die Fälle einer ohne richterlichen Befehl vorgenommenen Freiheitsentziehung seit 1 Ob 35/80 judiziert, dass sich der beklagte Rechtsträger nicht darauf berufen kann, die Haft wäre auch vom zuständigen Richter verhängt worden und dabei derselbe Schaden eingetreten. Da der Gesetzgeber hier die Einhaltung bestimmter Verfahrensvorschriften zwingend vorsehe, erfülle der Schadenersatzanspruch auch eine Sanktions- und Präventionsfunktion, sodass bei Nichtbeachtung des vorgesehenen Verfahrens der Einwand rechtmäßigen Alternativverhaltens unbeachtlich sei.

 

Nach anderen höchstgerichtlichen Entscheidungen kommt es darauf an, ob Vorschriften ein mit besonderen Sicherheitsgarantien ausgestattetes Verfahren gewährleisten sollen bzw ob ein streng ausgestaltetes Verfahren dem besonderen Schutz hochrangiger Güter dient. Dem im Amtshaftungsprozess Beklagten soll die Einwendung rechtmäßigen Alternativverhaltens dann verwehrt sein, wenn die übertretene Verhaltensnorm von ihrem Schutzzweck her jedes andere Organverhalten ausschließen und deshalb Eingriffe in fremdes Rechtsgut an eine bestimmte Form (ein bestimmtes Verhalten) binden will. Ob einer Schutznorm die Anordnung entnommen werden kann, dass pflichtgemäßes Alternativverhalten außer Betracht zu bleiben hat, ist im Einzelfall zu prüfen. Der Einwand rechtmäßigen Alternativverhaltens ist allerdings bei einer Verletzung „bloßer“ Verfahrensvorschriften grundsätzlich zulässig; es kann aber die Verletzung grundlegender Verfahrensvorschriften, die insbesondere das rechtliche Gehör betreffen, ein anderes Ergebnis rechtfertigen (1 Ob 12/10m).

 

Lässt sich im Einzelfall ein besonderer Schutzgesetzcharakter einer verletzten Verfahrensvorschrift - anders als im zuletzt zitierten Fall der Erlassung einer Verordnung ohne das (sondergesetzlich) angeordnete Anhörungsverfahren - nicht finden, insbesondere, wenn es sich - wie hier - um eine Norm handelt, die für eine Vielzahl von unterschiedlichsten Verfahrensinhalten gilt, kommt der Ausschluss des Einwands rechtmäßigen Alternativverhaltens regelmäßig nur in Betracht, wenn der Verfahrensverstoß geeignet ist, besonders hochrangige Rechtsgüter zu beeinträchtigen. Dies ergibt sich schon daraus, dass dem Schadenersatzrecht in erster Linie Ausgleichsfunktion zukommt, also im Vordergrund das Bestreben steht, den Geschädigten so zu stellen wie bei rechtmäßigem Verhalten. Eine Sanktionsfunktion ist dem österreichischen Schadenersatzrecht - und damit auch dem Amtshaftungsrecht - weitgehend fremd. Eigenständige Bedeutung kann hingegen - gerade im hier zu untersuchenden Zusammenhang - der (gelegentlich als bloße Reflexwirkung angesehenen) Präventionsfunktion zukommen, also dem Gedanken, der potentielle Schädiger solle durch ihm drohende Schadenersatzpflichten zusätzlich dazu angehalten werden, sich rechtmäßig zu verhalten. Gerade im Rahmen der Amtshaftung, wo hoheitlich handelnde Rechtsträger dem Rechtsunterworfenen gegenüberstehen, kann dieser Präventionsfunktion durchaus ein eigenständiger Wert beigemessen werden. Bei Verletzung allgemeiner Verfahrensvorschriften, auch wenn in ihnen - wie häufig - das Prinzip des Rechts jeder Partei auf (ausreichendes) rechtliches Gehör zum Ausdruck kommt, ist - mangels eines in eine besondere Richtung gehenden Schutzzwecks - im Regelfall aber auch die Gefährdung bzw Verletzung hochrangiger Rechtsgüter (Leben, Freiheit, körperliche und seelische Unversehrtheit) zu fordern, um den Ausschluss des Einwands rechtmäßigen Alternativverhaltens zu begründen.

 

Im vorliegenden Fall hat das Berufungsgericht zu Recht die Voraussetzungen für einen solchen Einwendungsausschluss verneint. Entgegen der Auffassung der Rekurswerberin kann der Behörde keineswegs vorgeworfen werden, ein Ermittlungsverfahren überhaupt unterlassen zu haben, hatte es doch einerseits kurze Zeit vor dem rechtswidrigen Bescheid eine Nachschau gegeben, die zu zahlreichen bescheidmäßigen Auflagen an die Klägerin geführt hatte, und lagen der Entscheidung über den Entzug der Betriebsbewilligung andererseits die Aussagen von drei Mitarbeitern der Klägerin sowie die fachkundige Stellungnahme der Amtssachverständigen zugrunde. Dass die Bestimmungen des AVG (§ 37, § 45 Abs 3), die in allen Verwaltungsverfahren das ausreichende rechtliche Gehör der betroffenen Parteien sicherstellen sollen, gerade im Bereich des burgenländischen Sozialhilferechts als spezielle Verhaltensnormen anzusehen sein sollten, durch die va eine bestimmte (abweichende) Verhaltensweise ausgeschlossen und der Eingriff in das fremde Rechtsgut unbedingt an ein bestimmtes Verfahren gebunden werden solle, weshalb die Berufung auf rechtmäßiges Alternativverhalten ausgeschlossen sei, ist nicht zu erkennen, geht es doch in erster Linie um das Wohl der Sozialhilfebedürftigen und erst sekundär um die (wirtschaftlichen) Interessen von Heimbetreibern.

 

Hier hat die Behörde vor Erlassung des inkriminierten Bescheids zahlreiche Ermittlungsschritte gesetzt, diese der Klägerin jedoch vor Bescheiderlassung nicht zur Kenntnis gebracht und ihr damit die Möglichkeit genommen, sie zu widerlegen. Dieses Vorgehen beruhte - wie auch aus der Bescheidbegründung zu ersehen ist - una auf der Erwägung, es sei rasches Handeln geboten, um drohende Nachteile im Hinblick auf die menschenwürdige Lebensqualität, die Gesundheit und Sicherheit der Heimbewohner abzuwenden. Berücksichtigt man weiter, dass im Falle einer wegen der Unvollständigkeit des Verfahrens möglichen inhaltlich unrichtigen Entscheidung der Klägerin lediglich Vermögensnachteile drohten, entspricht es durchaus den bereits dargestellten schadenersatzrechtlichen Grundsätzen, der Beklagten die Beweisführung zu gestatten, dass auch eine Äußerung der Klägerin im Verfahren - und daran allenfalls anknüpfende weitere Beweiserhebungen - zum selben Ergebnis, nämlich zur „Sperre“ der Einrichtung geführt hätte. Ein besonderes Bedürfnis nach Prävention, das es rechtfertigen würde, in einem solchen Fall der Beklagten den Ersatz von Vermögensnachteilen aufzuerlegen, die auch bei einem mangelfreien Verfahren entstanden wären, ist nicht zu erkennen. Auch wenn die Verletzung grundlegender Verfahrensvorschriften, die insbesondere das rechtliche Gehör betreffen, unter bestimmten Voraussetzungen ein anderes Ergebnis rechtfertigen kann, steht doch im Allgemeinen bei bloßen Vermögensschäden dem Schädiger auch im Amtshaftungsrecht der Einwand rechtmäßigen Alternativverhaltens offen.