OGH: Zur Bindungswirkung einer Entscheidung
Als Teil der Bindungswirkung ist die Präklusionswirkung anerkannt; dementsprechend wird durch die Rechtskraft der Entscheidung auch das Vorbringen aller Tatsachen ausgeschlossen, die zur Begründung oder Widerlegung des entschiedenen Anspruchs rechtlich erforderlich waren und schon bei Schluss der mündlichen Verhandlung bestanden haben
§ 411 ZPO
GZ 8 Ob 64/14s, 25.11.2014
OGH: Die Bindungswirkung einer Entscheidung schließt die neuerliche inhaltliche Prüfung des rechtskräftig entschiedenen Anspruchs aus. Sie ist als Folge der Rechtskraft grundsätzlich auf die Parteien und den geltend gemachten Anspruch, über den im Urteil entschieden wurde, beschränkt. Bindungswirkung iSd Präjudizialität der rechtskräftigen Entscheidung ist nach LuRsp dann gegeben, wenn der als Hauptfrage rechtskräftig entschiedene (und vom Kläger geltend gemachte) Anspruch eine Vorfrage für den Anspruch im zweiten Prozess bildet. Maßgebend sind die entscheidungserheblichen rechtserzeugenden Tatsachen, die zur Individualisierung des herangezogenen Rechtsgrundes erforderlich sind.
Als Teil der Bindungswirkung ist die Präklusionswirkung anerkannt. Dementsprechend wird durch die Rechtskraft der Entscheidung auch das Vorbringen aller Tatsachen ausgeschlossen, die zur Begründung oder Widerlegung des entschiedenen Anspruchs rechtlich erforderlich waren und schon bei Schluss der mündlichen Verhandlung bestanden haben. Innerhalb desselben Anspruchs wird der Kläger somit mit allen Tatsachen präkludiert, auf die er den konkreten, geltend gemachten Anspruch noch hätte stützen können.
Die Besonderheit des Vorverfahrens liegt darin, dass das Erstgericht im streitigen Verfahren (und ohne darauf abzielenden Urteilsantrag) rechtskräftig eine Grenze festgesetzt hat. Die Klägerinnen haben sich im Vorverfahren zur für den begehrten Grenzverlauf maßgeblichen Vorfrage des Eigentums darauf berufen, dass die Beklagten die „seit mehr als 5 Jahrzehnten“ bestehende Grenze entlang der Feuermauer und in deren Verlängerung (70 cm entfernt von der Mauer des Nebengebäudes der Klägerinnen) durch ihr Bauvorhaben ignoriert und den bestehenden Grenzverlauf bestritten hätten. Die Klägerinnen haben sich damit inhaltlich auf den letzten ruhigen Besitzstand (vgl § 851 Abs 1 ABGB) gestützt. Das Erstgericht ist zwar dem Begehren der Klägerinnen nicht gefolgt, hat aber dessen ungeachtet die Grenze ebenfalls nach dem (von ihnen angenommenen) letzten ruhigen Besitzstand festgesetzt und dies damit begründet, dass sich dieser aus den Vermessungsergebnissen der Naturaufnahme ergebe. In seiner Begründung verwies es die Klägerinnen ausdrücklich auf die Möglichkeit, ihr „besseres Recht“ im Prozessweg gem § 851 Abs 2 ABGB geltend zu machen.
Damit war aber das von den Klägerinnen bereits im Vorverfahren (wenn auch verspätet) erstattete Vorbringen, wonach sie Eigentum an einer bestimmten Fläche durch Ersitzung erworben hätten, zur Begründung des entschiedenen Anspruchs nach den maßgeblichen Umständen des hier vorliegenden Einzelfalls rechtlich nicht relevant. Es trifft zwar zu, dass nach der Rsp mit dem Begehren auf Feststellung des Grenzverlaufs die Feststellung des Eigentumsrechts an den dadurch eindeutig bestimmten Grundstücksteilen in untrennbarem Zusammenhang steht. Daraus ist für die hier zu beurteilende Bindungswirkung aber nichts zu gewinnen, weil Gegenstand des Vorverfahrens sowohl nach dem Klagevorbringen als auch nach dem Urteil ausschließlich die Festsetzung der Grenze nach dem letzten ruhigen Besitzstand war. Vor diesem Hintergrund ist das Berufungsgericht im konkreten Fall vertretbar davon ausgegangen, dass die vom Erstgericht angenommene Bindungswirkung der Vorentscheidung nicht besteht.