VwGH: Ausdehnung des Tatzeitraums im Beschwerdeverfahren
Eine Ausdehnung des Tatzeitraums erst im Beschwerdeverfahren in Verwaltungsstrafsachen vor dem VwG stellt (weiterhin) eine unzulässige Erweiterung des Tatvorwurfs und der Sache des Verfahrens iSd § 50 VwGVG dar
§ 27 VwGVG, § 50 VwGVG, § 44a VstG, § 24 VstG, § 66 AVG
GZ Ra 2014/09/0018, 05.11.2014
VwGH: Nach der bis 31. Dezember 2013 geltenden Rechtslage hat die Berufungsbehörde nach dem gem § 24 VStG auch im Verwaltungsstrafverfahren anzuwendenden § 66 Abs 4 AVG, sofern die Berufung nicht als unzulässig oder verspätet zurückzuweisen ist, immer in der Sache zu entscheiden. Die Berufungsbehörde ist berechtigt, sowohl im Spruch als auch hinsichtlich der Begründung (§ 60 AVG) ihre Anschauung an die Stelle jener der Unterbehörde zu setzen und demgemäß den angefochtenen Bescheid nach jeder Richtung abzuändern.
Sache des Berufungsverfahrens ist nach stRsp des VwGH zu dieser Rechtslage nur die Angelegenheit, die den Inhalt des Spruchs des Bescheids der Unterbehörde bildet. Wechselt die Berufungsbehörde die von der Erstbehörde angenommene Tat aus, so nimmt sie eine ihr nicht zustehende Befugnis in Anspruch und es liegt eine inhaltliche Rechtswidrigkeit vor. Dies hat insbesondere auch für die von der Erstbehörde spruchmäßig bezeichnete Tatzeit zu gelten. Die Bestimmung des § 66 Abs 4 AVG berechtigt die Berufungsbehörde nämlich nicht zur Auswechslung der dem Beschuldigten zur Last gelegten Tat, sondern nur dazu, die Strafzeit auf der Grundlage der unbedenklichen Sachverhaltsannahme der Behörde erster Instanz näher zu umschreiben. Die Ausdehnung des Tatzeitraums bedeutet jedoch keine Präzisierung sondern eine Erweiterung des Vorwurfs.
In den Materialien zu § 27 VwGVG wird ausgeführt:
"Der vorgeschlagene § 27 legt den Prüfungsumfang des Verwaltungsgerichtes fest. Anders als die Kognitionsbefugnis einer Berufungsbehörde (vgl § 66 Abs 4 AVG) soll die Kognitionsbefugnis des Verwaltungsgerichtes durch den Inhalt der Beschwerde beschränkt sein."
Auch in Verwaltungsstrafverfahren richtet sich der Prüfungsumfang des Verwaltungsgerichts grundsätzlich nach § 27 VwGVG. Zudem ist in Verwaltungsstrafverfahren - im Gegensatz zu administrativen Verwaltungsverfahren - das in § 42 VwGVG normierte Verbot der reformatio in peius zu berücksichtigen, das nur dann nicht gilt, wenn die Beschwerde nicht zu Gunsten des Bestraften erhoben wird.
Im vorliegenden Fall kann dahingestellt bleiben, inwiefern durch die neuen Verfahrensbestimmungen eine Einschränkung der Überprüfungsbefugnis der Verwaltungsgerichte im Allgemeinen und in Verwaltungsstrafverfahren im Speziellen gegenüber der Kognitionsbefugnis der unabhängigen Verwaltungssenate eingetreten ist. Bereits bisher war die Ausdehnung des Tatzeitraums, und damit die Erweiterung des Vorwurfs erst durch die Berufungsbehörde unzulässig. Eine Befugnis des VwG zur Ausdehnung des Gegenstands des Verfahrens über die Sache des Verwaltungsstrafverfahrens iSd § 50 VwGVG hinaus, etwa durch Ausdehnung des Tatzeitraums, wurde nicht geschaffen.
Auch das hier entscheidende Verwaltungsgericht hatte den in § 27 und § 50 VwGVG umschriebenen Prüfungsumfang und das Verbot der Verhängung einer höheren Strafe (§ 42 VwGVG) zu beachten. Für die vorliegende Fragestellung ist aus dieser Rechtslage jedenfalls kein Anhaltspunkt dafür zu erkennen, dass von der bisherigen Rsp des VwGH zum Berufungsverfahren in Verwaltungsstrafsachen abzugehen wäre. Eine Ausdehnung des Tatzeitraums erst im - nun: - Beschwerdeverfahren in Verwaltungsstrafsachen vor dem VwG stellt daher (weiterhin) eine unzulässige Erweiterung des Tatvorwurfs und der Sache des Verfahrens iSd § 50 VwGVG dar.
Die Aufforderung zur Rechtfertigung bezeichnete - wie später das Straferkenntnis - nur den 28. Jänner 2013 als Tattag. Es handelt sich daher um keine zulässige Präzisierung, wenn das VwG den Tatzeitraum von "28. Jänner 2013" auf "22. März 2012 bis 28. Jänner 2013" ausdehnte.
Entgegen der Ansicht des VwG geht aus der Begründung des erstinstanzlichen Straferkenntnisses die Absicht der Behörde, den Revisionswerber wegen der im Spruch des angefochtenen Erkenntnisses genannten längeren Tatzeitraums zu verfolgen, auch nicht eindeutig hervor, sodass auch eine Berichtigung nicht in Frage kam. Zwar wurde der "lange Tatzeitraum" als besonderer Erschwerungsgrund gewertet, ein konkreter, vom Spruch abweichender (längerer) Beschäftigungszeitraum lässt sich der Begründung des erstinstanzlichen Straferkenntnisses jedoch nicht entnehmen.