30.12.2014 Zivilrecht

OGH: Betriebsunterbrechungsversicherung für freiberuflich Tätige und Selbständige – zur Auslegung der Art 1.1. BU 01, Art 2.1.2.8. und 6.2. letzter Satz BU 01

Besteht nach einer Versicherungsklausel kein Versicherungsschutz für Unterbrechungsschäden bei psychischen und psychosomatischen Erkrankungen und Störungen, so gilt dies mangels Differenzierung in der Klausel auch für solche psychischen und psychosomatischen Erkrankungen und Störungen, die als Folge der Behandlung des vom Versicherungsschutz gedeckten Personenschadens (hier: Darmkrebserkrankung) eintreten; die „Karenzzeit“ nach Art 6.2. letzter Satz BU 01 entfällt bei akuten Personenschäden, die zwar außerhalb eines Krankenhauses eintreten (und bei denen schon zu diesem Zeitpunkt die Voraussetzungen eines Unterbrechungsschadens vorliegen), die aber danach zu einem mindestens 7-tägigen ununterbrochenen Aufenthalt im Krankenhaus, das ehestmöglich aufgesucht wird, führen


Schlagworte: Versicherungsrecht, Betriebsunterbrechungsversicherung für freiberuflich Tätige und Selbständige, gänzliche / teilweise Unterbrechung, Risikoausschluss für Unterbrechungsschäden bei psychischen und psychosomatischen Erkrankungen und Störungen
Gesetze:

BU 01

GZ 7 Ob 137/14v, 17.09.2014

 

OGH: Teilweise Unterbrechung des versicherten Betriebs (Art 1.1. BU 01):

 

Die Betriebsunterbrechungsversicherung ist eine Sachversicherung, bei der der Betrieb, nicht die Person des Betriebsinhabers versichert ist. Die Entschädigung aus der Versicherung kann sich daher nur auf den Ausfall eines Betriebs, nicht aber auf einen bloßen Personenschaden erstrecken. Zweck der Versicherung ist es, einen sozialen Abstieg des Versicherten im Arbeitsleben und in der Gesellschaft, dh im sozialen Umfeld, zu verhindern. Der Versicherungsfall ist gegeben, wenn Krankheit, Körperverletzung oder Kräfteausfall kausal für den Rückgang der beruflichen Leistungsfähigkeit sind; dabei sind Art und Ursache der Krankheit, der Körperverletzung oder des Kräfteverfalls grundsätzlich (sofern nicht vertragliche Ausschlüsse vereinbart werden) gleichgültig. Versicherte Gefahr in der Berufsunfähigkeitsversicherung ist der vorzeitige Rückgang oder der Verlust der beruflichen Leistungsfähigkeit.

 

Der OGH hat in seinen bisherigen Entscheidungen die Frage der Abgrenzung zwischen der (versicherten) Betriebsunterbrechung und dem (nicht versicherten) dauernden Betriebsstillstand geklärt. Leistungen aus der Betriebsunterbrechungsversicherung sind nur dann zu erbringen, wenn eine Fortführung des Betriebs ins Auge gefasst wird, während im Fall einer Betriebsbeendigung kein Versicherungsfall gegeben ist. Eine Betriebsunterbrechung ist auch dann anzunehmen, wenn zwar eine Wiederaufnahme des Betriebs letztlich nicht erfolgt, aber zumindest ernstlich ins Auge gefasst wurde, aus nicht vorhersehbaren Gründen aber dann nicht möglich war. Für derartige Bemühungen, den Betrieb fortzuführen, ist dem Betriebsinhaber eine gewisse Zeit einzuräumen. Wie lange Bemühungen zur Betriebsfortführung dauern dürfen, um noch eine vorübergehende Betriebsunterbrechung anzunehmen und daher Versicherungsschutz bejahen zu können, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab und lässt sich zufolge dieser Einzelfallbezogenheit nicht allgemeingültig beantworten.

