OGH: Maßnahmen nach § 107 Abs 3 AußStrG (hier: Ausreiseverbot)
Maßnahmen nach § 107 Abs 3 AußStrG setzen (nur) die Erforderlichkeit ihrer Anordnung „zur Sicherung des Kindeswohls“, aber keine Kindeswohlgefährdung iSd § 181 Abs 1 ABGB voraus; das Gericht darf das Ausreiseverbot nur bei objektiven Anhaltspunkten für eine geplante Mitnahme des Kindes ins Ausland durch den Elternteil und nach Prüfung der Verhältnismäßigkeit dieser Maßnahme anordnen
§ 107 AußStrG
GZ 6 Ob 160/14v, 09.10.2014
OGH: Im Hinblick auf den klaren und unzweideutigen Wortlaut des § 107 Abs 3 AußStrG kann von der von der Revisionsrekurswerberin behaupteten „Diskriminierung“ durch ein Ausreiseverbot von minderjährigen nicht österreichischen Kindern keine Rede sein.
Im Übrigen ist die nach pflichtgemäßem Ermessen zu treffende Entscheidung, inwieweit einem Elternteil das Besuchsrecht eingeräumt werden soll, grundsätzlich von den Umständen des Einzelfalls abhängig. Daher kommt ihr im Regelfall keine Bedeutung iSd § 62 Abs 1 AußStrG zu, sofern nicht leitende Grundsätze der Rsp verletzt wurden. Dies gilt auch für Maßnahmen nach § 107 Abs 3 AußStrG, die als besondere Verfahrensregelungen zur Sicherung des Rechts auf persönlichen Kontakt anzusehen sind.
Die Vorinstanzen haben mit ihren Entscheidungen den ihnen zukommenden Beurteilungsspielraum nicht überschritten. Maßnahmen nach § 107 Abs 3 AußStrG setzen (nur) die Erforderlichkeit ihrer Anordnung „zur Sicherung des Kindeswohls“, aber keine Kindeswohlgefährdung iSd § 181 Abs 1 ABGB voraus. Das Gericht darf das Ausreiseverbot nur bei objektiven Anhaltspunkten für eine geplante Mitnahme des Kindes ins Ausland durch den Elternteil und nach Prüfung der Verhältnismäßigkeit dieser Maßnahme anordnen. Der Eingriff in das Privatleben der betreffenden Person darf - insbesondere im Hinblick auf Art 8 Abs 1 EMRK - nicht unverhältnismäßig zu der damit beabsichtigten Förderung der Kindesinteressen sein. Es kommt nicht darauf an, dass diese Maßnahme die ultima ratio darstellt, die erst nach Ausschöpfung anderer Maßnahmen zulässig wäre.
Im vorliegenden Fall gab es in mehrfacher Hinsicht konkrete Anhaltspunkte, die für einen geplanten Wohnsitzwechsel der Kindesmutter samt Kindern in das Ausland sprachen. Zum einen gab der minderjährige Raphael im Zuge eines Gesprächs mit zwei Sozialarbeiterinnen an, bald in die USA zu übersiedeln. Andererseits teilte die Kindesmutter selbst in der Schule mit, dass sie Sarah Anfang Juni 2014 aus der Schule nehmen möchte, weil sie einen Umzug ins Ausland plane. Bei dieser Sachlage ist aber nicht zu beanstanden, wenn die Vorinstanzen davon ausgingen, dass eine Ausreise unmittelbar bevorstehe. Die Richtigkeit dieser Annahme wird zudem ex post dadurch untermauert, dass die Kindesmutter zum gegenwärtigen Zeitpunkt bereits seit mindestens zwei Monaten im Ausland lebt.
Aus der Aktenlage ergibt sich auch, dass die Kindesmutter bereits mehrfach versuchte, Besuchskontakte zwischen dem Kindesvater und den Kindern zu verhindern. Die bisher nur eingeschränkt möglichen Besuchskontakte haben aber auch bereits zu einer Entfremdung der Kinder gegenüber ihrem Vater geführt. Bei dieser Sachlage ist ein Verbleib der Kinder in Österreich auch für das Kindesinteresse förderlich und ist der Eingriff in das Privatleben verhältnismäßig. Dass 2006 bzw 2008 geborene Kinder individuell - und damit von den Wünschen der Kindesmutter unabhängig - Wünsche nach einem Wohnsitzwechsel ins Ausland artikulieren, wäre lebensfremd. Die von der Kindesmutter vorgenommene Wohnsitzverlegung ins Ausland stellt sich daher als bloßer Ausdruck ihrer eigenen Interessen dar. Im Spannungsverhältnis zwischen Elternrechten und dem Kindeswohl haben erstere naturgemäß zurückzutreten.