19.05.2015 Zivilrecht

OGH: Art 7. AUVB 2010 und zur Frage, ob im Ersuchen um „Bearbeitung und Rückmeldung“ unter gleichzeitiger Mitteilung einer schweren, idR eine dauernde Invalidität nach sich ziehenden Verletzung iZm dem Nachweis des Umfangs der erlittenen Verletzung eine Anspruchserhebung iSd Art 7.1. AUVB 2010 zu erblicken ist und ob der Versicherer nach dem Grundsatz von Treu und Glauben in einem solchen Fall nachfragepflichtig wird

Ohne den Hinweis, dass der Versicherer in der erstatteten Schadensmeldung weder die Geltendmachung eines Anspruchs auf Leistung für dauernde Invalidität noch einen ärztlichen Befundbericht erblickt und die Geltendmachung des Anspruchs und die Vorlage eines Befundberichts innerhalb von 15 Monaten vom Unfalltag an zu erfolgen hat, verstößt die Berufung des Versicherers auf den Fristablauf gegen Treu und Glauben


Schlagworte: Versicherungsrecht, Unfallversicherung, dauernde Invalidität, Frist, Schadensmeldung, Ersuchen um „Bearbeitung und Rückmeldung“
Gesetze:

 

Art 7. AUVB 2010, § 914 ABGB, § 1 VersVG

 

GZ 7 Ob 225/14k, 18.02.2015

 

Art 7. AUVB 2010 lautet:

 

„Dauernde Invalidität

 

1. Wann besteht ein Anspruch auf Leistung für dauernde Invalidität?

 

Ergibt sich innerhalb eines Jahres vom Unfalltag an gerechnet, dass als Folge des Unfalls eine dauernde Invalidität (Beeinträchtigung der körperlichen oder geistigen Leistungsfähigkeit auf Lebenszeit) zurückbleibt, wird - unbeschadet der Bestimmungen des Art 7.5. - aus der hiefür versicherten Summe der dem Grade der Invalidität entsprechende Betrag gezahlt.

 

Ein Anspruch auf Leistung für dauernde Invalidität ist innerhalb von 15 Monaten vom Unfallstag an schriftlich geltend zu machen und unter Vorlage eines ärztlichen Befundberichts, aus dem Art und Umfang der Gesundheitsschädigung und die Möglichkeit einer auf Lebenszeit dauernden Invalidität hervorgeht, zu begründen.

 

[...]“

 

OGH: Die Geltendmachung der Invalidität setzt nach der Bedingungslage weder die Nennung eines Invaliditätsgrades noch eines bestimmten Anspruchs voraus; erforderlich ist die Behauptung, es sei Invalidität dem Grunde nach eingetreten. Bei der Geltendmachung der Invalidität handelt es sich um eine Willenserklärung, auf die die allgemeinen Grundsätze des ABGB (§§ 859 ff ABGB) anwendbar sind. Das heißt, sowohl die Frage, ob überhaupt eine Willenserklärung vorliegt, als auch für die Bestimmung ihres Inhalts ist nicht der wahre Wille des Erklärenden, sondern auf Grund der Vertrauenstheorie der Empfängerhorizont maßgeblich. Die Erklärung gilt so, wie sie ein redlicher Empfänger verstehen durfte.

 

Die bloße Mitteilung des Unfalls und der unmittelbaren Verletzungsfolge genügt grundsätzlich noch nicht für die Geltendmachung des Ersatzanspruchs für Dauerfolgen; die Schadensmeldung kann für sich allein noch nicht als Geltendmachung der Leistung für dauernde Invalidität gewertet werden.