 

Nach Art 1.1. BU 01 ersetzt die Beklagte, sofern durch einen Personen- oder Sachschaden oder einen sonstigen Verhinderungsgrund eine gänzliche oder teilweise Unterbrechung des versicherten Betriebs (Betriebsunterbrechung) verursacht wird, den dadurch entstandenen Unterbrechungsschaden. Objekt der Betriebsunterbrechungsversicherung ist nicht nur der „technische“ Betrieb, sondern das Unternehmen als wirtschaftliche Einheit. Art 1.1. BU 01 setzt eine wirklich eingetretene Betriebsunterbrechung voraus. Die bloße Annahme der Kunden, der Betrieb sei unterbrochen, genügt dafür nicht. Der Tatbestand der Betriebsunterbrechung ist erfüllt, wenn der Betrieb infolge eines versicherten Personen- oder Sachschadens oder eines sonstigen Verhinderungsgrundes in seiner Leistungsfähigkeit beeinträchtigt ist. Eine gänzliche Unterbrechung des versicherten Betriebs liegt dann vor, wenn der gesamte Betrieb des Versicherungsnehmers unterbrochen ist, dh ein vollständiger Stillstand der Betriebsabläufe eingetreten ist. Eine teilweise Betriebsunterbrechung besteht dann, wenn der Betrieb oder Betriebsteile des Versicherungsnehmers nur noch eingeschränkt fortgesetzt werden können. Mit der teilweisen Unterbrechung ist nichts anderes gemeint als eine Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit. Eine teilweise Betriebsunterbrechung liegt schon dann vor, wenn der Betrieb nicht in der vorherigen Weise fortgesetzt werden kann. Keine Betriebsunterbrechung ist dagegen anzunehmen, wenn - wie nach dem Sachverhalt in der Entscheidung 7 Ob 101/04k - der (normale) Geschäftsbetrieb in allen Filialen aufrecht erhalten werden kann.

 

Nach den Feststellungen wurde die GmbH des Klägers zwar weiter betrieben, jedoch aufgrund des krankheitsbedingten Ausfalls des Klägers nur eingeschränkt. Neue Aufträge wurden nicht mehr akquiriert und die ausschließlich vom Kläger betreuten Projekte an andere Architekturbüros weitergegeben. Sonstige Aufträge wurden von den Mitarbeitern abgearbeitet. Das Architekturbüro ist in seiner bisherigen Form seit August 2012 - nach Ablauf der vereinbarten 12-monatigen Haftungszeit - geschlossen. Aus den Feststellungen ergibt sich, dass durch die ab 2. 3. 2011 eingetretene 100%ige Arbeitsunfähigkeit des Klägers als Geschäftsführer und Versicherter eine Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit der GmbH eintrat und damit - entgegen der Ansicht der Beklagten - eine teilweise Unterbrechung des versicherten Betriebs vorlag.

 

Zum Risikoausschluss für Unterbrechungsschäden „bei psychischen und psychosomatischen Erkrankungen und Störungen“ (Art 2.1.2.8. BU 01):

 

Die allgemeine Umschreibung des versicherten Risikos erfolgt durch die primäre Risikobegrenzung. Durch sie wird in grundsätzlicher Weise festgelegt, welche Interessen gegen welche Gefahren und für welchen Bedarf versichert sind. Auf der zweiten Ebene (sekundäre Risikobegrenzung) kann durch einen Risikoausschluss ein Stück des von der primären Risikoabgrenzung erfassten Deckungsumfangs ausgenommen und für nicht versichert erklärt werden. Der Zweck liegt darin, dass ein für den Versicherer nicht überschaubares und kalkulierbares Teilrisiko ausgenommen und eine sichere Kalkulation der Prämie ermöglicht werden soll. Mit dem Risikoausschluss begrenzt also der Versicherer von vornherein den Versicherungsschutz, ein bestimmter Gefahrenumstand wird von Anfang an von der versicherten Gefahr ausgenommen.

