OGH: Zur Haftung aus Ingerenz bei einer Rückrufaktion
Hat der beklagte Händler kein vorausgehendes eigenes Verhalten gesetzt, das ihn neben allfälligen vertraglichen Verpflichtungen schon im Interesse der Allgemeinheit zur persönlichen Verständigung seines Kunden von der Rückrufaktion verpflichtet hätte, so trifft ihn gegenüber Dritten keine Haftung aus Ingerenz
§§ 1295 ff ABGB, § 5 PHG
GZ 1 Ob 103/14z, 22.01.2015
Die klagende Versicherung hat ihrem Versicherungsnehmer Schäden ersetzt, die durch einen im benachbarten Kellerabteil in Brand geratenen Elektrofahrrad-Akku entstanden waren; sie begehrt nunmehr Regress vom Fahrradhändler
OGH: Die Gefährdung absolut geschützter Rechte, darunter des Eigentumsrechts, ist grundsätzlich verboten. Daraus werden Sorgfalts- und Verkehrssicherungspflichten abgeleitet. Verkehrssicherungspflichten treffen denjenigen, der die Gefahr erkennen und die erforderlichen Schutzmaßnahmen ergreifen kann, also jenen, der die Gefahr beherrscht. Wer demnach eine Gefahrenquelle schafft oder in seiner Sphäre bestehen lässt, muss die notwendigen und ihm zumutbaren Vorkehrungen treffen, um eine Schädigung anderer nach Tunlichkeit abzuwenden (Ingerenzprinzip). Gleiches gilt für den, der eine Gefahrenquelle übernimmt.
Die Verpflichtung zur Beseitigung der Gefahrenquelle und damit zum positiven Tun folgt aus der vorhergehenden Verursachung der Gefahrensituation. Eine gleiche Verpflichtung trifft auch denjenigen, in dessen Sphäre gefährliche Zustände bestehen. Hier folgt die Verpflichtung zur Beseitigung aus der Zusammengehörigkeit von Verantwortung und Bestimmungsgewalt. Ausgangspunkt für die Verantwortlichkeit nach dem Ingerenzprinzip ist damit die Gefahrenzuständigkeit iS einer zumindest faktischen Verfügungsmöglichkeit über die Gefahrenquelle.
Vorliegend war dem beklagten Fahrradhändler durch die Rückrufaktion des Importeurs die mit den schadhaften Akkus verbundene Gefahrenlage bekannt. Er hat die in der Gefährlichkeit des Produkts gelegene Gefahrenquelle aber nicht geschaffen oder in seiner Sphäre belassen und damit keine eigene Vorhandlung gesetzt, die eine Rechtspflicht zum Handeln begründet hätte. Das Erkennen bzw die Erkennbarkeit der Gefahr ist zwar Voraussetzung für das Entstehen einer Handlungspflicht, die Widerrechtlichkeit einer Unterlassung setzt aber eine besondere Verbindlichkeit, das Übel zu verhindern, voraus. Hat der beklagte Händler kein vorausgehendes eigenes Verhalten gesetzt, das ihn neben allfälligen vertraglichen Verpflichtungen schon im Interesse der Allgemeinheit zur persönlichen Verständigung seines Kunden von der Rückrufaktion verpflichtet hätte, so trifft ihn auch gegenüber Dritten keine Haftung aus Ingerenz.