OGH: Anlageberaterhaftung
Aus einer in vergangenen Jahren vorgenommenen, möglicherweise risikoträchtigen Investition ist nicht abzuleiten, dass der Anleger auch später spekulativ investieren wollte
§§ 1295 ff ABGB
GZ 6 Ob 213/14p, 15.12.2014
OGH: Die konkrete Ausgestaltung der Beratungspflichten, die von einer ganzen Reihe von Faktoren abhängig sind, die sich einerseits auf die Person des Kunden und andererseits auf das Anlageprojekt beziehen, hängt entscheidend von den Umständen des Einzelfalls ab. Gerade dann, wenn das vom Kläger verfolgte Anlageziel und die Einstufung des in Aussicht genommenen Produkts nicht in Einklang stehen, erfordert dies besondere Beratungsleistungen.
Wenngleich im vorliegenden Fall beim ersten Kauf die Risikobereitschaft des Klägers mit „hoch“ angegeben ist, ist nach den Feststellungen des Erstgerichts der Grund dafür nicht klar; vielmehr sei diese Angabe aufgrund einer spekulativen Investition des Klägers in der Vergangenheit ausgewählt worden. Diesbezüglich ist jedoch dem Berufungsgericht zuzustimmen, dass aus einer im Jahr 2002 vorgenommenen, möglicherweise risikoträchtigen Investition nicht abzuleiten ist, dass der Kläger auch im Jahr 2005 bzw später spekulativ investieren wollte. Beim zweiten Kauf wurde die Risikobereitschaft des Klägers mit „mittel“ angegeben. Ihm wurde aber lediglich mitgeteilt, dass Kursschwankungen möglich sind; über das in der Folge tatsächlich eingetretene Verlustrisiko wurde er jedoch nicht aufgeklärt. Vielmehr wurde ihm das Produkt ausdrücklich als risikoarmes Investment präsentiert und hinsichtlich der liquiden Mittel der M***** der Vergleich mit einem Sparbuch gezogen. Damit ist aber nicht davon auszugehen, dass der Kläger tatsächlich ein hohes Risiko eingehen wollte. Aus diesem Grund stellt sich auch die von der Revision als erheblich bezeichnete Rechtsfrage, mit welchem Verlust ein mittleres oder hohes Risiko verbunden ist, nicht. Stellt nämlich der Anlageberater ein typisches Risikogeschäft als sichere Anlageform hin und veranlasst er dadurch den Anleger zur Zeichnung einer solchen Beteiligung, dann haftet er für die fehlende Beratung selbst dann, wenn er von der Seriosität des Anlagegeschäfts überzeugt gewesen sein sollte, weil er ein solches Geschäft nicht ohne weiteres als sichere Anlageform anpreisen darf.
In Anbetracht des Umstands, dass der Erstbeklagte ausdrücklich von einem risikoaversen Produkt sprach, kann der in der Revision vertretenen Auffassung, die Erstbeklagte hätte nicht auf die Möglichkeit eines Kapitalverlusts im Ausmaß von 80 % hinweisen müssen, nicht gefolgt werden. Die Erstbeklagte hat dem Kläger eine Anlage als risikoarm dargestellt, obwohl diese Eigenschaft nicht gegeben war. Dadurch hat sich aber das Verlustrisiko für den Kläger deutlich erhöht.
Der von der Erstbeklagten zitierten Entscheidung 10 Ob 9/12i lag ein anderer Sachverhalt zu Grunde, kam es doch dort zwischen dem Erstkauf im Juni 2005 und dem Zweitkauf im Februar 2007 zu keinem Kontakt zwischen den Streitteilen. Im vorliegenden Fall fand jedoch vor dem zweiten Kauf neuerlich ein Beratungsgespräch statt, in dem im Wesentlichen auf die Ausführungen des ersten Beratungsgesprächs verwiesen wurde. Wenn bei dieser Sachlage das Berufungsgericht die Kausalität der fehlerhaften Beratung auch für den dritten, weniger als ein halbes Jahr später abgeschlossenen Kauf bejahte, ist darin weder eine Fehlbeurteilung noch ein Abweichen von der Rsp des OGH zu erblicken, zumal auch die Frage der Kausalität einer fehlerhaften Beratung jeweils nur einzelfallbezogen zu beantworten ist.