 

Dem Versicherungsnehmer (oder Versicherten) muss das Wissen zugemutet werden, dass gewisse Begrenzungsnormen einer Betriebsunterbrechungsversicherung zu Grunde liegen. Dem Versicherer steht es frei, bestimmte Risiken vom Versicherungsschutz auszunehmen. Voraussetzung ist, dass dies für den Versicherungsnehmer (oder Versicherten) klar erkennbar geschieht.

 

Der Kläger trägt die Beweislast für das Vorliegen des Versicherungsfalls. Nach Art 1.2. BU 01 hat er demnach zu beweisen, dass er infolge Krankheit (oder Unfall, Quarantäne) eine völlige (100%ige) Arbeitsunfähigkeit erlitt. Eine 100%ige Arbeitsunfähigkeit aufgrund seiner Darmkrebserkrankung war nach den Feststellungen jedoch nur im Zeitraum 2. 3. 2011 bis 20. 9. 2011 gegeben. Nach diesem Zeitpunkt bestand allein deswegen keine 100%ige Arbeitsunfähigkeit mehr. Zwar war auch nach dem 20. 9. 2011 seine körperliche Leistungssteigerung nicht gegeben; Ursache dafür sind die beim Kläger als typische Folgeerkrankungen von Krebs und nach durchgeführter Chemotherapie aufgetretenen psychischen Begleiterkrankungen (Anpassungsstörung, längere depressive Reaktion). Nach dem Risikoausschluss des Art 2.1.2.8. BU 01 besteht kein Versicherungsschutz aufgrund von Arbeitsunfähigkeit des Klägers als der den Betrieb verantwortlich leitenden Person „bei psychischen und psychosomatischen Erkrankungen und Störungen (zB Burn-out-Syndrom und Ähnliches)“. Eine 100%ige Arbeitsunfähigkeit des Klägers könnte nur dann vorliegen, wenn seine Begleiterkrankungen nicht von diesem Risikoausschluss erfasst sind. Das ist jedoch nicht der Fall.

 

Nach der Rsp entfällt der Versicherungsschutz und der Risikoausschluss greift schon dann, wenn eine der adäquaten Ursachen des Schadens zu den ausgeschlossenen zählt. Art 2.1.2.8. BU 01 schließt unabhängig davon, ob es sich um eine Primär- oder eine Folgeerkrankung handelt, Unterbrechungsschäden aufgrund eingetretener Arbeitsunfähigkeit als Folge von psychischen und auch psychosomatischen Erkrankungen und Störungen vom Versicherungsschutz generell aus. Die Unklarheitenregelung nach § 915 ABGB gelangt hier nicht zur Anwendung, weil dieser Risikoausschluss eindeutig ist. Entgegen der Ansicht des Klägers und des Berufungsgerichts kann ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer den Risikoausschluss nicht so auffassen, dass die als Folge der Behandlung des vom Versicherungsschutz gedeckten Personenschadens (Darmkrebserkrankung) eingetretene psychische Erkrankung davon nicht umfasst sein soll, sondern diese - so der Kläger - „für sich alleine isoliert“ auftreten muss. Wie das Erstgericht zutreffend ausführte, ist dem Risikoausschluss keine Differenzierung in primäre und sekundäre psychische oder psychosomatische Erkrankungen oder Störungen zu entnehmen. Vielmehr sind sämtliche dieser psychischen Mitursachen für die Arbeitsunfähigkeit vom Versicherungsschutz ausgenommen.

 

