16.03.2015 Arbeits- und Sozialrecht

OGH: Zur Frage, in welcher Höhe Sozialversicherungsträger gem § 332 ASVG Regress erlangen können, wenn sie bereits vor dem Anlassfall aufgrund eines früheren Schadensereignisses eine Versehrtenrente leisten mussten, der Geschädigte allerdings weiterhin einer vollen Berufstätigkeit nachging

Der übergegangene Anspruch nach § 332 ASVG ist nach den persönlichen Verhältnissen des Verletzten und ohne Bedachtnahme auf dessen unfallbedingte Ansprüche aus der Sozialversicherung zu beurteilen; eine allfällige unfallbedingte Entlastung eines Sozialversicherungsträgers kann daher auch nicht im Zessionsverhältnis im Wege der Vorteilsausgleichung berücksichtigt werden, weil der Ersatzanspruch nach § 332 ASVG kein Schadenersatzanspruch des Sozialversicherungsträgers, sondern ein vom Versicherten abgeleiteter Anspruch ist; der Schädiger kann sich daher nicht auf eine anzurechnende Ersparnis berufen; er kann daher nicht mit Erfolg geltend machen, dass der Sozialversicherungsträger bereits bislang eine - wenngleich geringere - Versehrtenrente bezahlt hat; entscheidungswesentlich ist, ob der Geschädigte gegenüber dem Schädiger bzw der Beklagten als dessen Haftpflichtversicherer einen Anspruch auf Verdienstentgang hat bzw, ob neben diesem Ersatzanspruch auch ein zivilrechtlicher Anspruch auf Verdienstentgang gegen einen allfälligen früheren ersten Schädiger gegeben ist, der ebenfalls sachlich und zeitlich kongruent zur geleisteten Versehrtenrente ist; die Versehrtenrente nach dem Sozialversicherungsrecht knüpft nicht an einen konkret entstandenen Verdienstentgang an, sondern nach dem Prinzip der abstrakten Schadensberechnung an der Ermittlung der Minderung der Erwerbsfähigkeit; es ist dort bedeutungslos, ob der Versicherungsfall tatsächlich zu einem Einkommensverlust geführt hat; die Versehrtenrente ist auch dann zu gewähren, wenn kein Lohnausfall entstanden ist oder sogar ein höheres Einkommen erzielt wird; Voraussetzung für die Gewährung einer Versehrtenrente ist daher nicht, wie beim Verdienstentgangsanspruch nach § 1325 ABGB, ein konkret tatsächlich eingetretener Verdienstentgang; dadurch unterscheidet sich das Leistungsrecht der Unfallversicherung wesentlich vom zivilrechtlichen Schadenersatz; die Tatsache allein, dass die Klägerinnen vor dem Unfall eine 50%ige Versehrtenrente gewährten, ist daher nicht maßgebend für die Frage, in welcher Höhe dem Geschädigten aufgrund des Unfalls vom 4.


Schlagworte: Schadenersatzrecht, Übergang von Schadenersatzansprüchen auf die Versicherungsträger, Legalzession, früheres Schadensereignis, Versehrtenrente, unfallbedingte Einkommensminderung
Gesetze:

 

§ 332 ASVG

 

GZ 2 Ob 134/14s, 27.11.2014

 

OGH: Durch die Gewährung einer Versehrtenrente soll die unfallbedingte Einkommensminderung des Geschädigten ausgeglichen werden. Die Versehrtenrente ist zu dessen Schadenersatzanspruch auf Ersatz des Verdienstentgangs daher sachlich kongruent. Dieser Schadenersatzanspruch, der hier weder dem Grunde noch der Höhe nach strittig ist, bildet den Deckungsfonds, der selbständig nach den Grundsätzen des Haftpflichtrechts zu berechnen ist. Nach der Höhe dieses Schadenersatzanspruchs, begrenzt mit dem Anspruch des Geschädigten auf Leistungen gegenüber dem Sozialversicherungsträger, bestimmt sich der Umfang des Forderungsübergangs nach der Legalzessionsnorm des § 332 Abs 1 ASVG.

 

Nach dem hier gegebenen Sachverhalt erhielt der geschädigte Sozialversicherte nach dem ersten Unfall zwar eine Versehrtenrente, der aber mangels eines Verdienstentgangs kein schadenersatzrechtlicher Anspruch gegenüberstand, der im Wege der Legalzession auf den Sozialversicherungsträger hätte übergehen können. Ein solcher aus dem ersten Unfall resultierender Anspruch wird von der Zweitklägerin auch nicht geltend gemacht. Dass diese aufgrund der nach sozialversicherungsrechtlichen Bestimmungen abstrakt zu beurteilenden Erwerbsunfähigkeit dem Geschädigten dennoch eine Versehrtenrente auszuzahlen hatte, ist daher schadenersatzrechtlich unerheblich.

 

Erst durch den zweiten Unfall entstand dem Geschädigten ein Einkommensverlust - und zwar im Ausmaß von 100 % seines Erwerbseinkommens - und damit ein entsprechender schadenersatzrechtlicher Anspruch auf Ersatz des Verdienstentgangs, der den Deckungsfonds bildet und auf den die Versehrtenrente auszahlenden Sozialversicherungsträger übergegangen ist. Dieser ist daher - nur gegenüber dem nunmehrigen Schädiger, der alleine für den schadenersatzrechtlich relevanten Einkommensverlust des geschädigten Versicherten verantwortlich ist - zur Geltendmachung des Anspruchs befugt. Eine andere Sichtweise würde zu einer unbilligen Entlastung des Schädigers führen. Anhaltspunkte dafür, dass die Schädigungen aus den beiden Arbeitsunfällen erst im Zusammenwirken die Erwerbsunfähigkeit herbeigeführt hätten, sind nicht hervorgekommen.

 

In schadenersatzrechtlicher Hinsicht ist der Fall so zu behandeln, als hätte es keinen Vorunfall gegeben, weil bis zum zweiten Unfall im Jahr 2007 kein Verdienstentgang vorlag.