 

Vom OGH wurde aber im Einklang mit deutscher Judikatur und Lehre bereits mehrfach betont, dass auch ein Versicherungsverhältnis im besonderen Maße von Treu und Glauben beherrscht wird, welchen Grundsatz der Versicherungsnehmer ebenso gegen sich gelten lassen muss wie der Versicherer. Diese starke Betonung von Treu und Glauben soll der Tatsache Rechnung tragen, dass jeder der beiden Vertragspartner auf die Unterstützung durch den jeweils anderen angewiesen ist, weil er dem jeweils anderen in der einen oder anderen Weise unterlegen ist: Der Versicherungsnehmer verfügt zB allein über die Kenntnis wesentlicher Umstände für den Vertragsschluss und die Schadensabwicklung; der Versicherer ist dem Versicherungsnehmer überlegen durch die Beherrschung der Versicherungstechnik, seiner Geschäftskunde, seinen umfangreichen Erfahrungen und wegen der Sachverständigen, deren er sich bedienen kann. Treu und Glauben beeinflussen daher das Versicherungsverhältnis in vielfacher Weise und können nach hM ergänzende Leistungs- oder Verhaltenspflichten schaffen.

 

So judizierte der OGH auch schon zu Art 7.1. AUVB 2010 vergleichbaren Klauseln, dass ohne den Hinweis, dass der Versicherer in der erstatteten Schadensmeldung weder die Geltendmachung eines Anspruchs auf Leistung für dauernde Invalidität noch einen ärztlichen Befundbericht erblickt und die Geltendmachung des Anspruchs und die Vorlage eines Befundberichts innerhalb von 15 Monaten vom Unfalltag an zu erfolgen hat, die Berufung des Versicherers auf den Fristablauf gegen Treu und Glauben verstößt.

 

Vor dem Hintergrund der zitierten Jud erweist sich die Schadensmeldung vom 1. 2. 2012, die lediglich den durch keinen ärztlichen Befund untermauerten Hinweis auf eine auch bloß vermutete Verletzungsfolge (Kreuzbandriss) enthielt, noch nicht als klare Geltendmachung einer Leistung für dauernde Invalidität.

 

Das Ersuchen um Bearbeitung und Rückmeldung vom 1. 2. 2013 iZm dem vorgelegten Arztbrief, dem sich die durch den Sturz verursachte Verletzung (Kreuzbandriss) und auch die immer noch anhaltenden Kniebeschwerden entnehmen ließen, gaben aber nunmehr ausreichend deutlich zu erkennen, dass der Kläger Dauerfolgen dem Grunde nach behauptet und damit Leistungen für eine dauernde Invalidität beansprucht. Die Beklagte lehnte auch ihre Leistungspflicht ausschließlich unter dem Hinweis auf das Fehlen eines entsprechenden ärztlichen Befundberichts ab, woraus ersichtlich ist, dass sie offenbar selbst eine ausreichende Geltendmachung des Anspruchs zugrunde legte.

 

Im vorgelegten Arztbrief fehlt ein ausdrücklicher ärztlicher Ausspruch über eine wahrscheinlich dauernde Invalidität. Ohne Hinweis darauf, dass die Beklagte aus der hier vorliegenden Verletzung an sich nicht auf eine dauernde Invalidität schließen könne, forderte sie nur weitere Unterlagen, insbesondere die OP-Berichte an.

 

Dieser Aufforderung kam der Kläger nach. Er übermittelte mit dem Hinweis, dass keine Operation erfolgt sei, einen weiteren ärztlichen Befund, dem ebenfalls die Diagnose Kreuzbandriss und die immer noch anhaltenden Kniebeschwerden zu entnehmen waren, der aber auch keinen ärztlich begründeten Ausspruch über eine wahrscheinlich dauernde Invalidität enthielt. Auch jetzt erfolgte kein Hinweis der Beklagten, dass sie darin immer noch keinen ärztlichen Befundbericht nach Art 7.1. AUVB erblickte. Vielmehr setzte sie vorerst überhaupt keine Reaktion und lehnte ihre Leistungspflicht erst nach Ablauf der Frist wegen Fehlens eines Befundberichts ab. Damit verstößt ihre Berufung auf den Fristablauf gegen Treu und Glauben. Sie hätte nämlich den Kläger iSd Jud darauf hinweisen müssen, dass sie den vorliegenden Befunden noch immer keine dauernde Invalidität entnehmen könne, sodass es dem Kläger möglich gewesen wäre, fristgerecht eine Ergänzung der Befunde vorzunehmen.