Entgegen der Rechtsansicht des Klägers ist die Klausel auch nicht „unter dem Aspekt der Sittenwidrigkeit unwirksam“. Der Ausschluss psychischer Erkrankungen aus dem Versicherungsschutz dient nämlich nicht lediglich den Interessen des Versicherers, sondern auch denjenigen der Versicherungsnehmer. Das Interesse des Versicherers, nur bei objektiv fassbaren, möglichst unproblematisch zu diagnostizierenden Erkrankungen leisten zu müssen, dient auch der den Versicherungsnehmern zu Gute kommenden zuverlässigen Tarifkalkulation und gewährleistet eine - mit vertretbarem Aufwand und zeitnah zu treffende - Entscheidung über die Versicherungsleistungen. Bei Einbeziehung auch psychischer Erkrankungen, die oft schwer oder jedenfalls aufwendig zu verifizieren sind, weil es häufig an objektiv feststellbaren Parametern fehlt, ließe sich eine möglichst günstige Tarifkalkulation nicht gewährleisten. Damit fehlt es aber an einer unangemessenen Benachteiligung der Versicherungsnehmer durch den Leistungsausschluss, sodass ein Fall einer gröblichen Benachteiligung iSd § 879 Abs 3 ABGB nicht vorliegt.

 

Da das Zahlungsbegehren des Klägers über 47.100 EUR sA (157 Tage à 300 EUR) für den Zeitraum ab dem 21. 9. 2011 aus den dargelegten Gründen nicht berechtigt ist, ist insoweit die erstgerichtliche Abweisung wiederherzustellen.

 

Entfall der „Karenz“ (Art 6.2. BU 01):

 

Im Versicherungsvertrag wurde eine „Karenzfrist“ (gemeint: leistungsfreie Zeit) von 14 Tagen vereinbart. Gem Art 6.2. letzter Satz BU 01 entfällt die „Karenz“ auf jeden Fall, wenn die Betriebsunterbrechung mit einem mindestens 7-tägigen ununterbrochenen Krankenhausaufenthalt beginnt. Strittig ist die Betriebsunterbrechungszeit vom 2. bis 15. 3. 2011. Nachdem am 2. 3. 2011 ein Internist beim Kläger Darmkrebs diagnostizierte und ihn anwies, sofort ins Krankenhaus zu gehen, suchte er noch am Nachmittag desselben Tages seinen praktischen Arzt auf, der ihn zur sofortigen Behandlung in eine bestimmte Klinik überwies. Dort trat er am Morgen des 3. 3. 2011 seinen mehrwöchigen stationären Krankenhausaufenthalt an.

 

Der OGH teilt die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, dass Art 6.2. BU 01 orientiert am Maßstab eines durchschnittlich verständigen Versicherungsnehmers nicht starr dahin zu interpretieren ist, dass der Beginn der Betriebsunterbrechung mit dem Beginn des Krankenhausaufenthalts zusammenfallen muss, sondern es sind auch akute Fälle, die außerhalb des Krankenhauses eintreten und eine sofortige stationäre Krankenhausbehandlung erfordern (Unfälle, akute Erkrankungen), die auch ohne unötigen Aufschub in Anspruch genommen wird, davon erfasst. Demnach entfällt die „Karenzzeit“ nach Art 6.2. letzter Satz BU 01 bei akuten Personenschäden, die zwar außerhalb eines Krankenhauses eintreten (und bei denen schon zu diesem Zeitpunkt die Voraussetzungen eines Unterbrechungsschadens vorliegen), die aber danach zu einem mindestens 7-tägigen ununterbrochenen Aufenthalt im Krankenhaus, das ehestmöglich aufgesucht wird, führen.

 

Der vom Berufungsgericht für erforderlich gehaltenen Verfahrensergänzung bedarf es nicht, weil feststeht, dass der Kläger nach der Untersuchung und der Erstdiagnose am 2. 3. 2011 (Beginn der Betriebsunterbrechung) unverzüglich, nämlich schon am Morgen des nächsten Tages - nachdem er noch am selben Tag seinen Hausarzt konsultiert hat - seinen mehrwöchigen Krankenhausaufenthalt antrat. Damit entfällt gem Art 6.2. letzter Satz BU 01 die vereinbarte „Karenz“ von 14 Tagen, sodass die Beklagte für diesen Zeitraum den der Höhe nach unstrittigen Unterbrechungsschaden zu ersetzen hat. Das Begehren des Klägers auf Ersatz seiner Spesen und die begehrten Verzugszinsen wurden von der Beklagten nicht substantiiert bestritten.